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Dienstag, 08.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Lesung: „Ellens Listen“ in der Stadtbücherei

Für 40 Besucher gab es am vergangenen Mittwoch in der Augsburger Stadtbücherei es ein seltenes Phänomen zu hören und zu sehen: schreibende Zwillinge.

Von Evi Wiest



Caroline Mardaus und ihre Schwester Christina Hirson stellten ihren gemeinsamen, und wie zu erfahren war, im Lauf eines halben Jahres fertiggestellten Roman „Ellens Listen“ vor. Dabei geht es um eine Geschichte, die so alt ist wie die Welt: eine große Liebe geht zu Ende. Ein Drama also, das trotz allen Abgründen in einem leichten, beinahe heiteren Ton erzählt wird.

In der Lesung erfuhren die Zuhörer, dass es Ellen ist, die von ihrem Mann, dem exzentrischen amerikanischen Maler Anthony verlassen wird, und dürfen „den längsten Brief, den er im Leben schreiben sollte“ mitlesen. Abwechselnd mit Verve vorgetragen tut sich da eine tragikomische Welt auf, in der sich Hilflosigkeit, Reue, schlecht verstellter Egoismus und unbeholfenes Pathos skurril und vor allem lustig miteinander mischen. Eine Dichterlesung – nämlich die fiktive Präsentation eines Gedichtbandes namens „Eingeweide“ des erfolgsverwöhnten, aber denkbar wenig talentierten Popliteraten namens Peutz, stand als Text im Zentrum der Lesung. Die frechen Kostproben von dessen „Kunst“, die sich mit dem einsamen Macho-Wolf am Tresen sowie köstlich inflationär mit Huren und Madonnen befassen, wurden vom Publikum mit großem Gelächter aufgenommen, wie überhaupt die Gäste den Witz auch der anderen Textproben sichtlich zu schätzen wussten. Alois Knoller bezeichnete im lokalen Feuilleton der Augsburger Allgemeinen den Roman als ein „rasantes Schelmenstück“. Die Schlange vor dem Signiertisch ließ die Vermutung aufkommen, dass auch viele andere Leser herausfinden wollen, was es mit dem großen Subbotnik, den Hysterikerinnen der Weltliteratur und diesen seltsamen Listen auf sich hat. Es handelt sich bei „Ellens Listen“ um keinen Schlüsselloch-Roman, aber für Kundige der Augsburger Kulturszene lassen sich hinter diversen Erzählfiguren zarte Schatten realer Personen vermuten.