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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Lerne das Fußballspiel verstehen und du verstehst die Welt“

Auf Initiative der Augsburger peace-factory gab sich Klaus Theweleit im Rahmen des städtischen Kulturprogramms zur Fußballfrauen-WM die Ehre und las am vergangenen Donnerstag in der Neuen Stadtbücherei aus seinem Buch „Tor zur Welt“ vor.

Von Siegfried Zagler

Theorie-Ikone der 68er Generation: Klaus Theweleit in der Neuen Stadtbücherei

Theorie-Ikone der 68er Generation: Klaus Theweleit in der Neuen Stadtbücherei


Klaus Theweleit war eine Theorie-Ikone der sich bereits in Rückzuggefechten verstrickten 68er Generation. Seine 1977/78 publizierte und mit summa cum laude bewertete Dissertationsschrift „Männerphantasien“ gehörte am Ende der politisch aufgekratzten und theorieorientierten 70er Jahre zu den wichtigsten Pflichtbüchern der linksalternativen Politik- und Kulturszene. Das schwer lesbare, nahezu 1.200 Seiten umfassende Werk wurde nicht nur in Cohn-Bendits „Pflasterstrand“, sondern in allen wichtigen europäischen Feuilletons hin- und herbesprochen. „Männerphantasien“ war ein Megabestseller, wurde 200.000 Mal verkauft, in zahlreiche Sprachen übersetzt und machte Theweleit zu einem intellektuellen Superstar. Das sollte aber nicht ausschlaggebend für die Einschätzung sein, dass es nicht besonders für die hiesige Kultur- und Fußballversteherszene spricht, dass am vergangenen Donnerstag, als Theweleit im Rahmen des Rahmenprogramms zur Frauenfußballweltmeisterschaft in Augsburg zu Gast war, nur 25 Zuhörer in der Neuen Stadtbücherei zugegen waren.

Die offizielle Beendigung des latent Soldatischen in Deutschland durch den Fußball der 70er

Theweleits Gelehrten-Popularität speist sich nämlich nicht nur aus der tiefenpsychologischen Männerphantasien-These, dass die ihren Gewaltphantasien nachsteigende Soldateska nur drei Frauentypen kenne (die Mutter, die weiße Krankenschwester und die Hure), sondern auch daraus, dass der Fußball die Welt zum Besseren wenden könne. Nicht die Vereinten Nationen und schon gar nicht der IWF oder die Planwirtschaften, sondern der Fußball berge jene utopische Kraft, die das Systemische der ungerechten Verteilung zu überwinden trachte. Die Kunstfertigkeit der Spieler, deren Spielkultur sich verfeinert habe, habe in hohem Maße die Treter und Grätscher obsolet gemacht. Mit dem Verschwinden der Holzfüße auf dem Rasen habe sich auch der Hooliganismus und die Gewaltbereitschaft im Publikum rar gemacht. Dieser zivilisatorische Fortschritt ist nach Auffassung von Theweleit vom Platz auf die Ränge übergesprungen. „Lerne das Fußballspiel verstehen und du verstehst die Welt“, könnte der erste Lehrsatz des akademischen Fußballverstehers Theweleit heißen. Das Motto des Rahmenprogramms zur Frauen-WM im Sommer setzt noch einen drauf: „Geh hin, und du wirst ein besserer Mensch“. Je differenzierter und gelenkter das Feld der Träume bespielt wird, desto stärker taugt es zur Projektionsfläche für fortschrittliche Gesellschaftsmodelle. Konkret hört sich das in Klaus Theweleits Fußballbuch „Tor zur Welt“ folgendermaßen an: „Den beiden großen Emanzipationsbewegungen der 70er Jahre darf man, mit gewissen Einschränkungen, die Entwicklung im Fußball als einen weiteren Strang hinzufügen. Die partielle Befreiung des Fußballs aus seinen bis dahin vorherrschenden Kommandostrukturen bedeutete vor der Welt so etwas wie die offizielle Beendigung des latent Soldatischen in Deutschland, von dessen Untergang noch niemand so recht überzeugt gewesen war“ („Das Tor zur Welt“, Kiepenheuer & Witsch, 2004). Theweleit las daraus vor, um anschließend ein Interview mit der Nationalspielerin Fatmire Bajramaj vorzulesen, damit dem Publikum auch aus weiblicher Perspektive klar werde, wie zu verstehen sei, was er meine.

Fußball verweist mehr als auf Resultate und Tabellen

Wäre Kulturreferent Peter Grab anwesend gewesen, hätte er zumindest eine Ahnung davon bekommen können, auf welch niedrigem Niveau das städtische ku.spo-Projekt eingeläutet und gegen die Wand gefahren wurde. Die wahre Überraschung des Abends bestand allerdings darin, dass Richard Goerlich als städtischer Popkulturbeauftragter im Gespräch mit Theweleit auf Augenhöhe mithalten konnte und sich im Kurzpassspiel mit dem Publikum ein spannender Diskurs entwickelte. Mag die von Theweleit beschriebenen These, dass interaktive Parallelitäten bezüglich technisch-taktischer Fußball-Fortschreibungen und gesellschaftlichem Fortschritt bestehen, partiell noch so naiv sein, richtig platt ist sie auch in ihren esoterischsten Ausformungen nicht, was damit zu tun haben könnte, dass sich bei parallelen Prozessen Wirkungszusammenhänge im Nachhinein leichter herleiten als abstreiten lassen. Außerdem wäre Theweleit nicht Theweleit, würde er nicht stets Raum für Augenzwinkern und ironische Distanz herstellen. Und da die Erkenntnis, dass das Fußballspiel auf mehr verweist als auf Resultate und Tabellen, ohnehin längst ein Allgemeinplatz geworden ist, hat man die politische Dimension in der Verweisstruktur dessen, was auf dem Rasen passiert, bis zu einem gewissen Punkt ernst zu nehmen, auch wenn Dr. Klaus Theweleit die niederländischen Offensivstrategien und die damit verbundenen Heilslehren für den deutschen Fußball aus dem Munde Jürgen Klinsmanns im Jahre 2004 maßlos überschätzte.