Lange Brechtnacht: Sophie Hunger begeistert
Ein beeindruckendes Konzert weit abseits des Gewöhnlichen
Geht Sophie Hunger nicht so oft ins Theater? Ihren Begrüßungsworten ans Augsburger Publikum könnte man das entnehmen – sie gab sich die Musikerin durchaus beeindruckt vom gediegenen Ambiente des Großen Hauses: „Gestern waren wir in einem Bunker. Das ist jetzt hier ganz anders. Entsprechend werden wir heute auch viel schöner spielen.“
Von Frank Heindl
„Schön spielen“ ist natürlich ein weiter Begriff – und gar schon bei dieser schwer definierbaren Musik der 32jährigen Schweizerin und ihrer ebenso außergewöhnlichen Band. Rock ist das eigentlich nicht – dafür ist es oft zu filigran, zu schwebend, zu abstrakt. Pop schon gar nicht – auch weil die Arrangements zu diffus, zu unklar, zu offen sind: Von wegen Grundform AABA – war da jetzt ein Refrain oder war das eine einzige durchkomponierte Strophe? Und für Jazz ist es dann doch wieder zu eindeutig, zu melodisch, zu direkt.
Ein Spezialist für kuriose Gitarrensoli
Auch in ihrem Auftreten lässt Hunger viele Möglichkeiten offen: So „einfach“ wirkt sie, so sympathisch ungeschminkt natürlich, dass man erst mal auf die Singer/Songwriter-Masche hereinfällt, wenn sie mit umgehängter Akustikgitarre anfängt. Aber dann läuft sie zum Flügel rüber um dort nur ein paar wenige tiefe Töne heftig anzuschlagen, und wenig später drischt sie martialisch auf eine E-Gitarre ein – und schon ist das Bild von der schüchternen Susan-Vega-Nachfolgerin gründlich zerstört. Wobei ihre mitunter eher ungelenk-zurückhaltende Körpersprache mit Sicherheit nicht das ist, was man auf der Musical-Akademie lernt … Das Ganze hat System: Denn nicht zu verorten ist vor allem auch Lead-Gitarrist Geoffrey Burton. Er sprüht vor Überraschungen, ist ein Spezialist für kuriose Solo-Einfälle, für nicht-eingängige Improvisationsteile und merkwürdige Geräusch-Einsprengsel, kann unvermutet in deftigen Rock’n‘Roll kippen und ebenso schnell wieder raus schliddern aus dem dazugehörigen Harmonieschema. Nicht Pop, nicht Jazz, nicht Rock – Sophie-Hunger-Stil entsteht in eben dieser Mixtur und ist damit ein sehr eigenständiges Markenzeichen.
Uneindeutig, aber eindeutig faszinierend
Zur Band gehören auch noch Simon Gerber an Bass und Klarinette, Alexis Anerilles an Tasteninstrumenten und Flügelhorn sowie der Schlagzeuger Alberto Malo. Fünf Musiker also nur, die ein schwer definierbares, aber äußerst homogenes Ganzes ergeben und mit ihrem Sound eine durchsichtig-dichte Hülle schaffen für Sophie Hungers Texte, für die der Begriff Poesie nicht zu hochgegriffen ist. Das zu erkennen, hätte es keines Brecht-Gedichtes bedurft, Hunger rezitiert aber doch eines: “Baals Lied” mit dem erotisch eingängig-eindeutigen Strophenschluss „ich liebe das“. Was die Musikerin davon hält, lässt sie allerdings offen, wirft das Bändchen lässig in die Ecke und singt weiter – „Supermoon“ und, als Zugabe, den Text vom „Niemand“, ebenso uneindeutig wie das ganze Konzert, aber doch eindeutig faszinierend.
Foto: Von wegen Singer-Songwirter-Klischee: Hunger beherrscht viele Klangfarben. (Foto: Frank Heindl)