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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Kulturausschuss im Marionetten-Modus

Das Gezänk um die Zukunft des Brechtfestivals sollte langsam in der Politik ankommen. Am vergangenen Dienstag wäre dafür Gelegenheit gewesen, doch die Regierungsparteien wollten davon nichts wissen. Was am vergangenen Dienstag im Kulturausschuss geschah, sollte man als Lehrstunde der Hinterzimmerakteure begreifen.

Von Siegfried Zagler

I

Mit acht zu fünf Stimmen, stimmte der Kulturausschuss dafür, dass es Beratungsbedarf zum Brechtfestival gibt, obwohl nicht bekannt gemacht wurde, was denn zu beraten wäre. Der Augsburger Kulturausschuss folgte mit dieser Vorgehensweise den Winkelzügen eines Pensionärs und erklärte sich somit zum Marionetten-Ausschuss. Zum ersten Mal hätte in einem öffentlichen Gremium über die Zukunft des Brechtfestivals diskutiert werden sollen, um mögliche Weichenstellung in Sachen Brecht darzustellen und zu plausibilisieren. Dieses Vorgehen entspräche unserer demokratischen Kultur. Auf Drängen der SPD wurde der Punkt von der Tagesordnung genommen. Wenn sich ein Fachausschuss (mit den Stimmen der SPD und der CSU) selbst von seinen Aufgaben entbindet, ist etwas faul im Staate Dänemark.

II

Dass man bisher noch kein einziges Mal in einem öffentlichen städtischen Gremium über die Zukunft des Brechtfestivals debattieren konnte, obwohl in wenigen Wochen der Vertrag des Festivalleiters ausläuft, hat damit zu tun, dass sich weder Karl-Heinz Schneider (wie auch?) noch Margarete Heinrich als SPD noch die „drei SPD-Frauen“ im Kulturausschuss oder in den Medien zum Brechtfestival äußern wollen. Am Dienstag schwiegen „Gabriele Schneider-Thoma“, „Jutta Schneider-Fiener“ und „Sieglinde Schneider-Wisniewski“ im Kulturausschuss beharrlich, als sie von der Opposition bedrängt wurden, zu sagen, worüber man denn bei der SPD noch beraten müsse.

III

Der Beratungsbedarf der SPD wurde längst über alle Maßen strapaziert – und zwar durch die „heiligen Botschaften“ von Schneider und Lang. Beide sind (dies nur nebenbei) die schlechtesten Berater, die man sich vorstellen kann. Karl-Heinz Schneider hat keine Ahnung von Brecht und Lang nicht die geringste Ahnung davon, wie man ein Festival macht. Die Anmeldung eines SPD-Beratungsbedarfs ist also nichts anderes als ein taktischer Winkelzug eines erfahrenen Politikers im Ruhestand, der es sich als Mitglied des SPD-Teams bei der Koalitionsverhandlung nicht nehmen ließ, den Satz „Eine weitere Verpflichtung des Brechtfestival-Leiters um drei Jahre wird angestrebt“ ins Koalitionspapier zu meißeln.

IV

Der Koalitionsvertrag zwischen der CSU und der SPD wurde am 17. April unterzeichnet. Am 2. Mai wurde Thomas Weitzel vom Stadtrat zum Kulturreferenten gewählt. Für Weitzel ist diese Formulierung im Koalitionsvertrag nicht belastbar. Schließlich hat er ganz andere Pläne als der aktuelle Festivalleiter und Karl-Heinz Schneider, der die Lang-Festivalreihe wohl als die größte Brecht-Huldigung betrachtet, zu der sich die Stadt Augsburg bisher aufraffen konnte. Unabhängig davon, ist es ein zutiefst undemokratisches Gebaren, die individuelle Präferenz eines einzelnen SPD-Pensionärs über einen politischen Meinungsbildungsprozess zu stellen. Unser kompliziertes und teures parlamentarisches System dient nichts anderem als dem Prozess der Meinungsbildung.

V

Sieht sich nun eine politische Gruppierung aufgrund der aktuellen Mehrheitsverhältnisse in der Lage, diesen anstregenden Prozess zu umschiffen, wird sie dafür in aller Regel vom Wähler abgestraft. Die CSU befindet sich in Bayern seit mehr als einem halben Jahrhundert an der Macht. Sie ist die Ausnahme der Regel. So gesehen wundert sich in Bayern niemand, wenn es die CSU mit den „pietistischen Sperenzchen“ der demokratischen Prozesse nicht so genau nimmt. Steckt aber die SPD in dieser Umschiffungssystematik, dann ist das tödlich für eine Partei, die in Bayern seit Jahrzehnten die Instrumente der Demokratie als das kostbarste gesellschaftliche Gut anmahnt. Karl-Heinz Schneider und seine SPD unterlaufen mit ihrer Aktion, das Brechtfestival von den politischen Gremien fernzuhalten, ihre eigenen demokratischen Ansprüche und bringen sich somit selbst in höchste Gefahr. Bereits am Dienstagabend wurde Schneider auf einer Sitzung des Brechtkreises für seine Lobbyarbeit in Sachen Lang auf offenem Feld attackiert. Anwesend dabei Lang selbst und Kulturreferent Weitzel. Angegriffen wurde Schneider von dem ehemaligen kulturpolitischen Sprecher der SPD, Dr. Frank Mardaus, der sich über das Vorgehen von Schneider echauffierte.

VI

Dass Weitzel und der Kulturausschuss in ihrer Funktion als kulturpolitische Instanz von einer einzelnen Person ausgeschaltet werden konnten, ist nur deshalb möglich, weil der Fraktionschef der CSU, Bernd Kränzle, mitspielte. Bernd Kränzle macht das zwar von Tag zu Tag widerwilliger, aber wegen einem Jahr mehr oder weniger mit Joachim Lang will der ängstliche „Mr. Klebstoff“ den Koalitionsfrieden nicht riskieren. Mit Thomas Weitzel wurde nach einer gefühlten Ewigkeit in Augsburg wieder ein Fachmann ins Amt des Kulturreferenten gehievt. Am vergangenen Dienstag räumte er im nichtöffentlichen Teil des Kulturausschusses seine Niederlage ein. Das Verhindern der politischen Diskussion und die damit zusammenhängenden verschobenen Entscheidungsverläufe machten es ihm unmöglich, für „sein“ Brechtfestival die gebotene Planungssicherheit herzustellen. Schneiders Strategie des Hinwartens scheint also aufzugehen. Das ist der eigentlich Skandal in der Frage, wie es mit dem Brechtfestival weitergehen soll.

VII

Thomas Weitzels Rolle sollte in dieser Angelegenheit mit einer gewissen Milde bewertet werden, obwohl nicht der geringste Zweifel daran besteht, dass er selbst seine eigenen Pläne verbockt hat. Das politische Greenhorn Weitzel hat im Sommer dieses Jahres nicht erkennen wollen, dass er mit dem „Problem Schneider/Lang/Kränzle“ ganz anders hätte verfahren müssen. Er hätte mit einem großen Hammer und einem groben Keil operieren müssen. Bernd Kränzle reagiert nicht auf feines Zungengeschnalz oder Gesprächsmitschriften. Hätte sich Weitzel damals in den Wind gestellt, würden ihn die ersten Narben schmücken und er hätte sich die ersten politischen Meriten verdient, und zwar völlig unabhängig davon, wie dieser offene Kampf um die zukünftige Brechtpflege ausgegangen wäre.

VIII

An dieser Stelle soll festgehalten werden, dass Dr. Joachim Lang in Sachen Überlebenskunst große Qualität gezeigt hat. Seine Leistung besteht darin, durchgehalten zu haben und darin, dass er als vertragsabhängiger Partner der Stadt immer auf der politischen Ebene bezüglich seiner Vertragsverlängerung mitreden durfte. Letzteres ist ein Unding, das der Stadt jetzt auf die Füße fiel. Bertolt Brechts Werk hat Lang trotz einer sechsjährigen Festivalreihe zwar nur gestreift, aber er hat mit seinem oberflächlichen Brecht-Verständnis nur eine kleine Schar Experten vergrätzt, während sich die politische Kaste (Ausnahme: die Grünen) und das große Publikum an der aberwitzigen Legende einer neuen Brecht-Rezeption erfreuten.