Kreuzbandriss: der Schock, die Diagnose, die Hoffnung
Jan Moraveks Karriere trägt die Züge eines Dramas.
Von Siegfried Zagler
Als Jan M. am vergangenen Samstag in der SGL-Arena kurz vor der Halbzeit zu Boden sank, ohne dass ihm jemand etwas Böses getan hätte, musste man mit dem Schlimmsten rechnen. Alle bösen Ahnungen wurden bestätigt: Jan Moravek hat sich in einem Vorbereitungsspiel ohne gegenerische Einwirkung das Kreuzband gerissen. Bis zu seinem Comeback wird ein halbes Jahr vergehen, dann ist die Hinrunde der kommenden Bundesligasaison vorbei. Für den FCA bedeutet das nach dem Abgang von Kevin Vogt eine große Schwächung. Dort, wo Moravek seine Kreise zog, fehlt es nun an gleichwertiger Qualität. Für Jan Moravek handelt es sich um eine Tragödie.
Moravek ist laufstark. Er ist ein kämpferisch wie technisch hochkarätiger Bundesligaspieler, der sich an taktische Marschrouten hält und jeden Zweikampf mit höchster Konzentration annimmt. Jan Moravek ist, wenn er gesund ist, ein Spieler, den man im Mittelfeld sehr variabel einsetzen kann. – Moravek kam 2012 angeschlagen zum FCA. Seine muskulären Probleme waren keine vorübergehenden Erscheinungen, sondern eine Art Seuche. Dann schien man das Übel entdeckt zu haben und zog ihm einen Zahn. Immer wieder warfen Jan Moravek Verletzungen zurück, immer wieder kämpfte sich der Tscheche zurück in die Stammelf. Nun hat ihn eine der schwersten Verletzungen heimgesucht, die es für einen Fußballprofi zu verdauen gibt.
Einem Spieler, dem das Prädikat “verletzungsanfällig“ anhängt, wird nach einer dergestalt schweren Verletzung nicht selten das Karriereende „weisgesagt“. Das ist dummes Zeug: Moravek ist mit 24 Jahren jung genug, um einen Kreuzbandriss zu überwinden und in alter Leistungsstärke zurück zu kommen. Sami Khedira hat sechs Monate nach der gleichen Verletzung in der Startelf von Real Madrid die Champions-League gewonnen und wäre wohl auch in der Weltmeisterelf gestanden, wenn er sich nicht vor dem Finale beim Warmmachen gezerrt hätte. Wenn man nach einer schweren Verletzung wieder zurückkommt, ist man gegen weitere Verletzungen nicht immun, aber auch nicht zwangsläufig verletzungsanfälliger als andere. Vieles ist vom Zufall bestimmt, der oft leichtfertig als „Schicksal“ bezeichnet wird.
Philip Lahm hatte zu Beginn seiner Karriere einen Ermüdungsbruch im Schienbein wegzustecken. Lothar Matthäus überwand noch im reifen Fußballalter einen Kreuzbandriss. Aber es gab und gibt viele Fußballspieler, die aufgrund der Häufung ihrer Verletzungen ihre Karriere beenden mussten, und zwar in erster Linie deshalb, weil sie ihrem Körper nicht mehr vertrauen konnten. Sebastian Deisler ist der prominenteste unter ihnen.
Heinz Simmet spielte bei Köln 289 Bundesligaspiele in Folge (vom 14.10. 1967 bis 3.12.1977), ohne dass ihm dabei ein Haar gekrümmt wurde. Das ist der großartigste Rekord, den die Liga kennt. Dabei war Simmet kein leichtfüßiger Fußballer wie Ryan Giggs, sondern ein eisenharter Verteidiger, der mit seiner stillen und bescheidenen Art ein naher Verwandter Jan Moraveks sein könnte. Für Moravek beginnt heute die Stunde Null. Wenn er wieder im Kader steht, ist ihm seine erste verletzungsfreie Saison beim FCA zu wünschen. Und selbstverständlich eine zweite und dritte und falls Jan Moravek tatsächlich mit 29 Jahren in Augsburg seine vierte Bundesligasaison in Folge spielen sollte, könnte man die nun folgende schwere Zeit nicht im schwerblütigen Duktus eines Dramas erzählen, sondern im Tonfall einer Anekdote. – Die Karriere des Jan Moravek wäre mehr als die Geschichte eines außergewöhnlichen Talents, wenn sie noch einmal eine positive Wendung nehmen würde.