Kresslesmühle: Kurze Geschichte eines langen Scheiterns
Die Kresslesmühle war in den siebziger und achtziger Jahren ein Bürgerhaus mit politischer Zielsetzung. Diese Tradition soll nun wieder aufgegriffen werden. Dass die Geschichte des Bürgerhauses Kresslesmühle keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Geschichte des Scheiterns auf höherem Niveau war, gehört zu den versteckten Geheimnissen der Stadt. Der von Reiner Erben angestrengte Wiederbelebungsversuch darf demnach auch als Verklärungsversuch der eigenen Geschichte verstanden werden.
Von Siegfried Zagler
Die Augsburger Kresslesmühle gehört als Immoblie zum historischen Inventar der Stadt wie die Stadtmauer oder der Fünffingerlesturm. Ihre erste Erwähnung datiert aus dem Jahre 1276. Damals hieß sie „Klessingesmul“. Stadtmühlen wurden nicht nur zum Mahlen von Mehl gebraucht, sondern auch als Papier-, Pulver-, Steinschneide-, Spiegelpolier- oder Gewürzmühlen. Die Augsburger „Gresslesmühle“ arbeitete bis in die Moderne als Getreidemühle. Als es keinen Müller mehr gab, der das mühselige Mahlgeschäft fortführen wollte, erwarb die Stadt das Gebäude und sanierte es. Das war 1975. Zwei Jahre später entstand durch politischen Druck der „Bürgeraktion Lechviertel e.V.“ das „Bürgerhaus Kresslesmühle“. Die Augsburger Altstadt war damals ein vitaler Ort mit einer einzigartigen kulturellen Signatur. Damals wurde die Altstadt von zahlreichen türkischen Familien, aber auch von Griechen, Italienern und Studenten „besiedelt“. Sie praktizierten ohne Integrationsbeauftragten in der Unterstadt die urbane Solidarität der Bürger mit geringem Einkommen. Die Altstadt war im Jargon der ersten soziologischen Beschreibungsversuche ein „multikultureller Ort“. Die Bausubstanz der Altstadt war auf dem Niveau der Vorkriegszeit. Nur wenige Wohnungen hatten eine Zentralheizung, überall bröckelte der Putz, die Mieten waren niedrig. In dieser morbiden wie lebendigen Struktur gab es in atemberaubender Enge eine Vielfalt sozialer Lebensformen, die sich auch in den Cafés und den Kneipen widerspiegelte. Türkische Muslime, Studenten, Wohngemeinschaften, Künstler und viele Kinder wohnten und lebten nebeneinander und versprühten in den Gassen und den Plätzen der Altstadt eine Aura der Solidarität und Toleranz. Diese Atmosphäre prägte das Quartier, ohne dass sich nennenswerte kulturell entwickelte Schnittmengen ergaben. Die Altstadt war damals, im Gegensatz zu heute, ein interessanter Ort, deren Bewohner sich keinen Tag gegrämt hätten, wäre die Kresslesmühle angesichts ihrer wirkungslosen Selbstreferenz von einem Tag auf den anderen implodiert.
Ein bürgerliches Abbild der Graswurzelrevolution, die sich am Ende …
Die Kresslesmühle war als Bürgerhaus sowie Kultur- und Begegnungszentrum von Beginn an ein linksalternatives soziokulturelles Zentrum, ohne dass dies dem damaligen Stadtrat richtig bewusst war. Schritt für Schritt entwickelte sich die Mühle in der Schnittstelle von Jakobervorstadt und Altstadt trotz des linken Glockenspiels zu einer anerkannten Einrichtung, weil sie versuchte, großstädtische Projekte, die in Berlin und Frankfurt stadtteilprägend und erfolgreich eingeführt waren, in die Provinz zu übersetzen. Die Mühle nährte sich in ihrer politischen Rechtfertigungsmatrix von der kulturellen Vielschichtigkeit der Altstadt, die mithilfe der Mühle verstanden und moderiert werden sollte. Das Modell „Kinderläden“ nannte sich in der Mühle „betreutes Spielen“ oder „Hausaufgabenhilfe“. Damals gab es in der Stadt eine „linksalternative“ Kneipenkultur, linke Lebensmittelläden, linke Teestuben, linke Klamotten- und Schuhläden, linke Schreibwarenläden und selbstverständlich linke Druckereien sowie linke Monatszeitschriften. Links-Sein war sexy. Es gab einen Mühle-Veranstaltungskalender, der in jeder Wohngemeinschaft hing. Die Veranstaltungen der Mühle waren nicht nur ein Teil der „Graswurzelrevolution“, die den „Marsch durch die Institutionen“ kulturell unterfüttern sollten, sondern das komplette Abbild davon.
… nur noch mit sich selbst und anderen irrelevanten Dingen beschäftigte
Die Augsburger „linksalternative Szene“ hatte mit der Mühle einen bürgerlichen Ableger, der innerhalb der Szene, die damals (wie heute) überschaubar war, von Beginn an angefeindet wurde, weil die „Akademiker-Linken“ ohne Anspruch auf radikal gesellschaftlichen Fortschritt nur auf städtische Fördermittel aus seien, ohne dabei ein „auf die „wahren gesellschaftlichen Missstände“ abzielendes Konzept vorweisen zu können. Die Mühle, so die damalige Kritik aus „den eigenen Reihen“, war nichts weiter als ein behäbiger kleinbürgerlicher Verein, der sich zuvorderst mit sich selbst und anderen irrelevanten Dingen beschäftigte. Der Spagat zwischen einer umtriebigen Szene und einer von bürgerlichen Parteien regierten Stadt sollte irgendwie geschlagen werden. Gelungen ist er nie, was übrigens für viele Einrichtungen dieser Art bundesweit galt, die im Prinzip mit dem Niedergang einer linken Sozialdemokratie und dem Verschwinden der Bonner Republik zu Grabe getragen wurden. Hansi Ruile besaß jedoch in den Siebzigern und Achtzigern eine überzeugende Vitalität und später den langen Atem, sein Projekt in den Plural zu überführen, also zu Projekten zu machen und den Trends der Zeit anzupassen.
Als nach der Komplettsanierung der Altstadt Ende der achtziger Jahre das Quartier einen soziologischen Umbruch erfuhr (damals gab es den Begriff der Gentrifikation noch nicht), also die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten von Lehrern, Handwerkern, Journalisten, Architekten, Ärzten und Anwälten ersetzt wurden, verlor die Mühle ihren Daseinsgrund. – Die Probleme, die möglicherweise keine waren, die aber die Mühle zu beschreiben und mit Kultur- und Sozialarbeit zu steuern versuchten, waren weder hinreichend beschrieben und noch viel weniger gesteuert, sondern einfach nach Oberhausen „umgezogen“, wo sie sich tatsächlich als Probleme erwiesen. Wenn man es zugespitzt formuliert, hat der Trägerverein der Mühle, die „Bürgeraktion Lechviertel“, zur Gentrifizierung der Altstadt beigetragen, da die Altstadtsanierung von diesem Verein unterstützt wurde. Das ehemalige vielkulturelle Quartier wurde von der damaligen SPD-Regierung zu einer „guten Stube“ saniert, deren „Abort“ sich nun in einem fernen Stadtteil befand, wie es ein Artikel in der ZEIT 1989 beschrieb.
Von der Integrationsarbeit zum Toskana-Gefühl …
Hansi Ruile ersetzte in den neunziger Jahren den ehemaligen Mühle-Anspruch der Siebziger, die Welt besser verstehen und besser machen zu wollen, durch die Hinwendung an ein qualitativ hochwertiges Lebensgefühl. Und zwar in einer Art und Weise, die die Vorstellung evozierte, dass eine Integrationsarbeit der Stadt Augsburg mit dem Verschwinden der Migranten aus der Altstadt nicht mehr notwendig sei. Die Toskana war längst zu einer Fluchtburg der inzwischen arrivierten Graswurzelrevolutionäre geworden. Das toskanische Lebensgefühl wurde thematisch mit der Kultur der Straßenkunst angereichert und fertig war die “neue Mühle”. Das Ganze nannte sich „La Piazza“ und war eine Art Abgesang an die sich verflüchtigende Kultur eines oppositionell-politischen Lebensgefühls. Ein Gefühl, das damals von der untergehenden Kunst des Straßentheaters flankiert wurde. Untergänge sind romantisch und kurzweilig, also Prozesse, deren Glanz nicht lange anhält. Die von Ruile reklamierte „Revitalisierung der City durch Kultur und die kulturelle Aneignung des öffentlichen Raumes durch eine moderne urbane Erlebniskultur“ verlor aber im Lauf der Jahre nicht nur Glanz, sondern auch ihre künstlerische wie gesellschaftliche Bedeutung. Die Mühle schien am Ende. Eine einfache Bilanz setzte den Machern zu: Den hohen Kosten standen zu wenig Einnahmen und zu geringfügige Relevanz gegenüber. Die Mühle hatte sich überlebt. Damals fehlte der zeitliche Abstand und die Forschung, um diese Erkenntnis zu generieren, heute will man die institutionalisierten Mühle-Fördergelder nicht verlieren. Das Bürgerhaus Kresslesmühle existiert selbst bei ehemaligen „Mühlianern“ nur noch als Reminiszenz vergangener Attitüden einer vergangenen Jugend. Die Kneipe der Mühle degenerierte in den Neunzigern zu einem Ort des Jammerns und zu einem gehobenen Alkoholikertreff, der in den späten Nachstunden seine Fortsetzung in der Ecke-Galerie fand. Die Stadt hatte signalisiert, dass sie nicht jede Drehung mitmacht, aber Hansi Ruile bekam eine weitere Chance – die er zu nutzen verstand.
… hin zur Hochburg des Kabaretts
Die „Muile“ wurde geboren. Die Kresslesmühle wurde zu einer One-man show, was die ursprüngliche Konzeption der Mühle von vielen Beinen auf einen Kopf stellte. Einem Hansi Ruile wollte und konnte niemand mehr folgen. Er entwickelte sich zum ersten Integrationstheoretiker der Stadt, zu einem Vordenker mit apodiktischem Tonfall, zu einer Persönlichkeit, die den Diskurs der Integration dominierte. Mit seiner „Interkulturellen Akademie“ hielt er den Ball der Diversity-Grammatik hoch. Gleichzeitig verwandelte er die Kresslesmühle in eine Hochburg des Kabaretts, die in ihrer intensivsten Phase 300 Kabarett-Veranstaltungen pro Jahr anbot. Die Mühle wurde in der Stadt als hochgelobte Unterhaltungsplattform wahrgenommen. Bei den Grünen und der SPD wurden im Stadtrat die Bedenken immer lauter. Von einem Bürgerhaus mit linksalternativer Programmatik hin zu einem Veranstaltungsbüro für italienische Nächte bis zu einer Agentur für akademische Vorträge und einer Art Amt zur Förderung der Kabarett-Kunst, hatte sich die Mühle den Trends der Zeit unterworfen und sich stets mit städtischen Fördermitteln dorthin entwickelt, wo Hansi Ruile hin wollte.
Das neue Konzept knüpft an das alte an …
Der Rest der Geschichte ist bekannt: Ruile ging in Rente. Seine Nachfolgerin Gabrielle Spiller scheiterte schneller als vermutet. Der Beirat besetzte die Geschäftsführerstelle nicht neu. OB Kurt Gribl brachte nach der Kommunalwahl 2014 mit Reiner Erben einen Grünen Referenten in die politische Verantwortung für die Kresslesmühle. Reiner Erben kam lange nicht in die Gänge. Dann legte er ein Papier vor, das nur zur Hälfte umgesetzt wurde, was vor allem daran lag, dass Erben niemand finden sollte, der die Gastronomie übernehmen wollte. Der erste und richtige Gedanke: Die Konzeption des “Neruda-Wirts” Fikret Yakaboylu sollte teilweise auf die Mühle übertragen werden. Yakaboylu sagte nach langen Verhandlungen ab. Seine Begründung war einleuchtend: „Die Stadt meint in erster Linie, ich bin ein Gastronom. Bin ich aber nicht.“ Fikret Yakaboylu betreibt seit vielen Jahren sehr erfolgreich eine Künstlerkneipe, in der fast jeden Abend eine Live-Veranstaltung stattfindet. Seine Einflussnahme als “Mühlewirt” auf die künstlerische Ausrichtung der Kresslesmühle erschien ihm zu gering. Das neue „Kulturhaus Kresslesmühle“ sollte die Initialzündung und Rechtfertigung für den Zusammenschluss der „Fachstelle Integration“ und Teilen des „Büros für Frieden und Interkultur“ bilden. Das „Büro für Migration, Vielfalt und Interkultur“ wurde geschaffen und verbraucht nun wohl den größten Anteil der 190.000 Euro, die jedes Jahr für die Kresslesmühle in den städtischen Haushalt gestellt werden.
„Die neue BAT-Boheme kann es genauso wie Spiller, nämlich auch nicht”, so witzelte gestern Abend während eines Konzertes in der Mühle ein Konzertbesucher in Richtung DAZ und fand dabei viel Zustimmung. Das “Mühlebüro” um Margarete Spohn, also Dr. Spohn, Michi Hegele und Robert Vogl können die Mühle als gesamtstädtisches Kulturzentrum nicht reanimieren, weil sie ein Teil des Problems sind und nicht ein Teil der Lösung. Die Kresslesmühle wurde in den siebziger Jahren von Ruile und Freunden besetzt und ihre Nutzung als “Kleinkunstbühne” mit dem Gedanken der Stadtentwicklung vehement eingefordert. Mit der Kresslesmühle wurden Lebenskonzepte verknüpft, die von einem gesamtgesellschaftlichen Fortschrittsgedanken beseelt waren. Allein der Sachverhalt, dass die Stadt Augsburg der neue Mühle-Macher sein soll, zeigt an, dass Ruiles Projekt endgültig am Ende angekommen ist. Die Mühle kann nur von unten her gedacht und gemacht werden. Nur dann wird sie zum gesellschaftlichen Fortschrittsmotor wie das zum Beispiel beim Grandhotel oder beim City-Club der Fall ist.
… und trägt somit die Möglichkeit des Scheiterns als roten Lampion vor sich her
Das Grandhotel, der City Club, das Schwarze Schaf, das Weiße Lamm, die Kantine, die Soho Stage, das Spektrum, die Ballonfabrik, das Bombig, das Madhouse in Lechhausen und sogar das Stadtheater sind mit ihren Programmatiken näher bei der Philosophie einer sozio-kulturellen Einrichtung verortet als das die Mühle in den vergangenen zwanzig Jahren war. Jede Kneipe in der Jakober Vorstadt, in Lechhausen oder Oberhausen stellt heute mehr “Bürgerhaus” dar und leistet mehr Integrationsarbeit als die Mühle, wenn der Wirt das Herz auf dem richtigen Fleck trägt.