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Freitag, 16.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Konzentriertes Zusammenhören

Bach und Mozart, Schönberg, Gubaidulina und Schneid beim Mozartfest

Von Frank Heindl



Theoretisch mag das logisch scheinen: Dass man Bach und Mozart gehört haben muss, um Schönberg zu verstehen. Dass man die Wurzeln auch zeitgenössischer Komponisten erfahren kann, wenn man sich bewusst ihren Vorfahren nähert. Praktisch ist diese Herangehensweise nicht nur logisch, sondern vor allem verblüffend und mit hohem Genuss verbunden. Zumindest, wenn das Programm so stimmig ist, wie am vergangenen Mittwochabend im Rokokosaal des Schaezlerpalais‘: Das Mozartfest brachte dort Bach, Mozart, Schönberg, Gubaidulina und Schneid zusammen.

In den drei Mozartstücken des Abends kam allerdings Mozart selbst kaum vor: Es handelte sich um Bearbeitungen von Werken Johann Sebastian Bachs, die hier präsentiert wurden – Mozart hat Bachs Fugen- und Sonatenstimmen dabei „einfach“ auf drei Streichinstrumente verteilt. So begann der Abend also mit Bachscher Schwere – leicht aufgehellt durch Mozarts Instrumentierung. Und so war der Kontrast zum danach folgenden Schönbergschen Streichtrio längst nicht so stark, wie er zwischen „echtem“ Mozart und Schönberg gewesen wäre. Zu dessen Technik gehören zwar auch Kratz- und Reibegeräusche – doch ein unvermittelt auftauchender 6/8-Takt weist nicht nur rhythmisch auf musikhistorisch Zurückliegendes hin – aus dieser Stelle konnte man, ganz kurz, aber dafür umso erhellender – auch eine „Melodie-Seligkeit“ heraushören, die man gerade noch bei Bach/Mozart vermisst haben mochte.

Erhellende Zumutungen fürs Gehör

Doch dem Gehör wurden noch mehr erhellende Kapriolen zugemutet – denn im Anschluss an den größtenteils strengen, schweren und anstrengenden Schönberg hörte sich nun wieder Mozarts Streichtrios KV 404a geradezu leicht und beschwingt an – obwohl es sich abermals um Bachbearbeitungen handelte. Und mit dem anschließend dargebotenen Streichtrio von Sofia Gubaidulina änderte sich die Perspektive noch einmal: Obwohl diese Komponisten mit abstrakt-mathematischen Prinzipien arbeitet, wirkte ihr Streichtrio an manchen Stellen geradezu leichtfüßig und offen im Vergleich zu Schönbergs strenger, kontrapunktischer Technik.

Nach der Pause gab es eine weitere Mozartsche Bachberabeitung – und dann, zweifellos als Höhepunkt des Abends, die Uraufführung eines Streichtrios des in Franken geborenen, aber in Königsbrunn aufgewachsenen Komponisten Tobias PM Schneid (siehe auch DAZ-Interview). Schneid sieht sein Werk als eine „Paraphrase über die unterschiedlichsten Formen zwischen-menschlichen Dialogisierens.“ Dazu gehört, dem Höreindruck nach zu urteilen, das „vernünftige“ Gespräch ebenso wie stumpfes Aneinandervorbeireden und aggressiver Streit.

Ein atemloser Schrei der musikalischen Verausgabung

Der heftige Aufschrei, den die Musiker inmitten des Stückes ausstoßen, dürfte dabei zweierlei Intention haben: Zum einen ertönt er geradezu zwangsläufig als Kulminationspunkt einer atemlosen Spannung, die sich dem Zuhörer regelrecht körperlich mitteilt – zum anderen manifestiert er auch die kaum mehr überschreitbare Grenze musikalischer Verausgabung, die die drei Musiker zu leisten hatten – wobei ihnen der Komponist dann doch nur ein kurzes Luftholen gönnt vor neuerlichem Sturz in musikalisch-assoziative Welten des gehetzt und gejagt Werdens, in Welten also, die gegenwärtig-aktueller kaum erdacht sein könnten. Dass sich auch bei Schneid – wie fast zu Anfang bei Schönberg – ein Dreivierteltakt mit diesem Programm durchaus vereinbaren lässt, war wieder eines der Aha-Erlebnisse, wie sie sich nur bei einem so konzentriert nachbarlichen Zusammenhören ergeben. Ein Glück, dass Mozartfest und “Mehr Musik” mit der gemeinsamen Vergabe des Kompositionsauftrags an Tobais Schneid solche Erkenntnisse ermöglicht haben!  Viel Applaus für Schneid und die Musiker des Abends: Agnes Malich (Geige), Chia-Long Tsai (Bratsche) und Johannes Gutfleisch (Cello).

» Interview mit Komponist Tobias PM Schneid