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Sonntag, 24.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Kongress am Park: Die Geschichte eines großen Verlustes

Franz Häußler hat sich in seiner neuen Publikation den Wittelsbacher Park vorgenommen. Es handelt sich um ein Buch, das einen großen Verlust dokumentiert.

Von Siegfried Zagler

Hallen der Gewerbeausstellung 1886 im Wittelsbacher Park

(Bild: Kunstsammlungen und Museen Augsburg)


Nach der Olympiade 1972 erlebte die Stadt München einen wirtschaftlichen Boom und verstand es dabei, ihr selbsterfundenes Image „Weltstadt mit Herz“ zu pflegen. Augsburg blieb eine Kanustrecke und ein Hotelturm – und verfiel zusehends in Agonie. Der Augsburger Hotelturm im Wittelsbacher Park ist deutschlandweit eines der herausragenden Merkmale für städtebauliche Barbarei und Zerstörung eines kulturell hochwertig nutzbaren Stadtgartens. Im Gegensatz zu seinen architektonischen eins zu eins Vorbildern in Chicago entstand der Hotelturm in Augsburg ohne städtebauliches Konzept, das über die Infrastruktur zur Nutzung einer Kongresshalle hinausging. Die Geschichte des Hotelturmes ist eine Geschichte von Firmen-Insolvenzen und menschlichen Tragödien – zwei Augsburger Großunternehmer, Otto Schnitzenbaumer und Hans Glöggler, zerschellten an der in Beton gegossenen Nachkriegs-Hybris einer Ära, die man heute als Industriezeitalter bezeichnet.

Der Abriss des Ludwigsbaues ist eine Ganoven-Geschichte

Der Turm wechselte mehrmals seine Besitzer und wurde schließlich 1979 erstmals für 35 Millionen DM zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben. „Im März 1980 bekam die Hessische Landesbank (ihr schuldete Glöggler aus dem Turmgeschäft immer noch 33 Mill. DM) den Zuschlag für 20 Mill. DM.“ (Franz Häußler: „Vom Ludwigsbau zum Kongress am Park“). Die Bank versuchte zu retten, was zu retten war und wies 328 Wohneinheiten als „Renditeobjekte für Kapitalanleger“ aus. Der untere Teil des Turms, die Hoteleinheit, wechselte ebenfalls mehrmals die Besitzer, wanderte vorübergehend gar für knapp 21 Millionen DM zu einer US-Holding mit Hauptsitz in Caracas. Viele Jahre moderte das Erdgeschoss, das 1972 gerade noch rechtzeitig als Vorzeige-Projekt vor der Olympiade eröffnet wurde, vor sich hin. Während der unübersichtlichen Nutzungs-Phase blühte in den Apartments die Wohnungsprostitution und der Drogenhandel.

Mit der Dorint AG kam der Umschwung

Augsburgs grüne Insel, Cover (Bild: context verlag Augsburg)

Augsburgs grüne Insel, Cover (Bild: context verlag Augsburg)


Erst zur Jahrtausendwende, als der der Hotelkonzern Dorint AG einstieg, begann sich die Lage in und um den Skandalbau herum zu normalisieren. Nicht weniger skandalös als die Nutzungsgeschichte des Turmes ist seine Entstehungsgeschichte. Dem Hotelturm, der samt Parkhaus und Kongresshalle an diesem Ort niemals hätte gebaut werden können, hätte es bereits 1965 das Instrument Bürgerbegehren gegeben, musste 1965 das letzte Gebäude eines historischen Ensembles weichen: der so genannte Ludwigsbau, benannt nach dem letzten Bayerischen König Ludwig III., dem letzten Herrscher der Wittelsbacher Dynastie. Der Abriss dieses Gebäudes ist eine Ganoven-Geschichte, die seinerzeit großen „Unmut“, wie Häußler schreibt, in der Augsburger Stadtgesellschaft hervorrief. Was dadurch unwiederbringlich verloren ging, beschreibt, besser bebildert Häußler in seinem Buch „Augsburgs grüne Insel“ ohne Gejammer und ohne Anklage, wie gewohnt ohne zu werten: „Die Geschichte des Stadtgartens und des ab 1895 angelegten Wittelsbacherparks begann mit der „Schwäbischen Kreisausstellung“ im Jahre 1886.“ Eine Ausstellung, die im Zeitraum von vier Monaten von 730.244 Menschen besucht wurde. Das historische Ensemble verschiedener Veranstaltungsorte war zu seiner Zeit das kulturelle Zentrum der Stadt: „Zum Abendprogramm gehörte stets Musik. Insgesamt 171 Konzerte des städtischen Orchesters, der Augsburger und auswärtigen Militärkapellen sind in der Ausstellungsbilanz verzeichnet.“

Gäbe es Verbrecheralben für Personen, die in Sachen Missmanagement eindeutig dem Täterspektrum zuzuordnen sind, stünden die Verantwortlichen für den städtebaulichen Wandel im Wittelsbacher Park an erster Stelle. Aus heutiger Sicht könnte man dem Augsburger Stadtrat unter Oberbürgermeister Wolfgang Pepper (SPD) zugute halten, dass man im Jahre 1965 noch an den Segen der Kernenergie glaubte, sich im Kalten Krieg befand und der totale Niedergang der Textilindustrie sich noch nicht deutlich genug abzeichnete. Monströse Sachlichkeit aus Sichtbeton mit einem Schuss Gestaltungswillen waren damals en vogue. Bunkerästhetik suggerierte Sicherheit und bediente somit die Fetischbildung einer vom Krieg traumatisierten Generation.

Wie neu entdeckte Südfrüchte aus fernen Welten

Wie Hinweistafeln für Realien in naturwissenschaftlichen Museen, die nicht von menschlichen Interessen und Handlungen erzählen wollen, schreibt Häußler Informationstexte in seine historischen Fotoalben. So erhalten die Werke des Hobbyarchivars, dessen erstaunliche Privatsammlung knapp 10.000 Augsburger Bilddokumente enthält, die Authentizität altbackener und gut recherchierter Heimatkundebücher. Augsburg wird von keiner Privatperson liebevoller und naiver beschrieben und bebildert als von Franz Häußler. „Man staunt gerne über das Vergangene, das der siebzigjährige Häußler seit Jahrzehnten aus dem Verborgenen der Augsburger Archive schält und den Lesern der Augsburger Allgemeinen wie neue entdeckte Südfrüchte aus fernen Welten präsentiert. Man fühlt sich verzaubert und blättert – wie ein neugieriger Jugendlicher im Fotoalbum der Eltern – in seiner eigenen Geschichte, die offensichtlich immer für eine Überraschung gut ist.“ Dies schrieb die DAZ zu Häußlers Broschüre über die „Luftfahrtstadt Augsburg“. Das gilt auch für seine neue Publikation, die die Geschichte eines großen Verlustes beschreibt.

Franz Häußler:

„Augsburgs grüne Insel

Stadtgarten und Wittelsbacher Park“

context verlag Augsburg

18,90 Euro