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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Kommentar: Die Geschichte der Semmeltaste und ihre Bedeutung im politischen Diskurs

Wenn man sich an den Augsburger Wahlkampf  in den Jahren 2007/2008 erinnert, dann erinnert man sich an die Fehler von Wengert und Co. und an einen nicht mehr ganz jungen Rechtsanwalt, der fast alles richtig zu machen schien. Kurt Gribl führte die Semmeltaste ein. Nun wird sie wieder abgeschafft. Ein symbolischer Aktionismus mit Bestrafungscharakter.

Kommentar von Siegfried Zagler 

Foto: © DAZ

Kurt Gribls zentrale Wahlkampfaussage „Tunnel statt Chaos“ war 2008 eine Kernaussage der Augsburger CSU, die zwar verkehrspolitisch aus dem Mittelalter stammte, aber wahlkampftechnisch doppelt klug war. Zum einen implizierte der Spruch, dass die SPD-Stadtregierung Verkehrschaos schaffe, zum anderen, dass man selbst eine bessere Lösung hat. Dass der spätere Oberbürgermeister Kurt Gribl und die CSU mit ihren verkehrspolitischen Vorstellungen noch in den 60er Jahren des vergangenen Jahrtausends verhaftet waren, wurde ihnen schließlich mit der Umsetzungen eines Bürgerentscheids vor Augen geführt. Nach langem Gezänk kam der Königsplatz, wie er heute ist.

Man kann nur die Hände vors Gesicht schlagen, wenn man sich heute auf der Konrad-Adenauer-Allee/Fuggerstraße eine Autoröhre mit 50 Metern langen Einfahrtsschneisen vorstellt. Die CSU und natürlich Kurt Gribl, Bernd Kränzle, Hermann Weber und Rolf von Hohenhau waren lange Zeit mächtige Krieger eines Wahns, der „autogerechte Stadt“ hieß.

Die Welt verändert sich um ein Vielfaches schneller als das Denken in der Politik. Die Digitalisierung müsste das vorherrschende Thema der Lokalpolitik sein, da die Innenstädte unter Leerstand und abnehmenden Kultur- und Service-Leistungen leiden. Dieses Defizit fällt besonders dann auf, wenn man ältere Wahlprogramme liest. Die Parteien, die an der Meinungsbildung des Volkes mitzuwirken haben, verlieren dabei zunehmend an Boden.

In den Wahlkampf-Aussagen – weder in Gribls 100-Punkte-Programm, noch in einer CSU-Broschüre – zum Augsburger Wahlkampf 2008 ist von einem notwendigen Konzeptwandel der Augsburger Innenstadt die Rede. Nichts, was die Gribl-Ära später prägen sollte, wurde auch nur angedeutet: weder die Transformationen von Stadttheater, Stadtbibliothek und Klinikum noch die Sanierung des Theaters. Kein Wort über die Notwendigkeit einer Energie-Fusion oder zu lokalen Maßnahmen gegen den Klimawandel.

„Digitalisierung“ hieß im Jahre 2008 in der politischen Sprache: „Verbesserung der EDV-Programme“. Die CSU wollte zusammen mit Pro Augsburg die städtische Haushaltsführung von der Kameralistik in die Doppik überführen. Das schien, liest man Gribls 100-Punkte-Programm, von epochemachender Bedeutung. Die große Debatte wurde aber über das zukünftige Verkehrsgepräge der Stadt geführt: „Chaos oder CSU?“ so die Frage.

Eine Sache schien aber parteiübergreifend akzeptiert: Zur Unterstützung kleiner Geschäfte in der Innenstadt wurde die Semmeltaste eingeführt – von OB Kurt Gribl. Die Debatte um die Semmeltaste zeigte im Kleinen auf, wie sich die CSU den motorisierten Quell- und Zielverkehr in der Innenstadt im Großen vorstellte. Mit dem Auto soll man in Augsburgs Innenstadt günstig und schnell einkaufen können. Damit wollte der Stadtrat kleinere Geschäfte unterstützen, flankiert wurde dieser verkehrliche Konzeptbaustein später durch den „Mobilo“. Auswertungen darüber, ob diese Ideen im Sinne des Einzelhandels funktionierten oder nicht, gibt es nicht.

Wir wissen also nicht, ob die Semmeltaste im Sinne einer belebten Innenstadt sinnvoll war oder nicht. Die Semmeltaste galt zunächst als ein Symbol für ein eingehaltenes politisches Versprechen. Ihre Einführung löste eine interessante Debatte aus, befeuert von den Grünen. Die Einführung der Semmeltaste mag möglicherweise populistisch und unnötig gewesen sein. Sie abzuschaffen ist dagegen zum aktuellen Zeitpunkt ohne Wenn und Aber falsch.

Jede Bring-Pizza oder jede Autofahrt, jeden Atemzug in eine kommunale Energiebilanz einzupreisen, ist auch in der Summe keine ernstzunehmende Strategie gegen den globalen Klimawandel, den es übrigens 2008 wissenschaftlich-basiert auch gab. Wäre also die Abschaffung der Semmeltaste politisch richtig, dann war ihre Einführung einem überholten parteipolitischen Handeln geschuldet, aber  im Sinne des Gemeinwohls völlig falsch.

Kurt Gribl, die CSU, die SPD, Pro Augsburg und die FDP realisierten also vor zirka 12 Jahren ein Verkehrskonzept, das falsch war. Nur die Grünen lagen demnach damals richtig. Sie bekämpften das Konzept mit einem Gegenkonzept, nämlich mit der Vorstellung einer anderen Stadt, einer Fahrradstadt, einem viel besser ausgebauten ÖPNV – also mit einer Zukunftsvison.

Nun sitzen die Grünen zusammen mit der CSU in der Stadtregierung und sie haben in der kurzen Zeit diesbezüglich kaum nennenswerte Fortschritte erzielt. Augsburg war und ist weiterhin eine Autostadt. Deshalb sollte man Abschaffung der Semmeltaste als Zumutung begreifen. Als Zumutung, weil Augsburgs Einzelhandel, durch Amazon ohnehin schon schwer gebeutelt, nun auch von der Stadtregierung bestraft wird. Als Zumutung, weil damit auch Augsburger Bürger bestraft werden, die lieber mit dem Auto einkaufen als mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit dem Bus, wenn das Wetter schlecht ist – oder warum auch immer. Als Zumutung, weil eine Geste verschwindet, eine Geste des Willkommenseins – auch wenn man bequem oder aus gesundheitlichen Gründen mit dem Auto unterwegs ist.

Die Abschaffung der Semmeltaste sollte man angehen, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Das Verschwinden der Semmeltaste, wäre ein Fest, wäre ein Meilenstein in der Augsburger Verkehrspolitik, wenn man die richtige Stadt dafür hätte. Sie einfach nur abzuschaffen ist hilflose Symbolpolitik mit Bestrafungscharakter.

Ironischerweise wird im kommenden Bauausschuss mit Gerd Merkle der gleiche Referent den Vorgang begründen, der seinerzeit die Einführung der Semmeltaste als Fortschritt in Sachen Innenstadtbelebung darstellte. Die Geschichte der Semmeltaste unterstreicht die Auffassung, dass die Augsburger CSU nicht mehr weiß, was sie will und wofür sie noch steht.