DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Dienstag, 19.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Kommentar: Die Anmaßung des Unwissens – oder warum es ohne Impfpflicht nicht geht

Foto: © DAZ

Ein Virus braucht einen Wirt. Stirbt der Wirt, stirbt das Virus. Entwickelt der Wirt Immunität: Auch dann stirbt das Virus. An diese einfache Logik soll an dieser Stelle erinnert werden, wenn nun in Berlin oder in den Länderparlamenten über einen konsequenten Lockdown und eine generelle Impfpflicht nachgedacht wird.

Kommentar von Siegfried Zagler

Im Frühling 2020 gab es den ersten Lockdown mit der Idee, dass Kontaktbeschränkung im Kampf gegen die Pandemie hilft, bis der Impfstoff kommt. Damals sind von der Politik, aber auch von den Medien schwere Fehler begangen worden, indem man der Anmaßung des Unwissens zu große Debattenräume gestattete. Eine Impfpflicht werde es in Deutschland nicht geben, einen weiteren umfassenden Lockdown ebenso nicht, hieß es im Diskurs zu Corona. Gestorben wurde „an und mit Corona“, bis Bundespräsident Steinmeier dieses Relativieren als „menschenverachtend“ bezeichnete.

Die Gefährlichkeit des Coronavirus und die Wirksamkeit der Maßnahmen gegen die Pandemie sind in allen Kanälen rauf und runter geredet worden. Die Wissenschaftsfeindlichkeit im ehemaligen Land der Dichter und Denker komme von der Esoterik, den Ökofreaks und Pseudowissenschaften wie der Homöopathie, von Heilpraktikern, den Quertreibern der Stammtische und der Rechtspopulisten, die sehr effizient die Pauke der Verschwörungsformeln und der Staatsfeindlichkeit schlugen, so der Kanon der Analysen, die erklären sollen, warum sich die Deutschen beim Kampf gegen die Pandemie so unsäglich dumm anstellen.

Im Winter 2021 wird weiter an Corona gestorben, finden Massendemonstrationen gegen staatliche Schutzverordnungen statt, sind erst zirka 70 Prozent der Bewohner der Bundesrepublik Deutschland geimpft, was deutlich zu wenig ist und zum Teil dem Organisationsversagen der Politik geschuldet ist.

Die Ungeimpften verbreiten das Virus rasend, bringen die Intensivstationen an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit und sorgen mit ihrer asozialen Haltung für Krankheit und Tod. Zu Beginn dieser intensiven Kurve („Pandemie der Ungeimpften“) sind die Zahlen von diversen Blasen in den sozialen Medien geleugnet worden. Doch wer verweigert eigentlich das Impfen?

Wissenschaftliches Wissen wurde und wird in großen Teilen der Bevölkerung nicht als etwas begriffen, das man durch Versuchsreihen schöpfen kann, absichern und verallgemeinern kann, sondern als partikulares Privatwissen, das eben der gesunde und frei denkende Menschenverstand zusammen trägt. Mit der unredlichen Nietzsche-Methode – wurden und werden gesicherte naturwissenschaftliche Erkenntnisse schwach geredet, ohne dass Staat und Wissenschaftsinstitutionen dagegen erfolgreich ins Feld ziehen könnten.

Gefördert wird die Dynamik des Splitterwissens von Impfgegnern und anderen Esoterikern seit Jahrzehnten unter anderem auch dadurch, dass zum Beispiel Waldorfschulen staatlich gefördert werden und Krankenkassen homöopathische „Medikamente“ erstatten.

Wer heute noch sagt, Covid-19 sei nicht schlimmer als eine Grippe, betreibt gegen naturwissenschaftliche Erkenntnisse eine Aushöhlung mit kriminellem Ausmaß. Aus dieser Überlegung heraus ist es auch unpassend, wenn zum Beispiel Angela Merkel oder auch Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber zum Impfen auffordern, indem sie Solidarität gegenüber den Pflegekräften und den Schwachen und Kranken beschwören.

Wir stehen ohne zu klagen zwei Stunden vor Abflug vor den Flughafenterminals, lassen uns und unser Gepäck durchleuchten, nehmen die Schikanen routiniert  in Kauf, weil es die allgemeine Sicherheit des Fliegens erhöht. Wir erdulden das nicht wegen der Piloten oder den anderen Passagieren. Wir erklären uns auch nicht solidarisch mit dem Wartungspersonal, weil es einen guten Job macht. Die Welt ist längst so, dass man ohne konsequente Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr fliegen will. Es gäbe genügend andere Beispiele dafür, dass es nicht um partielle Solidarität geht, wenn man eine Pandemie bekämpft, sondern um Verantwortung gegenüber der Gesundheit aller Menschen. (Solidarisch zeigen können wir uns, wenn diese Berufsgruppen mehr Lohn fordern.).

Doch bleiben wir bei Covid-19: Wir wissen, dass wir ein Virus in uns haben könnten, das uns nicht kratzt und keine Symptome verursacht. Und wir wissen, dass wir in diesem Fall wohl dieses Virus weitergeben werden, möglicherweise an jemand, der daran stirbt. Wir wissen, dass wir töten können, ohne es selbst zu bemerken. Das ist neu und verlangt von uns allen neue Verhaltensmuster, die vom Gesetzgeber zu regeln sind. Sich kontrolliert impfen zu lassen, ist dabei das geringste Opfer.