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Kommentar: Das marktkritische Grundrauschen und die Augsburger SPD

Wer bei der Kommunalwahl 2020 in Augsburg zu den Siegern gehören will, muss glaubhaft ein Konzept anbieten, das mit konsequenter Eile der katastrophalen Mietpreisentwicklung entgegenwirkt

Kommentar von Siegfried Zagler

Schwäbische Volkszeitung von 1919 – Bildnachweis: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg

Thomas Piketty gehört zur Wissenschaftselite der eliteverliebten Franzosen. Er machte bereits in jungen Jahren eine steile Karriere und festigte zunehmend seinen Ruf auch außerhalb Frankreichs als „Starökonom“. Zum „Weltstar der Kapitalismuskritiker“ stieg er 2014 auf, als sein Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ die Bestsellerlisten anführte. 

Ein publizistischer Donnerschlag, der nicht weniger laut von einem Salonlöwen der marxistischen Philosophie begleitet wurde. Gemeint ist der slowenische Philosoph Slavoj Zizek, der Popstar der Kapitalismuskritik, der von 2010 bis 2013 mit seinen Aufsätzen und Statements in Europa ein Millionenpublikum beeindruckte. 

2016 kam die Universität Harvard in einer ausführlichen Erhebung zu dem überraschenden Ergebnis, dass in den USA die Hälfte der 18 bis 29-jährigen dem Kapitalismus ablehnend gegenübersteht. Selbst im Mutterland des Kapitalismus scheint sich die Auffassung durchzusetzen, dass ein allzu freier Markt eher Probleme schafft, statt sie zu lösen.

“Ein marktkritisches Grundrauschen habe längst viele westliche Länder erfasst, schreibt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. “Auch in Deutschland, wo die Menschen sehr lange zufrieden waren und sozialistischen Ideen schon deshalb reserviert gegenüberstanden, weil der Osten des Landes seine ganz eigenen Erfahrungen damit gemacht hat.” 

Kevin Kühnerts antikapitalistisches Statement im ZEIT-Interview, in dem er unter anderem vorschlägt, den Wohnungsmarkt zu verstaatlichen, indem man nur noch soviel Wohnraum besitzen dürfe, wie man selbst zum Wohnen benötigen würde, kommt also nicht aus dem Nichts. Der Juso-Chef schöpft aber nicht nur aus einer politischen Mode, die schnell verpuffen kann, sondern aus einer konkreten Erfahrung, die sich nicht nur aus der Lebensrealität junger Familien, Rentner, alleinstehender Mütter und einem Heer prekär Beschäftigter herausgebildet hat: Wohnen in der Stadt ist unerschwinglich geworden. 

Dafür sind viele Versäumnisse verantwortlich. Die Bundesregierung hat den Erwerb von Baueigentum viele Jahrzehnte zu schwach gefördert. Die Länder haben ihren einkommensorientierten Wohnungsbestand an private Immobilienriesen verhökert und die Kommunen haben ihre städtischen Wohnungsbaugesellschaften zu knapp gehalten, so dass viel zu wenig einkommensorientierter Wohnraum entstanden ist, der die Mietpreisentwicklung hätte ausbremsen können.

Kurzum: Das sozialpolitische Versagen der Regierungen auf allen Ebenen hat selbst im reichen Bayern für gesellschaftliche Brennpunkte gesorgt, die das beschriebene marxistische Grundrauschen nicht nur ermöglichen, sondern zu einem für die Volksparteien gefährlichen Erdrutsch gestalten: Die CSU verliert weiterhin, die SPD bleibt stabil deutlich unter 20 Prozent, während sich die rechtspopulistische AfD bei 15 Prozent einzupendeln scheint. Ein Wert, den die Grünen überbieten könnten, würden sie staatliche Steuerung in der Wohn- und Baupolitik verstärkt fordern.

Auf der kommunalen Ebene hat nun in Augsburg die SPD-Stadtratsfraktion den Schwur geleistet, dass sie in Zukunft keinem Bebauungsplan mehr zustimmen werde, der eine geringere Quote als 30 Prozent für geförderten Wohnungsbau vorsieht. Die SPD hat damit den Wahlkampf eröffnet. In Augsburg sind die Mieten seit 2008 um 60 Prozent gestiegen. Die Augsburger SPD bewertet diese Entwicklung als dramatisch, muss sich dabei aber an die eigene Nase fassen, denn schließlich stimmt sie in Augsburg seit Jahrzehnten Bebauungsplänen zu, die weit unter dieser Quote liegen.  Zuletzt war das der Fall in Oberhausen (Zeuna- und Cema-Areal) sowie in Göggingen (Servatiusstift-Areal) oder wie bei der Bebauung des Dierig-Areals oder des ehemaligen Geländes des Post-SV. Bodenflächen für Bebauungspläne mit der SPD-Forderung sind somit kaum noch vorhanden.

Die SPD fühlte sich bei diesem Ausverkauf von Baureferent Gerd Merkle (CSU) getäuscht, der eine pauschale Quote für geförderten Wohnungsbau bisher ablehnte, weil diese rechtlich nicht zulässig sei, da Bebauungspläne mit vorgeschriebener Quote einen Teil der Bodenwertsteigerungen abschöpfen würden. Die SPD-Fraktion zweifelt nun nach vielen Jahren der Regierungsbeteiligung an der rechtlichen Einschätzung des Baureferenten, da es Kommunen gebe, “die eine verbindliche Quote an gefördertem Wohnungsbau schon seit langem festgeschrieben haben”, wie Fraktionschef Florian Freund plötzlich weiß.

Es gibt Güter und Werte in der politischen Daseinsfürsorge, die den Schutz des Staates vor dem Zugriff der Kapitalwirtschaft dringend benötigen: Boden, Lebensmittel, freie Wissenschaft, Energie, Wasser, Wohnen und die freie Kunst sind solche schützenswerte Güter und Werte. Versagt der Staat dabei, führt das zu schweren Krisen der Demokratiesysteme.

Wer sich in der wichtigsten Angelegenheit der Lokalpolitik, in der Baupolitik, getäuscht fühlt, müsste sofort die Koalition kündigen, die sich in Augsburg aus der CSU, der SPD und den Grünen zusammensetzt. Dieses Thema steht zwar auf einem anderen Blatt, doch will die SPD bei der Kommunalwahl 2020 aus ihrem Dauertief kommen, muss sie sich mit aller Macht von der Bau- und Wohnungspolitik der CSU lösen und verstärkt auf eine konsequente Marktregulierung setzen und zum Beispiel die städtische Wohnungsbaugesellschaft mit einem hohen Etat versehen und Wohnungen kaufen und bauen lassen.

Davon sind die Augsburger Genossen noch weit entfernt. Aber es reicht immerhin für ein Postulat wie dieses: “Für die SPD-Fraktion ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum wichtiger, als die Gewinne von großen Investoren.”

Hört, hört, wer hätte das gedacht?