DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Freitag, 08.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Kenny Barrons Trio – Stocks letzter Triumph

Noch einmal Extraklasse beim Jazzsommer – und der Kurator geht

 Von Frank Heindl

 27 Jahre lang hat Christian Stock den Augsburger Jazzsommer geleitet, nun hört er auf und war deshalb beim letzten von ihm organisierten Konzert ein Co-Star des Abends. Die Ära Stock endete mit einem letzten Triumph für den Kurator, weil Kenny Barron nicht nur Weltklasse ist, sondern auch zwei weitere überragende Musiker mitgebracht hat.

Man ist verwöhnt nach einem Jazzsommer der Extraklasse – im Juli und August 2019 hat sich im Botanischen Garten ein Höhepunkt an den anderen gereiht. Es war also nicht überraschend, dass mancher Hörer im Publikum nach den ersten Takten von Kenny Barrons Trio fast ein wenig enttäuscht war: Klassischer Trio-Jazz ertönte da; das erste Stück der uralte Irving-Berlin-Gassenhauer „How deep ist the ocean“; klassisch arrangiert natürlich: Thema und Improvisation vom Klavier, dann Bass-Solo, dann Schlagzeug-Solo. Das Ganze ein wenig überkommen, ein wenig althergebracht, nicht besonders aufregend, und das Trio vielleicht auch noch nicht richtig in Fahrt.

Das änderte sich schon mit dem zweiten Stück, Thelonious Monks „Shuffle Boil“. Die Rhythmusverschiebungen, die Barron in seinem Solo aus dem linken Ärmel schüttelte, eine undurchsichtiges Gequirl aus Triolen und Quintolen, aus verschobenen Schwerpunkten und extrem ausgedehntem laid-back, wären allein schon verblüffend und mitreißend gewesen. Faszinierend war aber auch, wie Barrons Arbeit gegen den Rhythmus den Hörer trotzdem nicht aus dem Flow riss – weil die beiden Sidemen ebenfalls exzellente Rhythmiker sind.

Ein mönchischer Handwerker…

Ein Eindruck, den zu genießen man nicht allzu lange Zeit hatte, weil Bass und Schlagzeug sehr schnell ganz eigene, weil über das stützende, dienende Element weit hinausreichende Rollen übernahmen. Kiyoshi Kitagawa steht hinter seinem Instrument mit dem gleichmütig-gelassenen Gesichtsausdruck eines Handwerkers, der souverän und in Ruhe seiner Arbeit nachgeht. Nur manchmal schaut er überrascht – als ob er selbst nicht erwartet hätte, was da aus seinem Bass tönt. Atemberaubende, in weiten Teilen mehrstimmige und oft auch unbegleitete Soli, mal sehr abstrakt, mal melodieverwandt, entlockten dem Publikum immer wieder spontane Jubelschreie, Szenenapplaus gab es sogar mitten in den Soli. Und je später der Abend wurde, desto weiter schien Kitagawa in Sphären weit jenseits aller Erwartungen und aller Vorgaben zu wandeln – sein gelegentlich lautes Seufzen und Stöhnen ließ vermuten, dass da einer seine Inspiration aus tieferen Bewusstseinsschichten herausmeißelte. Oder dass da ein Mönch ganz nah bei den Göttern seinen Ritus verrichtete.

… und eine rhythmische Powermaschine

Jonathan Blake an den Drums wurde hier erst kürzlich gelobt – er war im Rahmen des Jazzsommer auch schon mit dem Pérez Cohen Potter Quintet zu hören . Am Dienstagabend übertraf er sich noch einmal – Blake ist eine Powermaschine, ein permanent unter Hochdruck stehendes Rhythmus-Kraftwerk, das aus jedem Takt ein Ereignis zu machen vermag, aus jedem Break ein sprühendes Feuerwerk, aus jedem Solo eine Aneinanderreihung von bis ins feinste verästelten Soundgewittern.

Der „Chef“ dieser Supergroup, der 76 Jahre alte Kenny Barron, leitet das Geschehen mit dem Habitus des elder statesman: Er ist Ruhe, Gelassenheit und Understatement in Person, gratuliert Christian Stock anfangs noch eigens zum Eintritt in den Ruhestand, bittet gleichmütig den Soundmann um weniger Flügel auf dem Monitor, kündigt seine Stücke in aller Ruhe an und macht wenig Aufhebens um sich und seine Kollegen. Barron wird in diesem Konzert besser, je moderner er wird: Das von ihm selbst geschriebene und dem Bebop-Pianisten Bud Powell gewidmete „Bud-Like“ lässt ihn erstmals zu voller Kraft auflaufen, ein Höhepunkt ist eine wohl mehr als zehnminütige Improvisation über ein Stück des brasilianischen Liedermachers Caetano Veloso.

Doch Kern der Faszination dieses Trios ist – über das ganze Konzert hinweg – die Interaktion. Wie hier Fäden aufgenommen werden, wie Rhythmen und Melodien von Instrument zu Instrument hin und her geworfen werden, wie Jonathan Blake am Schlagzeug rhythmische Einfälle von Bass oder Piano echohaft beantwortet, paraphrasiert, abwandelt und nicht selten sogar vorausahnt, wie Barron sich von den Einfällen seiner Sidemen beeinflussen, wie er sich treiben, bremsen, inspirieren lässt und wie er vom Flügel aus treibt, bremst und inspiriert, wie Kitagawas Bass die Pulse von Klavier und Schlagzeug mitzuatmen scheint, wie hier alles in einem schwingt – ach, was ist Swing für ein primitives Wort dafür! Es gab, den hoch verdienten Christian Stock einmal beiseitegelassen, vier Stars dieses Abends: Drei Musiker zum einen, und zum andern – vor allem! – ihr Trio.