Keine Einweihungsfeier – vorläufig
Der Spielplan 2011/2012 steht – das Stadttheater hat nochmal ohne Container geplant
Von Frank Heindl
„Es geht noch weiter“: Nach dem Lindauer Bodensee-Leuchtturm vom letzten Jahr haben sich die Augsburger Theatermacher für den neue Spielplan näher liegender Symbolik bedient: Ein Meilenstein aus dem Augsburger Römischen Museum dient Intendantin Juliane Votteler nun als „Orientierungsmarkierung“.
Mit den Einweihungsfeiern wird’s erst mal nichts. Man habe sich vorgenommen, verkündete die Intendantin, noch kämpferischer als bisher zu sein, wolle dabei aber „nicht blauäugig werden“. Anders gesagt: Auf eine Ersatzspielstätte wartet das Theater nach wie vor sehnsüchtig, aber an ein festes Datum für deren Eröffnung will und kann man vorsichtshalber nicht glauben. Wenn der Container doch mal da ist – darauf darf das Publikum trotzdem bauen – wird das kreative Team um Juliane Votteler sicherlich eine fulminante Party improvisieren.
Der nach wie vor nicht vorhandene Container hat nicht nur die große Pressekonferenz erneut ein bisschen dominiert, mit der das Theater am Montag den Spielplan der kommenden Saison 2011/2012 vorstellte, er dominiert auch nach wie vor die Planungen, fehlt, ärgert, macht viel unnötige Arbeit. Drei Spielpläne habe man mittlerweile erstellt, in zehn verschiedenen Versionen, berichtet Votteler, eine Arbeit, die jeden Disponenten rasend machen müsste, nun habe man sich zu einer „Mischkalkulation“ durchgerungen, die nach wie vor auf den Container baue, von dessen Bau aber nicht abhängig sei. Gut so – und damit zum Programm: Das lässt Großes hoffen und macht schon im Frühling Appetit und Freude auf den Herbst.
Hoffmannkeller, tim, Justizpalast
Erste erfreuliche Botschaft: Der Hoffmannkeller erhält wieder eine wichtigere Rolle als Aufführungsort. Im Tiefgeschoss unterm Großen Haus wird die nächste Spielzeit sogar eröffnet – mit einem Stück von Kai Hensel. „Welche Droge passt zu mir?“ lautet der Titel, Premiere ist am 25. September. Zweite erfreuliche Botschaft: Da das Firmengelände bei Dierig dem Theater nicht mehr zur Verfügung steht, sind neue Aufführungsorte gefunden. Zum einen ist das „tim“ nun fester Standort für mehrere Inszenierungen. Zum anderen ist den Theaterleuten ein recht spektakulärer Coup gelungen. Am 3. Oktober wird ein Stück Premiere haben, das in den 1960er Jahren für große Aufregung sorgte. Das „großartige Dokumentartheaterstück“ (Trabusch) wurde am 19. Oktober 1965 an 15 Theatern der Bundesrepublik und der DDR gleichzeitig uraufgeführt, hinzu kam eine Inszenierung der Londoner Royal Shakespeare Company. Nun ist „Die Ermittlung“ von Peter Weiss wieder da – an symbolträchtigem Ort: Das „Oratorium“, das Weiss aus den Protokollen des „Auschwitzprozesses“ collagiert hat, wird im Augsburger Alten Justizpalast aufgeführt.
„Die Ermittlung“ ist gleichzeitig spektakulärster Höhepunkt der Auseinandersetzung mit den 60er-Jahren, die sich das Stadttheater für die kommende Saison vorgenommen hat. Von „Wasserzeichen“ sprechen Trabusch und Votteler, vor deren Hintergrund die neuen Stücke inszeniert würden. Weiss‘ verstörender Kommentar zum Beginn der juristischen Verarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen – die noch in den 60er-Jahren auf breiten gesellschaftlichen Widerstand stieß – ist ein Teil dieses Wasserzeichens. Parallel dazu wird man im Großen Haus ein anderes Justizdrama erleben können: In Sichtweite des Justizgebäudes feiert dort zwei Tage vorher Kleists „Zerbrochener Krug“ Premiere, passend zum Kleistjahr 2011. 200 Jahre ist es her, dass sich der Autor von reaktionären deutschen Verhältnissen in den Selbstmord getrieben sah.
Beatles, Schiller, Henze
Die 60er geben auch noch manche weitere Folie ab für die Aktivitäten von Oper und Schauspiel. Das „Weiße Album“ der Beatles kommt im nächsten April auf die Bühne – jene legendäre Doppel-LP von 1968, im weißen Cover und voll von unvergleichlich-unvergesslichem musikalischem Material. Laut Trabusch sieht die Planung vor, alle 30 Stücke des Epochewerkes aufzuführen. Schillers „Räuber“ werden im Kontext der 60er als das „Aufbegehren der Söhne gegen die Väter“ zu sehen sein, und wenn 2012 Hans Werner Henzes „Boulevard Solitude“ auf die Bühne kommt, wird damit ein Komponist geehrt, den die Entwicklung der bundesdeutschen Nachkriegsordnung in die Emigration trieb und dessen Werke in den 60ern höchst umstritten waren – nicht nur musikalisch, sondern vor allem, weil der Komponist Mitglied der kommunistischen Partei Italiens war.
An einen weiterer moderner Komponisten wagt sich die Oper schon im Dezember: Alban Bergs „Lulu“ sei eine „unglaubliche Herausforderung für die Sänger“, die Musik sei „unglaublich aufregend“, schwärmt Juliane Votteler – aus diesen Gründen nennt sie die Produktion gleichzeitig „das Wagnis der Saison“. Doch nicht nur „Neutöner“, auch „Traditionelles“ steht auf dem Programm: Mit George Bizets „Carmen“ beispielsweise eine der drei meistgespielten Opern weltweit, mit der „Fledermaus“ ein fröhlich-leichtes Johann-Strauß-Werk, das einerseits als Inbegriff der Operette gilt, andererseits aber auch als „eine der schwierigsten Partituren der Weltliteratur“ (Votteler).
Dazwischen gibt’s noch einiges vom „Goldenen Drachen“ im tim über „Gespräche mit Astronauten“ im Hoffmannkeller bis zu „Cinderella“ und den „Carmina Burana“ als Ballettaufführungen, dem Familienstück „Der kleine Vampir“ und der Kinderoper „Das tapfere Schneiderlein“. Ein Gesamtprogramm, auf das man sich freuen kann – dabei haben wir noch längst nicht alles und Dirk Kaftans musikalisches Programm noch gar nicht erwähnt. Beglückwünschen können sich die Zuschauer vor allem dazu, dass man, selbst in Anerkennung der dringenden Notwendigkeit einer Ersatzspielstätte, das Fehlen des Containers vor lauter Theaterfreude geradezu übersehen könnte. An einer ungeplanten Einweihungsfeier irgendwann im nächsten Jahr würde man allerdings trotzdem gerne teilnehmen.