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Sonntag, 19.01.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Kein Korsett, nirgends

Kurt Ellings Vokalkunst eröffnete den Jazzsommer im Botanischen Garten

Von Frank Heindl

Schon mit den ersten paar unbegleiteten Gesangstönen wusste Jazzsänger Kurt Elling für sich einzunehmen, schon nach wenigen Takten war klar, dass die diesjährige Reihe der Sommer-Jazzkonzerte im Botanischen Garten mit einem bemerkenswerten Konzert begonnen hatten. Später zeigte sich: Auch Ellings Band war für höchstes Niveau gut.

Äußerlich cool wie Sinatra, gesanglich zehnmal heißer – der Jazzsänger Kurt Elling

Äußerlich cool wie Sinatra, gesanglich zehnmal heißer – der Jazzsänger Kurt Elling


Kurt Elling braucht keine neuen Kompositionen für sehr neue Musik: Seinen Einstieg machte er mit dem Uralt-Schmachtfetzen „Stardust“ – doch wie er das tat, war schon programmatisch: In der Textzeile „the stars climb“ kletterte seine Stimme beim Wörtchen „climb“ tatsächlich kaskadisch nach oben, malte Wort und Bedeutung in Einem – und brauchte dazu keine instrumentale Unterstützung. Dass er dann zwischendurch – vor allem in den tieferen Lagen und vor allem, wenn er seine Stimme ein wenig „knarzen“ ließ – deutlich nach Frank Sinatra klang, ist keine Schande. Im Gegenteil zeigt es, dass Elling auch eine „schöne“, eingängige Stimme hat – und macht außerdem umso deutlicher, wie anders Ellings Konzept doch ist. Denn von Sinatras Bombast und Schmalz gibt es bei ihm keine Spur.

Das ist auch seiner phantastischen Band zu verdanken. Konnte man noch bei den ersten Stücken meinen, Drums und Bass seien hier zur Randexistenz verdammt, das musikalisch Wichtige spiele sich zwischen Stimme und Flügel ab, so durfte man bald erfahren, dass die Gewichte doch sehr gleichmäßig verteilt waren. Denn die Aufgabe dieser Band war es, gemeinsam mit ihrem Chef das traditionelle Liedgut zu dekonstruieren. Das führt beispielsweise dazu, dass teilweise (etwa bei „My foolish Heart“) mehrere Rhythmen auf der Bühne zu hören sind, deren Gemeinsames sich aus den gemeinsamen Auslassungen ergibt. Dass die Songs, wenn erst einmal der Rhythmus zerlegt ist, auch in ihre melodischen Bestandteile zerhackstückt, in winzige Miniaturen zerlegt werden (etwa bei „Bye bye Blackbird“) – und dass die Band, wenn alles Überflüssige entfernt ist, die übriggebliebenen Knöchelchen anschließend zu einem neuen Skelett zusammensetzt und drum herum einen neuen Körper modelliert. Und das Ganze, ohne auch nur einmal Sicherheit in rhythmischen oder stilistischen Korsetts zu suchen.

Glänzend arrangierte Improvisationen

Dazwischen aber ertönt nicht nur Ellings Bariton, sondern auch sein ziemlich einzigartiger Scat. Elling singt unter anderem komplexe und virtuose Soli nach (eines des Tenorsaxophonisten Dexter Gordon gibt er gesanglich eigens als Quelle an), ohne aber dabei die Instrumente zu imitieren, und improvisiert gleichzeitig selbst auf grandiose Weise weitab von jeglichem Klischee über die jeweiligen Titel, verwebt seine Exkurse mal dicht mit der Arbeit der Band, entfernt sich auch mal weit von seinen Mitstreitern. Und liefert dann unter Umständen eine frei improvisiert erscheinende Phrase, die völlig unvermutet von Bass, Klavier, Gitarre oder den Drums melodisch oder rhythmisch begleitet wird und also wohl doch nicht improvisiert, wohl aber glänzend arrangiert war. Von solchen leicht zu überhörenden Zuckerln ist Ellings Musik reich durchsetzt, jedes Mal, wenn eine dieser Sternsekunden aufscheint, wird man sehr deutlich gewahr, auf Basis welch feinfühliger Akkuratesse die Musiker miteinander umgehen.

Einziger Wermutstropfen des Abends: Nachdem er schon im ersten Set Rilkes „Zum Einschlafen zu sagen“ auf Deutsch zitiert hatte, meinte Elling im zweiten Teil auch noch ein Brahmssches Liebeslied singen zu müssen. Das ging gründlich daneben, Elling klang scharf und hart, das Mikrophon war zu laut eingestellt, und es unterblieb leider auch jeglicher Versuch, das Stück jazzig zu brechen, zu interpretieren, neu zu schaffen – hier versagten Analysekunst wie Kompositionsgabe des Quintetts. Schade, aber schnell abgehakt. Ein anderer, ebenso unerwarteter Versuch gelang dafür: Ein Stück von Antonio Jobim geriet am Schluss – im Gegensatz zum Stil des ganzen übrigen Abends – doch recht bombastisch und war trotzdem genau so weder banal noch kitschig, sondern – perfekt. Nun gut, dann kann er das eben auch.