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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Jugendtheater – auch für Erwachsene

Schülergruppe hat bundesweiten Erfolg

Von Frank Heindl

„Herzblut“ – so lautet der Titel des Stückes, das die Theaterpädagogin Elke Sandler mit Schülerinnen und Schülern aus den Klassenstufen 8, 9 und 10 des St.-Stephan-Gymnasiums erarbeitet hat. Das Stück ist weit mehr als gewöhnliches „Schülertheater“: In der Verwendung seiner Mittel ist es modernstes Theater auf der Höhe der Zeit, es berührt auch Erwachsene zutiefst – und es hat bundesweiten Bühnenerfolg zu verzeichnen. Am kommenden Donnerstag wird das Stück – voraussichtlich zum letzten Mal – im „abraxas“ gezeigt. Theaterbegeisterte sollten sich die Chance nicht entgehen lassen.

Der Erfolg der Produktion hat wichtige Stationen bereits hinter sich: Im Juli 2011 war die Schülertruppe zu den Theatertagen der Bayerischen Gymnasien in Wasserburg eingeladen, es folgte als beste bayerische Produktion die Teilnahme am Schultheater der Länder in Düsseldorf, wo die Aufführung auf ungeteilte Begeisterung stieß; noch in diesem März schließlich wird „Herzblut“ als einzige von Auswärts eingeladene Produktion das Münchner Schultheater Festival eröffnen und eine Woche später ein Gastspiel beim Schultheaterstudio in Frankfurt geben.

Die Leiterin Elke Sandler befasst sich seit ihrer theaterpädagogischen Ausbildung in Berlin mit modernen Formen des Theaters und hat bei „Herzblut“ sowohl pädagogisch als auch theatral auf der Höhe der Zeit gearbeitet. Seit den 1970er Jahren schon wird autobiographisches Material im Theater verwendet, dabei sind die Methoden und Formen stetig verfeinert und ausgeweitet worden. Von „Experten“ sprechen Ensembles wie „Rimini Protokoll“ oder „She She Pop“, die mittlerweile weltweiten Erfolg mit ihren Inszenierungen erzielen, wenn sie Theaterlaien aus den verschiedensten Bereichen des Lebens mit ihren eigenen Problemen, Geschichten, Perspektiven auf die Bühnen bringen: der (Laien-)Schauspieler als Experte seiner eigenen Biografie.

Biographisches Theater nach großen Vorbildern

Theaterchoreografie der kindlichen Schrecken: Wenn Jugendträume platzen…

Theaterchoreografie der kindlichen Schrecken: Wenn Jugendträume platzen…


Biographisches Theater zu machen, die eigenen Erfahrungen auf die Bühne zu bringen – das hört sich weit einfacher an, als es ist. In wochenlanger Kleinarbeit hat die Theatergruppe das Stück ja zunächst konzipieren müssen. Ausgangspunkt war Elke Sandlers Frage nach den Großeltern ihrer Schauspieler und Schauspielerinnen. „Wie erwartet, haben die Schüler nur sehr wenig über deren Geschichte gewusst“, erinnert sich die Lehrerin, doch mit umso größerer Neugier hätten sie sich in die Recherche gestürzt und einen großen Fundus an Erzählungen zusammengetragen. Auffälligstes Ergebnis: Fast alle haben in der vorvorigen Generation der eigenen Familie den heute so viel diskutierten „Migrationshintergrund“ gefunden. Fesselnde und zum Teil hoch traurige Geschichten über Flucht und Vertreibung kamen zu Tage und wurden in vielen gemeinsamen Besprechungen zum Fundament des Stücks zusammengefügt.

Auf der Bühne erzählen die Schüler in „Herzblut“ nun mit ergreifender Emotionalität, aber auch mit erfrischendem Witz und spielfreudiger Detailschärfe diese Geschichten, schwärmen von der Oma, spielen erschüttert und erschütternd nach, wie nicht einmal das Nötigste in den kleinen Koffer für die Flucht passte, wie das Herz fast zerbricht bei der Aufgabe all dessen, was wichtig war – und wie köstlich Piroggen schmecken. Die unausweichliche Einseitigkeit biographischer Geschichtsschreibung hebt Elke Sandler in ihrer Inszenierung durch einen theatralen Kunstgriff auf: Die Schüler spielen auch Bertolt Brechts Gedicht vom „Kinderkreuzzug“ und zeigen so, dass die Ursachen von Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg und den Naziverbrechen liegen.

Künstliches Blut und seelische Narben

… und nicht einmal Schreie den Schmerz erträglich machen.

… und nicht einmal Schreie den Schmerz erträglich machen.


Doch die Geschichten der Großeltern waren nur der Einstig in die biographische Arbeit. Denn im Anschluss förderte Elke Sandler mit viel Fingerspitzengefühl zutage, was auf der Bühne auch mit dem Einsatz von viel künstlichem Bühnenblut als – körperliche und seelische – Narben der Jugendlichen dargestellt wird. „Das war mit Abstand das Schwierigste am Projekt“, erinnerte sich die Pädagogin. Zunächst gab es eine Videobefragung zu den körperlichen Narben, anschließend ging es ums Seelische. Viele sprachen nun überhaupt zum ersten Mal von den schwierigsten Erlebnissen ihrer Kindheit und Jugend, davon, wie die allerbeste Freundin wegzog und nie mehr wiederkam, von Tod, Verlust und tiefsten Verletzungen, vom Auszug des Vaters, der versprach, regelmäßig wiederzukommen und sich dann nie mehr sehen ließ.

Auf der Bühne indes sind diese Geschichten nicht mehr den einzelnen Schülern zuzuordnen: „Wir haben inhaltlich nichts verändert“, erzählt Elke Sandler, „aber wir haben die Protagonisten getauscht“ – kein Schüler spielt seine eigene Geschichte, keiner outet seine eigene Vergangenheit. Und schließlich sind die Erzählungen natürlich künstlerisch verarbeitet, mit ästhetischen-theatralen Mitteln zum Kunstwerk geformt worden. Das allmähliche Vergessen der toten Freundin etwa wird dargestellt, indem allmählich ein großer blauer Müllsack mit Stofftieren gefüllt wird, die eigentlich an sie erinnern sollten – eine Form, die den Schauspielern Distanz ermöglicht, das Publikum teilweise aber zu Tränen rührt. Besonders bewegend die Schlussszene, die hier nicht verraten werden soll: Die Hilflosigkeit vor dem vielen Leid kulminiert hier in einem einprägsamen Bild von theatraler Schönheit und inhaltlicher Tiefe.

  • „HERZBLUT – Biographisches Theater“: Am Donnerstag, 15. März 2012 um 19.30 Uhr im Kulturhaus abraxas, Sommestraße 30.
  • Karten (6 Euro / ermäßigt 4 Euro) im Vorverkauf im abraxas (Tel. 324 63 55) sowie an der Abendkasse.
  • Dauer der Aufführung: 60 Minuten
  • Das Stück ist für jede Altersstufe geeignet.