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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

KOMMENTAR

Ja is denn scho Wahlkampf?

Ejaculatio ante portas ist eine ernstzunehmende Erkrankung, an der nur Männer leiden können. Dem einzigen Mann, der im März 2020 in Augsburg Oberbürgermeister werden kann, ist genau das passiert: Er kam zu früh

Von Siegfried Zagler

Foto © DAZ

Lange, lange Zeit tröpfelte der Vorwahlkampf in Augsburg vor sich hin. Wäre man nicht besser informiert, wäre man nicht auf die Idee gekommen, dass im März 2020 eine Kommunalwahl ins Haus steht. Im Grunde war es nur Eva Weber (CSU), die ein Konzept erkennen ließ, in der Öffentlichkeit präsent war und Versprechungen machte, was der Fall wäre, würde sie zur (vom amtierenden OB empfohlenen) Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg gewählt. Und die Partei lieferte pünktlich ein Wahlprogramm nach. 

Die echte Konkurrenz, beginnen wir mit Dirk Wurm (SPD), kam dagegen über einen merkwürdigen Eskapismus nicht hinaus, also über kaum sortierte Positionierungen, wie zum Beispiel beim Kostendeckel bei der Theatersanierung. Wurm, ständig vorhanden, aber nicht präsent im Zusammenhang mit einer Botschaft, zeigte mit seinem großen Versäumnis beim Osramgelände auf das städtische Vorkaufsrecht zu pochen plus dem kaum ernstzunehmenden SPD-Sprech zur Mieten-Katastrophe Abnutzungserscheinungen bevor es losging, weshalb man bei den Sozis wohl auch die Strategie, genauer: die Wahlkampfleitung wechselte.

Die Grünen und deren OB-Kandidatin Martina Wild lieferten bis jetzt das raffinierteste Wahlkampfkonzept ab, das man den Augsburger Grünen zutrauen konnte: Nichtstun! Wenn man es nicht besser wüsste, müsste man annehmen, dass es die Grünen in Augsburg nicht gibt. Dass sich Martina Wild um das OB-Amt bewirbt, war bisher kaum wahrzunehmen. Dabei liegen die Grünen nach Umfragen, die der DAZ vorliegen, mit der CSU in Augsburg auf Augenhöhe. Alles dem Bundestrend überlassen und einen Grußonkel-Wahlkampf zu betreiben, ist auf Dauer aber keine erfolgreiche Strategie, sondern ein Armutszeugnis, das auch die Wähler bald erkennen würden, wenn es so weiterginge. Weshalb man gespannt sein darf, was passiert, wenn die Grünen aus der Versenkung auftauchen. 

Bisher aber gilt, was in Augsburg alle Spatzen von Dächern pfeifen: Frau Wild will nicht wirklich Oberbürgermeisterin werden, sie täuscht diesen Willen nur an und setzt auf Platz, also auf einen Referentenposten in einer Schwarz-Grünen Stadtregierung. Allein das Gerücht ist bereits Pflanzengift – in Zeiten wie diesen. Eine Grüne Partei, die in einer Stadt wie Augsburg nicht absolut nach der Macht strebt, hat nicht verstanden, wie hoch sie der Zeitgeist hält. Mit Offenen Briefen an Kurt Gribl zeigen die Grünen ihre Anpassungsintelligenz in Sachen Schwarz-Grün: Devoter Wahlkampf auf der eigenen Homepage ist kein Wahlkampf.

Doch nun das: Dirk Wurm und die Grünen haben gegen einen Stadtratsbeschluss verstoßen, der vorschreibt, wann man mit dem Plakatieren vor der Kommunalwahl beginnen darf. Startschuss wäre der 5. Januar gewesen. Man mag es kaum glauben, es sind tatsächlich die demokratischen Tugendwächter, die Leisetreter im Dreierbündnis, also in diesem Fall die Grünen und die Sozialdemokraten, die gegen die selbstverfasste Selbstbeschneidung verstießen und ein paar Tage zu früh in den Plakatzirkus einstiegen.

Was tun? Die großflächigen Plakate wieder abbauen, eine Strafe bezahlen? Oder eben genau das tun, was die Grünen so konsequent machen, nämlich nichts? Die CSU könnte in die Arena nachfolgen – oder einfach weiter grummeln. Die Augsburger Allgemeine hat reagiert, ohne einen Hauch von Kritik. Damit ist es institutionell abgesegnet: Ejaculatio ante portas ist im Wahlkampf, der nun hoffentlich beginnt, keine schlimme Sache.