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Dienstag, 29.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Intendant ohne Theater

Zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt kommt ein Intendant nach Augsburg, ohne Chance das Theatergebäude am Kennedyplatz bespielen zu können. Dass dies für die Stadt eine große Chance bedeutet, ist den meisten Kulturpolitikern nicht bewusst.

Kommentar von Siegfried Zagler



Die Stadt Augsburg hat die Intendanz für ihren Eigenbetrieb Theater neu ausgeschrieben. Bis zum 24. September sollen sich die Interessenten beworben haben. Der neue Intendant, gehen wir einfach halber davon aus, dass er männlich ist, soll den „bereits begonnenen Prozess der „Öffnung“ des Theaters weiterentwickeln“, wie es im Ausschreibungstext heißt. „Deshalb erwarten wir Ihre Bereitschaft, thematische Ausrichtungen und Projektplanungen unter Beteiligung der Freien Szene und der Stadtgesellschaft zu initiieren“, so die  Erwartung der Stadt an die neue Theaterleitung.

Die Verengung der Vorstellung, was eine „Öffnung“ des Theaters bedeutet, hat die Stadt  von der scheidenden Intendantin und den Grünen übernommen. Damit ist der Irrtum gemeint, dass nämlich die „Öffnung“ eines Stadttheaters etwas damit zu tun habe, dass man die Freie Szene an Inszenierungen oder Projekten teilhaben lässt. Damit ist weder der Freien Szene noch dem Stadttheater und am allerwenigsten der Theaterkunst geholfen. Die Freie Szene muss dort sein, wohin ein Stadttheater nicht hinkommt. Muss in Stadtteile gehen, wohin der große Tanker nicht ankommt. Muss schnell reagieren und beweglich sein, muss sich dorthin bewegen, wo es ein Publikum erreicht, das sich von den großen Subventionstheatern aus verständlichen Gründen fernhält. Die Freie Szene schafft das zuweilen, und zwar deshalb, weil sie mit der Wahl ihrer Stücke ein anderes Publikum als das klassische Stadttheaterpublikum erreicht.

Die anvisierte Öffnung des Theaters impliziert, dass es geschlossen war. Geschlossen für die große Mehrheit der in Augsburg lebenden Bürger. Ein Theater öffnen, heißt zunächst, dass man untersucht, warum es für Mehrheit nur als ein bekanntes Gebäude existiert, nicht aber als Ort, wo Geschichten erzählt werden, die mit der Geschichte und der Empfindsamkeit der Menschen zu tun haben. André Schmitz, einst Staatssekretär für kulturelle Angelegenheit in der Berliner Staatskanzlei, positioniert sich in dieser Angelegenheit, indem er eine kluge Frage stellte: „Woran liegt es, dass bei den Kinder- und Jugendtheatern, aber auch bei der Werkstatt der Kulturen so viele Besucher mit afrikanischen, asiatischen oder nahöstlichen Wurzeln zu sehen sind, bei den hoch subventionieren Museen, Theater, Oper aber nicht?“ Schmitz kennt die Antwort: „Diese Menschen werden erst dann auch in diese Häuser strömen, wenn dort in irgendeiner Weise ihre Geschichten, Erfahrungen und Erlebnisse bearbeitet werden. Wenn sie sich selbst als handelnde Figuren auf den Bühnen der Stadt wiederfinden und nicht als Fremde oder Exoten, Karikaturen oder Stereotypen, an denen sich die „echten“ deutschen (Helden-)Figuren abarbeiten.“ Die Zeiten als ein Kulturreferent namens Peter Grab von einem „erweiterten Kulturbegriff“ sprach, ohne zu wissen, was damit gemeint war, sind vorbei. Auch die falsch verstandene „interkulturelle Öffnung“ im Zusammenspiel mit Peter Grab und Timo Köster ist zu Grabe getragen.



N
un geht es „nur“ noch darum, klarzustellen, dass unter „Öffnung des Theaters“ nichts anderes als die Aufgabenstellung zu verstehen ist, den Adressatenkreis des Theaters radikal zu erweitern. Ohne das Große Haus und die damit verbundenen „Repräsentationskonzepte“ und mit einer wesentlich flexibleren Organisation besteht dazu zum ersten Mal nach gefühlt tausend Jahren eine echte Realisierungsmöglichkeit. Es wäre zu wünschen, dass sich der neue Intendant ohne Rücksicht auf Verluste dieser Aufgabe widmet. Und es wäre zu wünschen, dass er ohne den Ballast der programmatischen Selbstüberhöhung (Theatergebäude am Kennedyplatz) und der vorgeschriebenen Teilhabe der Mittelmäßigkeit (Freie Szene/Augsburg) die Stadt dergestalt gekonnt als Bühne zu nutzen versteht, sodass man nach fünf Jahren vergessen hat, warum man das Theatergebäude am Kennedyplatz für viel Geld sanieren wollte.

Die kommende Theatersaison muss man noch aushalten, dann könnte es in der Theaterstadt Augsburg richtig spannend werden.