Im Mensch ist kein Mensch
Premiere II: Palmetshofers „faust/grete“ in der Komödie
Von Frank Heindl
Es ist ein harter, kantiger, schwer zugänglicher Text, den der 31jährige Ewald Palmetshofer unter dem Titel „faust hat hunger und verschluckt sich an einer grete“ 2008 geschrieben hat. Unter der Regie des jungen schweizerischen Regisseurs Fabian Alder wurde das am Wiener Schauspielhaus uraufgeführte Stück am Samstag in der Augsburger Komödie gespielt – eine, das schon zu Beginn, hervorragend geglückte, den Text in großer Tiefe auslotende Inszenierung.
Der österreichische Autor hat erkennbar österreichische Autoren gelesen: Aus seiner Sprache sind die Einflüsse Thomas Bernhards und Elfriede Jelineks deutlich herauszuhören. Unvollständige Sätze ohne Subjekt oder Verb, Alltagssprache mit all ihrer (oftmals entlarvenden) Schludrigkeit, eine Fülle von überflüssigen Füllwörtern, elliptische Wiederholungen und natürlich das gewollte oder ungewollte Aneinander-vorbei-Reden prägen seinen „faust/grete“-Text.
Zwei kurze Vorspiele hat das Stück: Ein neugieriges Ehepaar beobachtet vom Esstisch aus eine Szene, die im späteren Verlauf eine Rolle spielen wird, und offenbart dabei eine Neugier, deren emotionale Komponente sich aufs lüsterne Gaffen beschränkt. Alder inszeniert das in karikierender Schrillheit – und wir werden erst später verstehen, aus welchem Grund. Danach beginnt der Teil, der in Goethes Faust mit „Prolog im Himmel“ überschrieben ist, und der bei Palmetshofer die Ortsbezeichnung „kein Himmel“ führt: Hier schon wird der Fauststoff paraphrasiert und abgewandelt, wird schon angedeutet, dass die Faustische Suche nach dem, was den Menschen im Innersten zusammenhält, nur eine inhaltslose Hülle offenbart, in der nichts Halt findet.
Sechs Schauspieler, vier Paare
Sechs Darsteller spielen vier Paare: Von links nach rechts Friederike Pöschel, André Willmund, Alexander Koll, Karoline Reinke, Michael Stange, Judith Bohle in Ines Nadlers Wohnzimmerlandschaft
Drei Paare feiern eine kleine Party. Ines Nadlers Wohnzimmerlandschaft gibt dafür den Rahmen: Die Drehbühne, die von den Schauspielern selbst in Bewegung gesetzt wird, beherbergt Hohlräume, aus denen Requisiten geholt werden, Verstecke, aus denen Akteure in neuem Kostüm wieder auftauchen, Löcher, in die gestolpert, gehüpft, gekotzt wird. Ein siebter Partygast taucht auf, eine achte gesellt sich dazu, damit nehmen die Dinge ihren Lauf. Raffiniert an Palmetshofers Stück ist, dass das letzte Paar nicht auftritt. Alles, was mit den beiden auf der Party und danach geschieht, wird von den Beobachtern, den anderen sechs Teilnehmern, dargestellt. Während also Paul, Ines, Anne, Fritz, Robert und Tanja mehr oder weniger gelangweilt vor sich hin und aneinander vorbei quasseln, spielen sie gleichzeitig das Drama der beiden nach. Die Verwandlung geschieht bei den Männern mithilfe eines Umhängebartes, die Frauen setzen sich stattdessen eine blond bezopfte Gretchenperücke auf.
Heinrich, dessen Namen wir erst ganz am Schluss erfahren, hat eine Auszeit in irgendeinem Krisengebiet hinter sich, hat auf der Suche nach Sinn und Welt Latrinen gegraben, anschließend aber seine digitalen Erinnerungen von der Festplatte gelöscht. Auch bei Grete (sie wird nie mit Namen genannt) ist er auf der Suche nach einem „Kern“ – einer Suche, die scheitern muss, weil er „die Verneinung zum Prinzip ernannt“ hat wie sein Urvater Faust im Bund mit dem Teufel. Die Beziehung scheitert, doch Grete ist schwanger. Dass sie ihren Körper als gefliesten Innenraum empfindet, der mit dem Hochdruckreiniger saubergehalten werden muss, kostet dem Neugeborenen am Ende das Leben.
Es gibt keine Wahrheit
Vergebliche Suche nach der Wahrheit im Menschen: Heinrich und Grete, hier dargestellt von André Willmund und Karoline Reinke
Wie es das Schauspielerteam nun schafft, in der faden Oberflächlichkeit und Pseudobetroffenheit der drei Gastgeberpaare das Scheitern des vierten Paares zu spiegeln, ist schwer zu beschreiben und umso höher zu loben. Alexander Koll und Karoline Reinke, André Willmund und Friederike Pöschel, Michel Stange und Judith Bohle gelingt das Kunststück, bei der abwechselnden Darstellung von Heinrich und Grete trotz aller Einfühlung doch auch den Charakter ihrer „eigenen“ Rollen durchschimmern zu lassen und machen so beißend sarkastisch deutlich, dass die beiden Sinnsucher nicht nur an ihrer eigenen Unfähigkeit, sondern auch an der Ignoranz ihrer „Freunde“, der Umwelt, der Gesellschaft, an der Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit von „uns allen“ scheitern. Es ist ungerecht, aus dieser Gemeinschaftsleistung eine einzelne hervorzuheben, aber Karoline Reinkes Verwandlung von der schnippisch-besserwisserischen Ines in die verzweifelte, mit Heinrich, mit ihrer Schwangerschaft, mit sich selbst ringenden Grete ist ein Beispiel für die bravourösen Leistungen der Darsteller.
Was die Inszenierung nicht schafft und nicht schaffen kann: Die komplexe Tiefe von Palmetshofers Konstruktion auf Anhieb durchschaubar zu machen. Dazu muss man das Stück zweimal sehen (sehr zu empfehlen) oder zusätzlich lesen (Vorsicht: ein schwieriges Unterfangen!). Dann nämlich bleibt einem das (vom Autor durchaus beabsichtigte) Lachen zumeist im Hals stecken, weil sich zeigt, dass schon zu Anfang jeder Satz auf das Verhängnis am Ende hinweist, dass jede noch so oberflächliche Phrase in der zweiten Hälfte des Stücks mit einer brutalen Wahrheit konfrontiert wird. Und dass dabei Goethes Suche nach Mensch und Wahrheit mit der grausam post-postmodernen Antwort konfrontiert wird: Es gibt keine Wahrheit, es gibt keinen Kern, es gibt keine Liebe, es gibt – nichts. Wer den Menschen umstülpt, um in seinem Inneren das Wesentliche zu ergründen, der wir genauso wenig finden wie in der umgestülpten Socke. In dieser steckt kein Fuß und „im Mensch ist kein Mensch.“
Nur der Tod ist konkret
Auch seinen eigenen Bemühungen um Klärung erteilt der Autor am Schluss eine Absage: Sprache ist kein Mittel für die Verständigung über das Absolute. So konkret könne Sprache nicht sein wie das „Auseinanderfallen des Körpers“, stellt Grete fest. Anders gesagt: Gegen den Tod hilft kein Reden, und er ist das einzig Konkrete, die einzige Wahrheit, von der wir wissen. Nach dieser Erkenntnis bleibt nur Saubermachen, Staubsaugen, Vergessen: „Dem Himmel sei‘s gedankt, dass mich der Paul nicht zum Erinnern zwingt“, freut sich Ines. So sind dann alle „Freunde“ doch nur geifernd sich ereifernde Zuschauer gewesen wie das neugierige Klischee-Ehepaar am Anfang. Berechtigt starker Applaus für Regie und Schauspieler.