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Donnerstag, 03.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Im Labyrinth der Grausamkeit

S’ensemble Theater: Heiko Dietz überzeugt als Kontrabassist

Von Siegfried Zagler

Kein Instrument, sondern Schicksal: Der Kontrabass mit Heiko Dietz (Foto: sensemble.de)

Kein Instrument, sondern Schicksal: "Der Kontrabass" mit Heiko Dietz (Foto: sensemble.de)


Es klingt abgedroschen und billig, lässt sich aber nicht vermeiden: „Der Kontrabass“ ist heute aktueller als in den Achtzigern, als Patrick Süskinds Ein-Mann-Stück das meistgespielte Bühnenstück in der deutschen Theaterszene war. In der Premiere zur Saisoneröffnung gelang es Heiko Dietz im S’ensemble Theater in der Kulturfabrik am vergangenen Samstag mit erstaunlicher – und beinahe an Routine grenzender – Leichtigkeit, die Balance zu halten. Ein größeres Kompliment kann man einem Schauspieler für diesen monströsen Monolog kaum machen. Dietz überzieht nicht in den Selbstbeschimpfungs-Tiraden und laviert sich nicht zu tief ins zurückhaltende Augenzwinkern der allegorischen Zeigefingeranalysen. Dietz ist nicht der Kontrabassspieler auf der Bühne und noch nicht einmal Schauspieler, der einen Kontrabassspieler spielt, sondern eine Kunstfigur, die sich irgendwo in einer Zwischenwelt zwischen Bühnenraum und dem Spielfeld der Wahrnehmung bewegt, also auf der Leinwand jener Orte, wo wir als Publikum bereit sind, uns hinzugeben. Heiko Dietz zeigt nicht auf uns, sondern er zeigt uns, wer wir sind. Sebastian Seidel (Regie und Bühne) schickt Dietz durch ein Environment der muffigen Sechziger. Ein Bauknecht-Kühlschrank, ein Rollwägelchen, Gartenstühle, der röhrende Hirsch an der Wand und vom Publikum aus gesehen rechts der Reisekoffer als Symbol der Hoffnung, als ewiger Hinweis für die ungenutzte Möglichkeit, die Not der eigenen Existenz verlassen zu können. Heiko Dietz ist ein Gefangener und quält sich durch die Enge eines Unortes, der mehr einem unentrinnbaren Labyrinth der Grausamkeit als einer Bühne gleicht.

„Die Psychoanalyse hätte uns einiges von Wagner erspart“

Die Isolation aller Kunstfiguren aus der Feder Süskinds verweisen auf die Romantik und deren Postulat von der Unvereinbarkeit des Künstlers und der Kunst mit der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist nicht die Welt (die ist draußen und laut, barbarisch laut), sondern das schalldicht isolierte Zimmer des Künstlers, der an der Aufgabe, die Welt abzubilden, nur scheitern kann. Uns (also dem Publikum), also der vierten Wand des klaustrophobischen Theater-Encounters der Kulturfabrik kann dabei der Part der der Wahnvorstellungen zugeschrieben werden. Wahnvorstellungen, die nicht so weit weg sind von der genormten Wirklichkeit, also davon, woran wir uns gewöhnt haben: „Ich kenne einen Mann, in dem steckt ein ganzes Universum, nur rauskriegen tun sie es nicht.“ Eichendorffs „Zauberwort“ findet bei Süskind Eingang in die Psychoanalyse, die uns „einiges von Wagner erspart hätte, hätte sie es zu seiner Zeit gegeben.“ Dietz findet dabei einen leicht erschöpften Ton, als hätte er gerade in Bayreuth den „Tristan“ überstanden. Das Publikum lacht. „Ich brauche eine Frau, die ich nicht kriegen kann, aber so eine, die ich gar nicht kriegen kann, brauch ich auch wieder nicht.“ Das Publikum lacht.

Die Rolle ist die einzig mögliche Identität

Die Annahme der eigenen Identität wird bei Süskind nicht über zuverlässige Einverständnisszenarien wie Beruf, Familie, Religion undsoweiter bearbeitet und infrage gestellt. Nur die Rolle, also die gespielte Identität, ist die einzig mögliche Identität in der Moderne. Diese Einsicht trugen Süskind und viele andere in den Achtzigern wie giftige Fackeln in die sokratischen Erkenntnishöhlen, womit angedeutet sein soll, dass sich niemand ernsthaft daran zu beunruhigen schien. Das authentische Subjekt als Konstrukt bürgerlicher Welt- und Ordnungsentwürfe ist in der Literatur und mit großer Lust in den philosophischen Hinterzimmern der Universitäten demontiert, verpackt und auf Sondermülldeponien entsorgt worden, ohne dass das jemand außerhalb der bildungsbürgerlichen Kaste aufgefallen wäre. Das war in den Achtzigern, dann kam das Web 2.0 und stellte die beunruhigende Einsicht von der Diversität des Ichs vom Kopf auf die Beine.

Der Kontrabass ist kein Instrument, sondern Schicksal

In „Der Kontrabass“ (1981) skizziert Süskind eine verzweifelte Gestalt, die noch davon ausgeht, eine bürgerliche Identität zu besitzen, also eine Gestalt, die eine schwer veränderbare Last trägt, an der man sich abzuarbeiten hat und an der es sich zu leiden lohnt. Das unhandliche Musikinstrument wird zum stummen Gefährten dieser Vorstellung und begleitet den Kontrabassisten bei seinen quälenden Erkundungen der vorgestellten Identität als Projektionsfläche. Das Instrument entwickelt Eigendynamik und generiert Wahnvorstellungen. Das Instrument ist der Fluch, der die Befreiung aus dem Zustand des Ungeliebtseins verhindert. Der Kontrabass ist also kein Instrument, sondern Schicksal: „Ein typisches Kontrabassistenschicksal ist zum Beispiel meines: Dominanter Vater, Beamter, unmusisch; schwache Mutter, Flöte, musisch versponnen; ich als Kind liebe die Mutter abgöttisch; die Mutter liebt den Vater; der Vater liebt meine kleinere Schwester; mich liebte niemand – subjektiv jetzt. Aus Hass auf den Vater beschließe ich, nicht Beamter, sondern Künstler zu werden; aus Rache an der Mutter aber am größten, unhandlichsten, unsolistischsten Instrument. (…) Als Kontrabassist im Staatsorchester, drittes Pult (…) vergewaltige ich täglich in der Gestalt des Kontrabasses, des größten der weiblichen Instrumente – formmäßig jetzt –, meine eigene Mutter“, wie es im Stück wörtlich heißt. Heiko Dietz sagt das ungerührt wie ein Reporter nach der tausendsten Berichterstattung aus einem Katastrophengebiet. Man glaubt es ihm. Man glaubt ihm alles. Das Publikum lacht trotzdem. Schweigen ginge auch nicht. Schweigen wäre womöglich unerträglich. Theater kann ein starkes Zeug sein. Am Ende langer und intensiver Applaus.

Der Kontrabass

von Patrick Süskind


Freitag, 7. Oktober 2011

Samstag, 8. Oktober 2011

Freitag, 14. Oktober 2011

Samstag, 15. Oktober 2011

Freitag, 21. Oktober 2011

Samstag, 22. Oktober 2011

Freitag, 4. November 2011

Zum letzten Mal am 5. November 2011

immer um 20.30 Uhr






S’ensemble Theater

Bergmühlstr. 34, 86153 Augsburg


» www.sensemble.de



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