Im Dichterstreit gewann das Kabarett
Brechtfestival: Poetry-Slam im Parktheater
Von Frank Heindl
Moderator Michel Abdollahi war im ausverkauften Parktheater schon aus dem Vorjahr bekannt, ebenso der formale Rahmen: Fünf Slammer treten beim Poetry Slam im Rahmen des Brechtfestival mit ihren eigenen Texten gegen fünf Schauspieler an, die Texte toter Dichter sprechen und in Szene setzen. Eine Publikumsjury verteilt Punktewertungen wie beim Eiskunstlauf, in der Endrunde tritt der am besten bewertete Vertreter der lebenden gegen den Sieger bei den toten Dichtern an. „Dead or Alive“ lautet die Frage – wer wird gewinnen: Die arrivierten toten Dichter oder die lebendigen, in persona vorhandenen Slammer. So funktioniert der Poetry Slam eben, das sind die Grundvoraussetzungen, mit denen man sich abfinden muss und die doch ihre Tücken haben.
Am Montagabend im Parktheater traten die Slammer, ausgewählt von Kuratortin Lydia Daher, gegen Ensemble-Schauspieler des Stadttheaters an, die selbst Autoren und Texte ausgewählt hatten – die Paarungen waren vorher per Los entschieden worden. Moderator Abdollahi thronte wie gewohnt autoritär und leicht arrogant auf seinem Sofa, teilte seine Magnumflasche Champagner mit dem Publikum, befehligte und kommentierte im Tonfall von ironisch bis bissig-sarkastisch, was Podium und Publikum veranstalteten, nachdem er einleitend festgestellt hatte, dass Brecht in seinen Augen „ein völlig überbewerteter Dichter“ sei – „aber irgendwas müssen Sie haben in Augsburg.“ Einen Zwischenruf gab es, der sich auf die Qualität eines vorgetragenen Slam-Textes bezog – der Kritiker wurde von Abdollahi, inhaltlich berechtigt, im Ton aber heftig überzogen, derart abgekanzelt, dass sich danach niemand mehr traute. Schade und eigentlich nicht im Sinne eines lebendigen Slams.
Statt vegetarisch gab’s Pizza „Totes Tier“
Die Slammer boten diesmal ein uneinheitliches Bild, das von hintergründiger Prosa (Patrick Salmen) über Comedy (Dalibor) bis zu der Aichstätterin Pauline Füg reichte, die mit ihrem Stück „Die kleine Pauline möchte gerne von der Vernunft abgeholt werden“ mutig ihre eigene Verletzlichkeit thematisierte. Und dann eben Volker Strübing aus Berlin, der in einem witzigen, politisch heftig unkorrekten Rundumschlag sein Biotop auf dem Prenzlauer Berg durch den Kakao zog – und zwar allein deshalb, weil in seinem Supermarkt keine vegetarische, sondern nur noch eine „Ersatz-Pizza ‘Totes Tier‘“ zu kriegen war. Ein spießiger Wutbürger mit Künstlerhabitus in sarkastischer Hochform, witzig und überdreht, gutes Kabarett einfach.
Die Slammer, so muss man es zusammenfassen, waren im letzten Jahr deutlich besser – damals wurde deutlich intensiver an der Form gearbeitet, gab es sogar so vollendet wie ironisch gearbeitete Gedichte mit Endreim, und auch inhaltlich war mehr geboten.
Schlingensief siegte für die toten Dichter
Gegen diese Phalanx standen die Augsburger Schauspieler: Toomas Täht als Erich Kästner und Olga Nasfeter als „die Knef“ litten ein bisschen unter der Textauswahl – zu wenig Pepp und Witz hatten die Stücke für die Ansprüche des Publikums, das wohl vor allem an Spaß und Drastik orientiert war. Miriam Wagner bot hinreißend, im perfekten Sprachduktus sanft berlinernd, eine saure, gerade vom aufdringlichen Chef entlassene Sekretärin in einem Text von Irmgard Keun. Judith Bohle spielte einen tief bewegenden und bewegten Text der Dramatikerin Sarah Kane, mit dem sie nahtlos an ihre Rolle der Klara in Hebbels „Maria Magdalena“ anknüpfen konnte – sie „verblutete“ nahezu an ihrem Text. Und schließlich Tjark Bernau, der, hüstelnd, verstrubelt und verstört, den im vergangenen August 49jährig gestorbenen Regisseur Christoph Schlingensief vorstellte – mit Texten aus dessen Krankenhaus-Tagebuch, in denen dieser bis zum Schluss energisch und uneinsichtig gegen den Tod kämpfte.
Eine richtige Linie war in den Bewertungen der zufällig zusammengewürfelten Publikumsjury nicht zu erkennen. Für die toten Dichter siegte Bernau mit seinem Schlingensief-Nachruf, bei den lebenden kassierte Strübing mit seiner Pizza-Story die meisten Punkte. Letzterer siegte dann auch in der letzten Runde gegen Schlingensief/Bernau mit den höchst drastischen Erzählungen einer Berliner Notfall-Tierärztin und einer, zugegeben: außerordentlich gelungenen Pointe.
Man musste das, wie gesagt, so hinnehmen – und auch Moderator Abdollahi nahm das so hin, wie er sich überhaupt im zweiten Teil der Veranstaltung sowohl mit seinem Esprit als auch mit seiner Bissigkeit deutlich zurück gehalten hatte. Man hätte auch ganz anders entscheiden, das Subtile gegen das Offenkundige aufwiegen können – und musste sich mit Abdollahis einleitender Erklärung trösten, der ganze Wettbewerb sei schlichtweg Unsinn, er diene einzig dazu, dem Ganzen einen Rahmen zu geben. Womit allerdings noch nicht geklärt wäre, was das eigentlich mit Brecht zu tun hatte.