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Dienstag, 13.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Ich fürchte seine Güte“: Mozarts Oper „Clemenza di Tito“ am Staatstheater Augsburg

Zeitgleich mit der häufig gespielten „Zauberflöte“ komponierte Mozart auch die opera seria „La Clemenza di Tito“. Ein Kammerspiel fast, das dramaturgisch an sich wenig Potenzial zu bieten scheint. Die Oper entstand aus Anlass der Krönung Kaiser Leopolds II. und war deshalb nicht als Konfrontation mit herrschenden Zuständen konzipiert. 

Von Halrun Reinholz

La Clemenza di Tito – Foto © Jan-Pieter Fuhr

Und doch geht es inhaltlich um eine der drängendsten Fragen der Politik: Kann „Güte“ ein Mittel des Herrschens sein? Oder bedarf es der Härte, der Konsequenz, um politische Ziele durchzusetzen? Sind Werte wie Freundschaft, Liebe, Vertrauen in der Politik überhaupt möglich?

Der Herrscher Titus Vespasiano hat den Thron wohl durch ein Attentat erworben und es dabei versäumt, sich um die sich als rechtmäßige Thronerbin betrachtende Vitellia zu bemühen, die zumindest als Ehefrau gern Königin werden möchte. Dennoch trennt er sich wohl aus Staatsräson von seiner Geliebten Berenice, um eine einheimische Frau zu nehmen. Servilia beispielsweise, die Schwester seines treuen Freundes Sesto. Doch diese steht auf Annio und sagt das dem Herrscher auch ganz deutlich. Sesto wiederum begehrt Vitellia,  die ihn deshalb anstachelt, sie zu rächen und den Tyrannenmord an Titus zu begehen. Der scheitert allerdings und das bringt die Frage nach Loyalität und Schuld, Vergeltung und Vergebung erst so richtig aufs Tapet.

Die verfahrenen Beziehungen zwischen den wenigen Darstellern bergen natürlich ein politisches Potenzial, das der polnische Regisseur Wojtek Klemm ganz klar in den Fokus seiner Inszenierung setzt. Unterstützt wird diese Sichtweise von (ja, mal wieder) Video-Einspielungen (Natan Berkowicz). Obwohl sie die Aufführung durchgehend begleiten und, zugegeben, manchmal auch nervig vom Bühnengeschehen ablenken, wirken sie dennoch stimmig für das Gesamtkonzept. Gleich zu Beginn und danach wird immer wieder ein bacchantisches Mahl im Freien eingeblendet, wo Titus und Berenice als glückliches Paar zu sehen sind. Doch die meisten Einspielungen zeigen mit schnellen Schnitten Straßenszenen von Aufständen, Paraden, politischen Kundgebungen – ohne nähere Zuordnungsmöglichkeit und daher auch nicht plakativ. Die ebenfalls polnische Kostümbildnerin Julia Kornacka hat dem Chor, dem „Volk“, eine jugendliche Faltenrock-Uniform verpasst, die alles zwischen Hitlerjugend und jungen Pionieren sein könnte. Die Gleichförmigkeit wird durch Masken noch verstärkt.

Die Mozart-Musik, die den Abend trotz allem dominiert, steht dazu nicht im Widerspruch. Ein einfaches Bühnenbild mit sich stets öffnenden Türen (Magdalena Gut) lenkt die Handlung dezent in die sich zuspitzende Dramatik, die von den durchwegs ausgezeichneten Sängerinnen und Sängern getragen wird. Mirko Roschkowski bringt den Titus als stimmgewaltiger Gast-Tenor, entpuppt sich überraschend aber auch als ausdrucksstarker Schauspieler, der nach der Pause erst einmal einen Monolog aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“ zum Besten gibt: „Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre an beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber.“

Danach erst setzt der zweite Akt der Oper ein. Neben Sally du Randt als Vitellia und Jihyun Cecilia Lee als Servilia sind auch die Männerrollen Sesto (Natalya Boeva) und Annio (Ekaterina Aleksandrova als Gast) mit Frauen besetzt. Publius, Berater und Adlatus des Herrschers (in der Premiere Torben Jürgens als Gast) verbreitet wohl immer wieder Schrecken im Volk, erzeugt dabei aber durchaus auch komische Momente. Dem polnischen Regieteam ist es gelungen, höchsten musikalischen Genuss klar und dennoch so dezent mit politischen Akzenten zu verknüpfen, dass der Opernabend den meisten Zuschauern wohl in anregender Erinnerung verbleibt. In das politische Gesamtkonzept passt allerdings auch die Abänderung des allgemein verzeihenden Happy-End von Mozarts Oper. Dieses findet zwar zunächst statt, aber Annio erweist sich als Anarchist und erschießt das endlich in Liebe verbundene Paar Titus und Vitellia. Wie im richtigen Leben halt.

Heftige Buh-Rufe nach der Premiere deuten wohl auf eine teilweise Missbilligung des Regiekonzepts, doch es gab auch „Bravos“ und letztlich uneingeschränkten und langanhaltenden Applaus für die Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne und im Orchester.