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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Huldigung und kritische Reflexion

Brechtfestival, Nachtrag 2: Wessen Welt ist die Welt?

Von Frank Heindl

Wessen Welt die Welt sei, hatte man mit Brecht schon Anfang vergangener Woche im Saal der Stadtwerke gefragt – einer der wenigen Abende des Brechtfestival mit dem Untertitel „Brecht und die Politik“, an dem es wirklich um den politischen Dichter Brecht ging.

Das Konzept der Vortragsabends war so einfach wie erfolgreich: keine langen Debatten über, sondern Texte von Brecht gab es zu hören. Michael Friedrichs moderierte und führte mit wenigen Worten in die Entstehungsgeschichte der vorgetragenen Texte ein, das Duo Isabell Münsch (Sopran) und Geoffrey Abbot (Klavier) spielte und sang, Stadttheater-Schauspielerin Judith Bohle trug Gedichte vor und der deutsch-türkische Kültürchor intonierte ebenfalls ein paar Songs.

Schön, dass auf diese Weise auch einmal der kritisch-agitatorische Brecht zu Wort kam, mit knappen, klaren Texten, die zur Veränderung aufrufen. „Meine Herren, das ist sehr schwierig“ – so ausweichend erklärt der Arbeitgeber im gleichnamigen Gedicht von 1930 die Arbeitslosigkeit. Doch in der letzten Strophe schallt ihm eine klare Antwort entgegen: „Unsere Arbeitslosigkeit geht nicht eher weg, eh ihr nicht arbeitslos geworden seid.“ Friedrichs ordnetet die Texte mit wenigen Anmerkungen – und oft unter Zuhilfenahme von Karikaturen und Zeichnungen – schlüssig in den zeitlichen Kontext ein und klärte auf, wo Brecht seine Anregungen her hatte. Und schnell kam dann der Dichter selbst zu Wort, mit prägnanten Gedichten und Songs, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen.

War das Leben wirklich „schlimmer als die Pest“?

Was war denn das für eine Zeit, in der Brecht seine Gedichte schrieb? Wenn er in „Mein Sohn, was immer aus dir werde“ eine Mutter ihrem Ungeborenen erzählen lässt, auf das Kind warte „ein Leben, schlimmer als die Pest“ weckt das regelrecht die Lust nach soziologischen Daten: War es denn wirklich so schlimm? Arbeitslosigkeit, Kindersterblichkeit, Durchschnittseinkünfte, Kohlen-, Kleidungs-, Lebensmittelpreise in der Zeit der Weimarer Republik, in Deutschland, in Russland – auch das wäre ein Thema, dessen sich die Auseinandersetzung mit Brecht einmal annehmen könnte – und sollte. Aus solchen Daten würde der Wunsch noch verständlicher, der am Ende der „Vier Wiegenlieder“ steht: „dass es auf dieser Welt nicht mehr zweierlei Menschen gibt“. Und solche Informationen würden manche Diskussion über die Rolle Brechts als Kommunist oder Gesellschaftskritiker in ein anderes, helleres Licht stellen.

Gegen Ende erklang auch das „Solidaritätslied“, 1931 für den Film „Kuhle Wampe“ entstanden. Aus dem Text Lied stammte der Titel der Veranstaltung: „Wessen Welt ist die Welt?“ In der Zeit seiner Jugend, hatte Moderator Michael Friedrichs vorher erklärt, habe es zum guten Ton gehört, auf diese Frage laut mit „Unsere!“ und in die Höhe gereckter Faust zu antworten. Geoffrey Abbott haut in die Tasten beim „Vorwärts und nicht vergessen“ – der Song stampft und treibt trotz der wechselnden Metren, Isabell Münschs Stimme mischt sich klar und herausfordernd in den Vortrag des Kültürchors. Doch als die besagte Frage am Ende erklingt, tönt aus dem Publikum nur eine einzige, zaghaft-schüchterne Frauenstimme mit der richtigen – der falschen? – Antwort: „Unsere …“

„Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront“

Die Verhältnisse haben sich geändert, heute singt und hört man Brecht anders als zu seiner Zeit. Andersrum vergessen jene, die ihn heute in politische Raster sortieren wollen, leider oftmals, dass man ihn zu seiner Zeit eben auch anders hören und singen musste als heutzutage. Und dass Brecht deshalb anders sprechen, dichten und auftreten musste als es unserem ach so befriedeten Zeitalter angemessen erscheint. Ganz zum Schluss, beim Einheitsfrontlied, sangen dann sogar Teile des Publikums mit: „Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil auch du ein Arbeiter bist“. Das dürfte vor allem historische Reminiszenz, sentimentale Erinnerungsseligkeit und Huldigung an den großen Dichter gewesen sein. Dank des Rahmens aber, den Michael Friedrich bot, wurde es auch kritische Reflexion. Das war mehr, als sich von einem Großteil des Festivals sagen lässt.