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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Heiliger Boden: Kirchasyl bleibt die Ausnahme

Eine Stunde lang befasste sich der Stadtrat am gestrigen Donnerstag mit dem Thema Kirchenasyl. Anlass war das Schicksal einer tschetschenischen Familie, die in einem Augsburger Pfarrhaus vergeblich Schutz vor der Rücküberführung von Augsburg nach Polen gesucht hatte.

Ort der vergeblichen Zuflucht: St. Peter und Paul in Oberhausen

Ort der vergeblichen Zuflucht: St. Peter und Paul in Oberhausen


Die Familie – eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern – war zunächst von Tschetschenien nach Polen geflüchtet, reiste dann im Juli 2013 nach Deutschland weiter und wurde nach einem Asylantrag im „Grandhotel“, einer Augsburger Einrichtung für Asylbewerber, untergebracht. Im September 2013 war allerdings nach einem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge klar, dass der Asylantrag in Deutschland unzulässig war, Polen für die Durchführung des Asylverfahrens der Familie zuständig ist und eine Rücküberführung innerhalb von sechs Monaten nach Einreise erfolgen muss. Gegen den Bescheid wurden keine Rechtsmittel eingelegt. Ein Antrag auf Duldung im Dezember 2013 und eine Petition, über die am 22. Januar negativ entschieden wurde, brachten der Familie einige Monate Aufschub. Am 31. Januar wurde die Familie über die bevorstehende Rücküberführung informiert, als Termin für die Ankunft an der polnischen Grenze der 18. Februar 2014 um 14 Uhr festgesetzt.

Das Kirchenasyl dauerte nur eine Nacht

Am Nachmittag des 17. Februar erreichte die Augsburger Ausländerbehörde ein Fax, dass sich die Familie nicht mehr im „Grandhotel“ aufhalte, sondern im Pfarramt von St. Peter und Paul, einer katholischen Kirche in Oberhausen. Dort wurde die Familie am frühen Morgen des 18. Februar von der Polizei abgeholt und anschließend zur polnischen Grenze gefahren. „Ohne Zwang, Drohungen und ohne Haftbefehl“, so der zweite Bürgermeister Herrmann Weber (CSM) in seiner Funktion als Vertreter des Ordnungsreferenten gestern im Stadtrat. Sowohl Pfarrer Karl Mair als auch die Familie hätten sich nach Erklärung der Rechtslage kooperativ verhalten.

Kein Ermessensspielraum auf kommunaler Ebene

Webers minutiöser dreiteiliger Bericht, in dem er die Ereignisse aus Sicht der Ausländerbehörde der Stadt Augsburg, der Polizei und aus seiner ganz persönlichen Sicht als praktizierender Christ schilderte, geriet zu einem bedrückenden Doku-Drama. Schnell wurde allen Stadträten klar, wie sehr man in ein europäisches System der Asylpolitik einbunden ist, in dem es auf kommunaler Ebene keinerlei Ermessens- und Auslegungsspielraum oder Möglichkeiten zu passivem Verhalten gibt. Und damit auch keinen Raum für persönliche Vorwürfe gegen Verwaltungsmitarbeiter, die Polizei oder gegen den Oberbürgermeister, mit denen Vertreter der Opposition im Vorfeld der Sitzung nicht gespart hatten.

„Ich bedaure sehr, dass es keine gesetzliche Grundlage für ein Kirchenasyl gibt“, so Weber, der sowohl den Mitarbeitern des „Grandhotels“ als auch der Ausländerbehörde seine Hochachtung aussprach. Im Sachen Kirchenasyl hätte er sich aber – zusammen mit OB Kurt Gribl – am vergangenen Dienstag mit Vertretern der Kirchen, der Polizei und der Regierung von Schwaben über eine zukünftige Vorgehensweise verständigt. So stehen die evangelische Stadtdekanin Susanne Kasch und der katholische Stadtdekan Helmut Haug künftig als Ansprechpartner zur Verfügung und setzen die Behörden über ein in Anspruch genommenes Kirchenasyl in Kenntnis. Behörden und Polizei müssten aufgrund der Gesetzeslage zwar wie bisher agieren. Wenn aber ein Kirchenvertreter „Nein“ sage, „betritt niemand den Raum“, so Weber.

Kirchenasyl nur aus humanitären Gründen

Sowohl Hermann Weber als auch OB Kurt Gribl machten allerdings klar, dass Kirchasyl nur absoluten Ausnahmesituationen vorbehalten sein dürfe. Man erwarte in jedem Fall eine beurteilbare Darlegung humanitärer Gründe, so Gribl. Eine Traumatisierung oder die Gefahr einer rassistischen Verfolgung durch die Rücküberführung nach Polen, das gemäß zweier erst im Januar 2014 ergangener Augsburger Verwaltungsgerichtsurteile in Sachen Asyl ein sicheres Drittland ist, sei im gesamten Verfahren der tschetschenischen Familie nie thematisiert worden, so Hermann Weber.

Dass im aktuellen Fall verfahrenstaktische und damit andere als humanitäre Gründe eine Rolle gespielt haben, hat das „Grandhotel“ inzwischen in einer Stellungnahme eingeräumt. So habe das Kirchenasyl erreichen sollen, „dass die Familie bis zum Sonntag, den 23.02.2014, in Sicherheit leben kann, um am darauffolgenden Montag einen Asylantrag in Deutschland stellen zu können“. Durch das Verhindern der Rücküberführung wäre die Sechsmonatsfrist der sog. Dublin-II-Verordnung ausgehebelt worden und die Familie hätte weiteres Aufenthaltsrecht in Deutschland erlangt.