Grünes Augsburg: nachhaltig, gerecht und modern
Bündnis 90/Die Grünen lud zum Neujahrsempfang
Von Frank Heindl
Etwa 350 Gäste im fast schon überfüllten Oberen Rathausfletz, drei Redner mit Format und ein paar greifbar konkrete Visionen für eine grün geprägte Stadt – das war, sehr knapp zusammengefasst, der Neujahrsempfang von Bündnis 90/Die Grünen am Sonntagnachmittag. Neben ihrem Bürgermeisterkandidaten Reiner Erben bot die Partei zwei prominente Gäste: Claudia Roth, seit Oktober Vizepräsidentin des Bundestags in Berlin, sowie den grünen Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn.
Grün kann Stadt: Stuttgarts OB Fritz Kuhn (links) und Reiner Erben
Reiner Erben füllte das Motto des Empfangs “Grün kann Stadt” zunächst mit seinen eigenen Inhalten: Nachhaltig, gerecht und modern solle die “grüne” Stadt werden. Erben plädierte dabei für klassisch grüne Reformen wie Ausbau des Radwegenetzes, flächendeckendes Tempo 30 in der Stadt, Umbau der Stadtwerke zum “modernen Energiedienstleiter mit hundert Prozent regenerativem Strom” und mehr Bürgerbeteiligung bei der Energiewende. Mit grünen Ideen könne man durchaus “schwarze Zahlen schreiben” – allerdings müsse man ein “Wünsch dir was” vermeiden, wie es die gegenwärtige Stadtregierung praktiziere. Beim Thema Gerechtigkeit hob Erben vor allem auf die Integration von Migranten und Flüchtlingen ab – als Geschäftsführer von “Tür an Tür” auch beruflich sein Thema. Die Grünen, so Erben, wollten “ein multikulturelles Augsburg gestalten” und für “menschenwürdige Unterstützung” der Flüchtlinge sorgen – unter anderem mithilfe eines “Amtes für multikulturelle Angelegenheiten”. Für das Attribut “modern” fordert Erben unter anderem ein “zeitgemäßes Theater” und “spannende Brecht-Tage”, aber auch die Förderung von Breiten- und Freizeitsport sowie des nicht vereinsgebundenen Sports.
Musikalische Unterhaltung vom afghanischen Neubürger
Eine bemerkenswerte Idee der Augsburger Grünen war die musikalische Gestaltung der Pausen zwischen den Reden: Der Afghane Farhad Sidiqi, noch vor zwei Jahren von Ausweisung bedroht, sang afghanische Lieder und begleitete sich am Klavier, nicht eben typisch afghanisch, sondern musikalisches Produkt seiner Integration – er hat vor zwei Jahren begonnen, das Instrument zu erlernen.
Nach diesem Intermezzo ging es mit Fritz Kuhn weiter. Er gab in seiner zwanzigminütigen Rede einen unprätentiösen Einblick in seine Arbeit als Stuttgarts grüner Oberbürgermeister: sprachlich klar, inhaltlich konkret und dazu noch sympathisch schwäbisch – Kuhn stammt aus Memmingen, spricht von “Augschburg”, wenn er Augsburg meint und sagt natürlich “isch”, wenn es auf hochdeutsch “ist” heißen müsste. Zur Bedeutung “nachhaltiger Stadtpolitik” steuert er drei Zahlen bei: 50% der Menschen weltweit leben heute bereits in Städten, im Jahr 2050 werden es, Prognose zufolge, bereits 80% sein. Kuhns Folgerung: “Wenn die Welt ökologisch gerettet werden soll, entscheidet sich das in den Städten. Deswegen isch die Kommunalpolitik so entscheidend.” Dass das nicht einfach ist, erfährt er derzeit in Stuttgart: “Wir ersaufen im Autoverkehr” gesteht er unumwunden. Und dass das Problem nicht gegen, sondern nur in Zusammenarbeit mit der Autoindustrie zu lösen sei, hält er für unvermeidlich – er hat es zuhause mit Mercedes, Porsche und einer Vielzahl von Zulieferbetrieben zu tun.
Die Vision von der nachhaltigen Stadt: sozial ausgeglichen, ökologisch vorbildlich
Ökologie sei heute Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg und ein unschätzbarer Exportartikel. Wenn die deutschen Städte es schaffen, ihre Verkehrsprobleme zu lösen, so Kuhn, werde das der Ökologie weltweit helfen – nur so lasse sich nämlich vermeiden, dass irgendwann auch in China und Indien, wie heute in Deutschland, auf 1000 Menschen 564 Autos kämen – derzeit sind es dort zehn beziehungsweise acht Autobesitzer unter 1000 Einwohnern. Weiterer wichtiger Aspekt in Kuhns Vision von der nachhaltigen Stadt: es müsse “sozial zugehen”, ein Gegensatz zwischen sozial und ökologisch dürfe gar nicht erst entstehen. Eines seiner Rezepte: Sozialer Wohnungsbau, der seine Bewohner nicht stigmatisiert, sondern dafür sorgt, dass die Städte für alle Bevölkerungsgruppen bewohn- und bezahlbar bleiben oder werden. Städte bräuchten “eine gute soziale Mischung”, damit die Bewohner sehen: “Es gibt auch andere, denen’s anders geht als einem selber.” Schließlich mahnt Kuhn auch bessere und wohl überlegte Bürgerbeteiligung sowie eine “atmende, offene Verwaltung” an: Städte müssen seiner Meinung nach “früh ahnen und wissen”, was die Bürger wollen.
Claudia Roth: CSU-Slogan “brandgefährlich”
Als letzte Rednerin schlug Claudia Roth den Bogen zur Weltpolitik, berichtete von ihrem weltweiten Einsatz für Kriegsflüchtlinge und Verfolgte und warnte davor, die bundesweit elf Kommunalwahlen dieses Jahr mit “rechtspopulistischen Kampagnen” wie dem CSU-Slogan “Wer betrügt, der fliegt” zu polarisieren – “brandgefährlich” seien solche Sätze vom “Stammtisch”, immerhin gehe es um die Freizügigkeit und damit um ein “großes Freiheitsversprechen” an die europäischen Bürger. Schließlich gab es auch noch den Hinweis auf Deutschlands Verantwortung gegenüber Sinti und Roma, die Opfer eines derzeit grassierenden Antiziganismus seien und gerade hierzulande davor geschützt werden müssten – angesichts von 500.000 Opfern in den Konzentrationslagern der Nazis.
Vom spezifisch Augsburgerischen zum Thema Großstadt allgemein bis hin zu weltpolitischen Themen – vielleicht wäre die Reihenfolge andersrum sinnvoller gewesen, jedenfalls bot der grüne Neujahrsempfang einen guten Überblick über grüne Politik im allgemeinen und zeigte grüne Perspektiven für Augsburg auf. Motivierend fürs Parteivolk war der Nachmittag ohne Zweifel, kulinarisch überzeugte das nahezu unerschöpfliche Kuchenbuffet aus regionaler Produktion: alles von engagierten Parteimitgliedern selbst gebacken.