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Grüner gehts nicht: Kommentar zum Koalitionsvertrag der Schwarz-Grünen Stadtregierung
Die Augsburger Stadtregierung aus CSU und den Grünen hat sich auf dem Papier eine linksgrüne Programmatik verordnet, die sich die Grünen in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können. Es ist ein Werk des Grünen Aufbruchs, sodass man den Eindruck erhält, dass sich die Gribl-CSU in Luft aufgelöst hat
Von Siegfried Zagler
Die Maximilianstraße und die Karolinenstraße sollen autofrei werden. Tempo 30 in zahlreichen Straßen weiter eingeführt werden. Die Priorisierung des Autoverkehrs wird aufgegeben, weite Teile des Radbegehrens stehen auf der Agenda. Auf allen öffentlichen Gebäuden sollen Solarzellen montiert werden, die Karlstraße verkehrberuhigt, 30 bis 40-prozentig soll der Anteil des geförderten Wohnbaus bei neuen Bauprojekten sein, Klimaneutralität schnellstmöglich angestrebt werden. Grundstückserwerb nach Erbpachtrecht ermöglicht werden. Neue Wohnungen sollen im Innenbereich der Stadt entstehen: durch Aufbauten an bestehenden Gebäuden oder Schließen von Baulücken. Städtische Flächen sollen bevorzugt an junge Familien, Wohngemeinschaften, Genossenschaften oder Baugemeinschaften vergeben werden. Die städtische Wohnbaugruppe WBG soll 1000 geförderte Wohnungen bis zum Jahr 2026 bauen. Eine Zweckentfremdungssatzung soll zum Beispiel airnb.de einen Riegel vorschieben und Wohnraum vor anderweitigen Verwendungen schützen.
Der ÖPNV soll ausgebaut und günstiger werden. Parkplätze reduziert und Geschwindigkeitskontrollen intensiviert werden. Der Eintritt in die städtischen Museen soll schrittweise kostenfrei ermöglicht werden. Bezirksräte eingeführt werden. „Klassische Grüne Kampfbegriffe“, wie „Fahrradstadt“ oder „sichere Hafenstadt“ tauchen zwar explizit nicht auf, sind aber inhaltlich vertieft worden. Das gesamte Koalitionspapier trägt an keiner Stelle eine old-school-csu-Handschrift.
Festzuhalten ist zwar, dass einige Punkte davon auch im aktuelle CSU-Wahlprogramm fixiert sind. Doch generell lässt sich sagen, dass Tonalität und inhaltliche Priorisierungen den Eindruck vermitteln, dass man, wenn man es nicht besser wüsste, denken könnte, die Augsburger Grünen haben eine Regierungserklärung abgegeben. Alle von der DAZ befragten Spitzen-Grüne verneinten die Frage, ob sie ein dergestalt Grünes Programm auch mit der Augsburger SPD hätten durchdrücken können.
Evas Webers inhaltliche Umgestaltung der Augsburger CSU, die in der Gribl-Ära unvorstellbar gewesen wäre, wurden in diesem Koalitionspapier in eine politische Sprache gegossen, die einen Aufbruch in eine neue Zeit beschwört. Bei Kurt Gribls Koalitionsverträgen waren die einzeln aufgeführte Punkte inhaltlich nicht korrespondierend, sondern ergaben sich aus Verwaltungszuständen und Sanierungszwängen. Bei diesem Vertragswerk gibt eine gesellschaftliche Zielformulierung den Ton an. Politik zieht wieder ins Rathaus ein.
„Na also, es geht doch“, möchte man sagen. Natürlich stehen beide Koalitionspartner vor den „Mühen der Ebenen“ (Brecht), denn jeder Vertrag muss gelebt werden. 44 Seiten Papier voller Willenserklärungen und Versprechungen sind nur dann relevant, wenn die Versprechungen auch gehalten werden. Davon darf man ausgehen. Deshalb ist diese Programmatik nach den konzeptfreien Gribl-Jahren eine Sensation. Im Normalfall werden Koalitionsverträge von den Koalitionären nämlich still abgearbeitet. Regierungskoalitionen zerbrechen nicht an ihren Verträgen, sondern an unvorhersehbaren Problemen, die die Zukunft birgt.
Die Frage, die nun im Raum schwebt, lautet also, ob die Augsburger CSU diesen Grünen Kurs lange durchhält und an diesem Vertrag die gesamte Stadtratsperiode festgehalten wird. Die Chaos-Regierungen der vergangenen zwölf Jahre sind Geschichte. Etwas Neues beginnt – und das könnte gut werden!
Der vollständige Koalitionsvertrag steht hier zum Download zur Verfügung.