Gottesanbeterin in der Kulturfabrik
Ein ambivalentes Bühnenstück feierte am vergangenen Donnerstagabend in der Kulturfabrik die zweite Premiere. Christian Krugs schauspielerische Leistung überzeugte in der Wiederaufnahme der „Gottesanbeterin“ zum 10jährigen Geburtstag des S´ensemble Theaters in der Bergmühlstraße.
Vor 10 Jahren hob sich in der Kulturfabrik für „Die Gottesanbeterin“ zum ersten Mal der Vorhang. Der Monolog eines New Yorker Restaurantbetreibers reflektiert nicht weniger als die Suche nach dem Grund des zivilisierten Daseins der Spezies Mensch. Peter S. erhält den Auftrag, die Wohnung des ermordeten David aufzulösen. Peter erzählt jedoch nicht nur von seinen Erinnerungen an den weltfremden „Verlierer“ David, sondern von seiner eigenen Verstrickung in die Obsession der Selbstauflösung. Unkontrollierbare sexuelle Hingabe und Hörigkeit als Ausweg aus der unverschuldeten wie sinnfreien Existenz, auf diese schlichte Formel lässt sich das Stück herunterschleifen.
Indienfahrer, Romanautor und nicht zuletzt Schauspieler Christian Krug hat das Stück selbst verfasst: Zuviel Wortgeklingel aus der Nachbarschaft des Existenzialismus, zuwenig Fleisch, auch wenn es darauf im wahrsten Sinne des Wortes hinausläuft. Geldexperten und Geschäftemacher kennen keine Antworten auf die wichtigen Fragen, sie kennen nicht mal die Fragen. Darüber sollte man sich nicht wundern. Von einem Stück allerdings sollte man sich mehr erhoffen dürfen. Peter S. alias Krug sucht nach der „Antwort auf alles“, ohne eine Frage zu stellen. Peters Fragen sind nur rhetorische Kniffe, um im Fahrwasser der alles eliminierenden Obsession fortfahren zu können. Der am Ende mit abgerissenem Kopf kopulierende David könnte – das treibt Peter um – mehr wissen.
Darauf sollte man nicht setzen: David ist womöglich „nur“ Opfer seines Müßiggangs. Was tut man nicht alles aus Langeweile! Georg Büchner lässt uns in Leonce und Lena in diesen Abgrund blicken. Und die Begehrlichkeit? „Jedes Tier kann es“, möchte man mit Ruth Berlau sagen. Das zerstörerische „Sexding“ wabbert über Internet seit mehr als ein Jahrzehnt in die guten Wohnstuben der Kleinbürger und feiert dort triumphale Siegeszüge. Auf der Bühne evoziert Christian Krugs Suche nach der „Antwort auf alles“ im Jahre 2010 eher distanziertes Amüsement denn verstörende Einsicht. Dennoch lohnt sich der Besuch. Das Timing der Inszenierung und die authentisch wirkende Verzweiflung des Suchenden im Spiel Krugs nehmen den sprachlichen Plattitüden aus dem Hause Heidegger das Seichte des Schwerblütigen. Trotz bedenklicher Textschwächen: Gerade noch so die Balance gehalten, gerade noch gelungen. Am Ende gab es im vollbesetzten Haus langen Applaus und ein Geburtstagsständchen für Regisseur Sebastian Seidel.
Weitere Termine: 4., 5., 11., 12. und 18. Juni 2010, jeweils 20.30 Uhr
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