“Goerlich war Grabs politischer Superjoker”
Woran Augsburgs Popkulturbeauftragter Richard Goerlich gescheitert ist
Kommentar von Siegfried Zagler
Die Verlängerung der Stelle des Popkulturbeauftragten vor wenigen Monaten hat der Stadt nicht wenig Kritik eingebracht. „Es kann nicht angehen, dass die Stadtregierung hier ohne inhaltliches Konzept und an den Gremien vorbei eine Stelle etabliert, wo sie doch sonst von Haushaltskonsolidierung und Aufgabenkritik redet und eine große Anzahl von Stellen streichen will“, so Reiner Erben, Fraktionschef der Grünen. Richard Goerlich hat damals bei seiner Vertragsverlängerung lange gezögert, und zwar genau aus diesem Grund. Er forderte für sich eine präzise Stellenbeschreibung, die nie erfolgt ist. Dass Goerlich dennoch verlängerte, hatte mit der Hoffnung zu tun, dass diese nachträglich noch durch sein Hinzutun herausgebildet werde, was nicht geschah. Dass Goerlich hinschmiss, weil er sich nicht mehr “nur noch” als Zeremonienkaspar für städtische Festivalprojekte und Konzeptentwicklungsmeister für die kulturelle Nutzung des innerstädtischen Raum sehen wollte, ist wahrscheinlich, aber nicht gesichert, da Goerlich gestern erstmalig gegenüber der DAZ keine ernstzunehmende Erklärung abgab. Gesichert ist jedoch Goerlichs Begehr, nicht mehr Mädchen für alles und jenes sein zu wollen. Einen Spagat nach dem anderen zu schlagen, ist eben nicht jedermanns Sache.
Unvergessen: Goerlichs Angriff auf den Kulturpark West
Es wäre falsch, Goerlichs Gestaltungskraft nur an dem großartigen Sommer-in-der-Stadt-Programm „City of Peace“ festmachen zu wollen (störend war dabei nur das Rahmenprogramm: die Frauen-WM). Goerlich war bereits vorher auf verschiedenen Spielfeldern sehr erfolgreich tätig. Das Schulprojekt “Unsere Show”, das “Popcollege” für junge Bands, das “Popforum” als Treffpunkt und Sprechstunde, die Modular-Kreativmesse, die regelmäßigen Beratungen in Sachen Kreativneugründungen, Aktionen wie die Graffittiwand beim Stadion oder die Bauzaunkunst an der Kreissparkassen-Baustelle und natürlich der Wettbewerb „Band des Jahres“ trugen Goerlichs Handschrift und haben längst vor dem sündhaft teuren Großprojekt „City of Peace“ dazu geführt, dass sich in der Stadt langsam etwas abzuzeichnen begann, womit unter der Ära Peter Grab am wenigsten zu rechnen war: zielsichere Bewegung und konservative Nachhaltigkeit. Unvergessen auch Goerlichs Angriff auf den Kulturpark West. Für das DAZ-Interview „Bullshit und Worthülsen“ erhielt er eine Abmahnung von Kulturamtsleiter Thomas Weitzel. Sein lautstarker Protest via DAZ gegen die Pöbel-Pressemitteilung von Pro Augsburg gegen Eva Leipprand hat die Bürostruktur des kleinen Regierungspartners dauerhaft verändert.
Mit Goerlich ein Gespräch zu führen, war stets ein Vergnügen
Mit Goerlich ein DAZ-Gespräch zu führen, war stets ein Vergnügen, was damit zu tun hatte, dass er es verstand, seine Verletzlichkeit mit Selbstironie und Selbstkritik darzustellen. „Schreib das ja nicht, sonst bin ich erledigt.“ Goerlich zog in jedem Gespräch eine zweite Ebene ein. Sich selbst zeigen, sein Denken jenseits der politischen Zwänge offenzulegen und auf Vertrauensvorschuss zu bauen, war und ist eine Stärke, die Goerlich auf die bemerkenswerte Anhöhe eines vergnüglichen und streitbaren Gesprächs- und Diskurspartners hievte. „Jeder in Augsburg, der mit mir zusammenarbeitet, weiß, dass ich diese Arbeit sehr ernst nehme und meine Entscheidungen und Projekte immer fundiert begründe und theoretisch hinterlege“, so Goerlich unbescheiden in einem der zahllosen DAZ-Interviews. Eine zutreffende (und unbestrittene) Selbsteinschätzung, die man – hätte sie Peter Grab getroffen – in der Luft zerrissen hätte.
Der Kulturausschuss ist unter Grabs Führung zu einem Tollhaus mutiert
Für Kulturreferent Peter Grab ist Goerlichs Abgang ein Verlust, der Augsburgs Kulturreferent in höchste Not bringen wird. Goerlich war Grabs politischer Superjoker und Schutzschild zugleich. In vielen Reden verwies Grab (meist im Zusammenhang mit “Kultur für alle”) auf Richard Goerlich, der einen großartigen Job mache. Nach dem sang- und klanglosen Scheitern der Kulturkoordinatorin und dem paukenschlagartigen Abgang des Popkulturbeauftragten sind zwei höchstpolitische Stellen des Kulturreferats verschwunden, die dereinst für das operative Management des Kulturreferenten vorgesehen waren. Grabs Scheitern ist spätestens seit gestern in Stein gemeißelt. Ku.spo, Biennale-Konzept, Strukturänderung Kulturamt sind mit Pauken und Trompeten gescheitert. In der Kulturszene hat Grab kaum Standing entwickelt, mit Baureferent Merkle und Kulturamtsleiter Weitzel ist er im Dauerclinch, mit OB Gribl nicht erst seit der Integrationsbeiratsaffäre auf tödlichem Kollisionskurs. Der Kulturausschuss ist unter Grabs Führung zu einem Tollhaus mutiert: Nach Goerlichs Abgang ist Peter Grabs Isolation abgeschlossen. Spannend ist somit nur noch die Frage, wer nach Richard Goerlich das kulturpolitische Vakuum dieser Stadt auszufüllen versteht.