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Donnerstag, 21.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Gepflegter Goodman-Swing

Jazzsommer: Das Stephan Holstein Quintett kam erst spät in Fahrt

Von Frank Heindl

Benny Goodman – in diesem Namen schwingt für Jazzfans viele mit: Zum einen natürlich der Swing, den der Bigband-Leader zwar nicht erfunden, den er aber populär gemacht und entscheidend beeinflusst hat. Die amerikanischen dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts sind ohne diesen Sohn jüdischer Immigranten, der schon mit zwölf Jahren in den Tanzorchestern von Chicago Klarinette spielte, nicht so richtig denkbar. Und dann natürlich die vielen Hits, die Standards des Jazz, von denen er viele selber schrieb, von denen er viele andere unsterblich machte.

Natürlich muss jede Band scheitern, die versucht, all diese Mythen wieder aufleben zu lassen. Die 30er Jahre sind vorbei, der Swing jener Zeit ist in vielerlei Formen zum Klischee erstarrt und nicht ohne Mühen zu kreativem Leben wiederzuerwecken. Der Klarinettist Stephan Holstein unternahm den Versuch beim vierten Konzert des Augsburger Jazzsommers im Botanischen Garten – und scheiterte zwar nicht, erreichte aber doch nicht auf Anhieb das Ziel.

Mitreißendes Vibraphon

Graubart im Rausch des Swing: der Vibraphonist Wollfgang Schlüter. Hinter ihm Bandleader und Klarinettist Stephan Holstein

Graubart im Rausch des Swing: der Vibraphonist Wollfgang Schlüter. Hinter ihm Bandleader und Klarinettist Stephan Holstein


Woran lag’s? Ganz sicher nicht an Wolfgang Schlüter, dem 75 Jahre alten Vibraphonisten, den Holstein mitgebracht hatte. Schlüter ist der einzige in diesem musikalische sehr hochkarätigen Quintett, der den Swing in jeder Note zum Ausdruck bringt, man möchte fast sagen: der den Swing lebt. Zumindest jene Form, die man unweigerlich mit Benny Goodman assoziiert: Den euphorischen, den fanatisch-ekstatischen Swing jener Musiker, die, von Goodmans Klarinette angefeuert, in jagender Geschwindigkeit die Grenzen ihrer Musik einrissen, die auf der Bühne – heute würde man sagen: ausflippten und in immer waghalsigeren Kapriolen ihrer Musik neue Areale erschlossen. Schlüter stürzt sich, diesen Ahnen gleich, in seine Soli, spielt sich in einen Rausch, der das Publikum mitreißt.

Das schaffen die anderen Musikern nicht in vergleichbarer Weise. Zu „akademisch“ klingt ihr Spiel, zu sonor, zu ernst, verständlicherweise mehr an Goodmans Arbeit in Trio und Quartett orientiert als an seinen Bigband-Erfolgen. Das klang hin und wieder mehr nach dem Modern Jazz Quartett, nach jenen Nachfolgern also, die den Swing zur Coolness hin zähmten, die ihm das Wilde und Ekstatische nahmen, ihn stattdessen mit kammermusikalischer Finesse aufluden. Oder nach George Shearing, von dem die Band das atemberaubende Unisonospiel von Vibraphon und Klavier übernahm, zu dem sich dann noch Holsteins Klarinette gesellt.

Später doch noch „happy music“

Neben dem herausragenden Schlüter und Stephan Holstein selbst, der sich erstaunlich tief in Goodmans Sound einfühlt und oft zum Verwechseln dem Urahnen glich, blieb Tizian Jost am Piano merkwürdig zurückhaltend, was nicht nur am gedämpft klingenden Flügel lag, sondern fast ein bisschen lustlos wirkte. Thomas Stabenow am Kontrabass und Michael Keul an den Drums blieben meist vornehm im Hintergrund, leuchteten aber mehrmals mit prägnanten, schönen Soli hervor. Und je später der Abend wurde, desto mehr wurde aus dem Dargebotenen dann doch noch jener Swing, den Hostein selbst als „happy music“ definierte, jenes quirlig-ausgelassen-überdrehte Durcheinander aus vielstimmig jubelnden Instrumenten. In „Memories of you“ zeigt Holstein noch einmal deutlich, wo seine ganz große Kunst liegt: in den leisen Parts, wo ein paar sanfte Töne in einem sanften Vibrato ausklingen. Zu Beginn des Abends also erklang vielleicht ein womöglich etwas zu sehr „gepflegter“ Jazz, zum Ende hin fand er aber dann doch zu seinen „dirty“ unrasierten, quicklebendigen Wurzeln.