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Dienstag, 08.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Fusion: Stadtrat Hutter scheitert auf der Suche nach göttlichen Argumenten

Warum Stadtrat Otto Hutter auf der Suche nach den “wirklichen Argumenten” für die Fusion gescheitert ist

Von Siegfried Zagler

Stadtrat Otto Hutter (Linke) ist bekennender Atheist, weshalb sich bei ihm spirituelle Erfahrungen eher in den Zonen der Ratio abspielen sollten. Ein “Datenraum” in einer ehemaligen Direktoren-Villa mit mehreren tausend Seiten Informationstexten, Statistiken und grafischen Darstellungen hat Hutter nun offenbar dergestalt in einen spirituellen Erregungszustand versetzt, dass er mit der Vorstellung, dass sich dort “wirkliche Argumente” für eine Fusion finden lassen, auf Erkenntnissuche ging, um anschließend via Pressemitteilung zu vermelden, dass er nichts gefunden habe, was für eine Fusion spreche.

Ein “wirkliches Argument” ist eine Begriffsschöpfung, die an Platons Ideenlehre erinnert. Ein wahrer Gedanke, ein “wirkliches Argument” habe göttliche Qualität, so der Philosoph aus der Antike des Denkens, weil sie die Dinge der schnöden Welt überdauern, da sie aus der wahren Welt stammen, wohin unsere Seelen zurückstreben. Das erinnert aber auch an Juri Alexejewitsch Gagarin, den ersten Kommunisten im Weltall, der augenzwinkernd der Sowjet-Presse berichtete, dass er dort keinen Gott gesehen habe.

„Ich habe mich verpflichtet, geheimzuhalten, was ich gelesen habe, aber ich darf sagen, was da nicht stand“, so Hutter, der mit dieser esoterischen Rabulistik nur auf spitzfindige Effekthascherei aus ist, also eine Tonart anschlägt, die nichts mit Politik aber sehr viel mit politischem Marketing in eigener Sache zu tun hat. Hutters Pressemitteilung wäre der DAZ keine Zeile wert, würde sie nicht auf ein grundsätzliches Problem verweisen, das sich nicht nur im Augsburger Stadtrat abzeichnet, nämlich auf den Niedergang des politischen Diskurses. Hutter sei, so schreibt er in seiner Pressemitteilung, in den Datenraum gegangen, um zu sehen, ob sich die Schlagworte der Fusionsbefürworter zu “wirklichen Argumenten” verdichten lassen. Aus diesem Grund habe er “gezielt nach Fakten und Zahlen gesucht, die für eine Fusion sprechen.”

Aus einer Machbarkeitsstudie lässt sich ableiten, ob und wie eine Fusion umzusetzen ist und zu welchen Konsequenzen wirtschaftlicher Art die Fusion führen sollte. Otto Hutter bewegt sich mit seiner Aktion auf dem Niveau von Kurt Gribl, der sich “ergebnisoffen” gab und seine politische Positionierung mit den Ergebnissen dieser Machbarkeitsstudie verband. Ein Denkfehler eines Oberbürgermeisters, der von Hutters Pressemitteilung in seiner Falschheit bestätigt und plausibilisiert wurde. Argumente für oder gegen eine Fusion lassen sich durch politische Wertschöpfung gewinnen, die man mit dieser Machbarkeitsstudie bestenfalls untermauern kann, wenn man denn für eine Fusion ist. “Fakten und Zahlen” denken nicht, sondern werden von Menschen entwickelt, die denken, dass diese Fakten und Zahlen ihr Denken bestätigen. In der vertieften Machbarkeitsstudie steht nicht viel mehr Verwertbares, was in der ersten Standard-Studie bereits skizziert war: Die Wertschöpfung der anvisierten Fusion lässt sich in einer Zahl bündeln (11,5 Millionen Euro zusätzlich), die durch Abschaffung von Parallelstrukturen und durch sukzessiven Stellenabbau “erwirtschaftet” wird. Daraus lassen sich politische Argumente für eine Fusion schmieden. Ein starkes Argument für die Fusion besteht zum Beispiel darin, dass sich der liberalisierte Energiemarkt in den kommenden 20 Jahren komplex entwickelt und zuspitzt, weshalb es vorausschauend und verantwortungsvoll sei, wenn man mit einer Kapitalerhöhung durch die Fusion und dem Wissen der Thüga stärker auf diese Herausforderung reagieren und mit Investitionen vorbauen könne.

Die Frage, die dieses politische Argument schwächt, ist ganz einfach: Ist die Energiemarkt-Prognose zutreffend? Aktuell ist der Energiemarkt dergestalt durchreguliert, dass 700 Stadtwerke (von insgesamt zirka 800), die nicht mit im Thüga-Boot sitzen, keine Wettbewerbsnachteile auf dem Energiemarkt erkennen können und offenbar sehen diese Stadtwerke auch keine Wettbewerbsnachteile in der Zukunft.

“Die entscheidende Frage nach der Notwendigkeit einer Fusion bleibt ohne Antwort“, so Hutter auf der Suche nach der “entscheidenden Frage”, die er gezielt dort sucht, wo er sie nicht finden kann. Die politische Haltung zur geplanten Fusion ist weltanschaulich herzuleiten, ist mit grundsätzlichen Überlegungen zur Gestaltung der Energiewende zu unterfüttern und gehört somit zu den spannensten Fragen, die es derzeit auf dem Markt der Fragen gibt. Aus diesem Grund liegt auch OB Kurt Gribl falsch, wenn er die Auffassung vertritt, dass der Bürger nicht in der Lage sei, über das Thema differenziert zu einer Meinung zu kommen. Man könnte Gribls Argument, der Bürger könne nicht alle Daten einsehen, weshalb der Stadtrat für ihn abstimmen müsse, mit Hutters gescheiterter Suche nach den “wirklichen Argumenten” in den Bereich des persönlichen Angriffs überführen, indem man die Speerspitze herumdreht: Wer glaubt, aus einer Machbarkeitsstudie ein eindeutiges “Ja” oder ein “Nein” zur Fusion herausarbeiten zu können, dem fehlt in hohem Maße der politische Scharfsinn und somit die Fähigkeit, das Machbare als das Richtige zu vermitteln.