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Dienstag, 26.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Fürchtet sich in Augsburg die Regierung vor dem Volk?

Warum die Wahl des Kulturbeirat an gelenkte Personenwahlen eines verschwundenen Staates erinnert

Von Siegfried Zagler

Die Geschichte des Kulturbeirats ist eine hochpolitische Geschichte. Das ungewöhnliche an dieser Geschichte ist der Umstand, dass sie schnell erzählt ist. Sie beginnt damit, dass Peter Grab (damals Frontmann von Pro Augsburg) im Frühjahr 2008 Kulturreferent der Stadt Augsburg wurde. Er löste Eva Leipprand ab (damals Bürgermeisterin und Frontfrau der Grünen). Unterstützt wurde diese Entwicklung von dem damaligen OB-Kandidaten der CSU, Kurt Gribl – und einem Clubbetreiber namens Richard Goerlich, der bereits vor der Wahl als luftiges  „Wahlgeschenk“ namens “Popkulturbeauftragter” im Gespräch war. Gribl und Goerlich waren damals in der politischen Stadt unbeschriebene Blätter, die, wie das bei unbeschriebenen Blättern nicht selten der Fall ist, unterschätzt wurden. Im gleichen Maße wie Gribl und Goerlich unterschätzt wurden, wurde der ehemalige „City-Manager“ Peter Grab überschätzt. Grab wurde von Gribl und Goerlich implementiert, gefördert und am Ende geschützt. Einer der Gründe, weshalb man die erste Amtszeit von Kurt Gribl als kulturpolitische Katastrophe bezeichnen darf. Im Gegensatz zu Bubmann (Wirtschaftsreferent) und Böhm (Ordnungsreferent), die sich glücklicherweise selbst aus ihren Ämtern hievten, blieb der Blender und Selbstdarsteller Peter Grab die gesamte Periode im Amt. Peter Grab, der weder den notwendigen Bildungshintergrund noch die notwendige kommunikative Kompetenz hatte, um die Dinge zu verstehen, die er als Kulturreferent zu bearbeiten hatte, schweißte die ansonsten in Grüppchen zerstreute und schlecht organisierte Augsburger Kulturszene zusammen.

Jürgen Kannler und Freunde entwickelten die provokative Idee, einen Kulturbeirat zu bilden. Zur Gründungsversammlung erschienen über 50 Gründungsmitglieder. Der einzige gemeinsame Nenner: Grab dürfe nie wieder Kulturreferent werden. Peter Grab konterte mit einer Zersetzungsstrategie und gründete flugs als Antwort auf diese Aktivitäten einen städtischen Kulturbeirat, dessen 20 Mitglieder berufen wurden. Der nichtstädtische Kulturbeirat nannte sich fortan „Kulturrat“ und beschäftigte sich eine Weile mit sich selbst, bevor er sich mit dem „Kulturnetzwerk“ und anderen versprengten Kulturschaffenden zu einer erstaunlich mächtigen und arbeitsfähigen Gruppe zusammenschloss, die sich „Ständige Konferenz“ nannte. Diese Gruppe, zu der auch Vertreter des Stadttheaters gehörten, setzte sich vor und hinter den Kulissen mit aller Kraft dafür ein, dass Peter Grab nach der Wahl – unabhängig vom Wahlergebnis als Kulturreferent nicht mehr in Frage kommt.

Mit der gleichen Raffinesse, die Grab verhindern sollte, setzte sich diese Gruppe hinter den Kulissen dafür ein, dass Kulturamtsleiter Thomas Weitzel Kulturreferent wird. Nach dem Grab-Fiasko wollte man das Risiko vermeiden, zum zweiten Mal einem Blender auf den Leim zu gehen. Weitzel wusste davon und tat genau das Richtige: Er fraternisierte nicht, blieb zurückhaltend und fuhr die bewährte „Beckenbauer-Strategie“, nämlich seine Förderer herauszufordern, indem er  zu verstehen gab, dass er kein übersteigertes Interesse an dem Job des Kulturreferenten habe.

Als Weitzel schließlich Kulturreferent wurde, zeigte er überraschende Durchsetzungsschwächen. Zunächst lief ihm sein Vorhaben aus dem Ruder, das Brechtfestival personell wie inhaltlich neu aufzustellen. Die Notwendigkeit einer neuen Theaterleitung wurde von ihm viel zu defensiv behandelt. Und schließlich knickte Weitzel sofort ein, als er den “Grab-Kulturbeirat” als Einrichtung wieder abschaffen wollte, aber überraschenderweise aus dem dahinsichenden Gremium ein Funken Widerstand kam.

Ein neuer Kulturbeirat mit neuer Geschäftsordnung musste her, und zwar einer, der von Bommas, Idrizovic und Co. nicht einfach instrumentalisiert werden kann. Fünf Mitglieder wurden berufen, fünf am vergangenen Mittwoch gewählt. Die fünf berufenen Vertreter des Kulturbeirates sollen Institutionen, (Theater, Universität, Religionen) vertreten oder schützenswerte Lebensphasen wie die der Jugend (Stadtjugendring) aufwerten und einem in der Luft schwebenden Amt eine Plattform bieten (Heimatpfleger). Theater leuchtet ein, Stadtjugendring auch irgendwie und sogar die Heimatpflege, während man sich dagegen bezüglich der Nominierung des „Runden Tisches der Religionen“ nur wundern kann. Erstens über die Vertreter der Religionen, die sich offenbar mit ihrer Degradierung abgefunden haben, dass sie nicht viel mehr darstellen als ein Stadttheater oder ein Jugendverband und sich somit offenbar damit angefreundet haben, eine „kulturellen Einrichtung“ auf Höhe des Stadtjugendrings zu sein. Und man muss sich zweitens über die Stadt wundern, die 200 Jahre Aufklärung mit einem Federstrich vom Tisch wischt. Religionsvertreter haben in einer säkularisierten Gesellschaft nichts in politischen Gremien zu suchen, selbst dann nicht, wenn sie mit religiösem Eifer die atheistische Glaubensvorstellung vertreten, dass Gott nicht existiere.

Vertreter der Universität dagegen müssten in einen Bildungsbeirat berufen werden. Diesen gibt es aber seltsamerweise nicht, obwohl ihn die Regierungsparteien SPD und Grüne vehement forderten, als sie noch in der Opposition waren.

Nicht weniger absurd verlief nun die „Wahl“ derjenigen Kulturbeiratsmitglieder, die aufgrund ihrer Erfahrung und ihrer kommunikativen Eigenschaften die kulturelle Stadt insgesamt abbilden sollen. Die gefährlichen Szene-Netzwerker sollten umschifft werden. Deshalb hat sich die Stadt ein Wahlverfahren einfallen lassen, das mit Stuhlkreisen und Wertschätzungsverlautbarungen dazu führte, dass die fünf gewählten Personen an die 140 im Rathaus erschienen Wahlberechtigten keine direkte Ansprache halten konnten. 90 Prozent der Wähler wählten Personen, von denen sie auf dieser städtischen „Wahlveranstaltung“ keinen Pieps hörten.

Ob es in der modernen Geschichte der Demokratien innerhalb einer real existierenden Demokratie irgendwo ein ähnliches als Wahl getarntes Kasperle-Theater je gegeben hat, wäre eine Recherche wert. Es soll an dieser Stelle aber nicht darum gehen, die drei Newcomer schlecht zu schreiben. Sie verstanden es, (wie Bommas und Grau) ihre Netzwerke zu mobilisieren und Grabmeier gab immerhin vor der Wahl ein Video-Statement auf seiner Facebookseite ab. Dass Grabmeier, Lübeck und Simija an ihren Aufgaben wachsen und gute Beiräte werden, kann man sich immerhin vorstellen. Schwer dagegen fällt die Vorstellung, dass es dem Regierungsbündnis, das sich fälschlicherweise anmaßt, einen Wählerwillen der Kommunalwahl abzubilden,  noch gelingen wird, in dieser Stadtratsperiode ein entspanntes Verhältnis zur Bürgerschaft zu entwickeln.

Es geht bei der Bewertung dieser Wahl also nicht um das Ergebnis, sondern um das Wahlverfahren. Dieses merkwürdige Prozedere reflektiert nämlich das verkorkste Verhältnis der Stadtregierung zu demokratischen Willensbildungsprozessen. Die Grundannahme des Schreibers dieser Zeilen geht nämlich in die Richtung, dass es diese Stadtregierung in dieser Konstellation überhaupt nicht geben dürfte. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die Stadtregierung in ihrer Zusammensetzung das Gegenteil des Wählerwillens der Stadtratswahl 2014 abbildet. Die für die Stadtregierung haushoch verlorene Fusionsentscheidung plausibilisiert diese These. Nach Auffassung verschiedener politischer Beobachter lehnten die Bürger mit ihrer Entscheidung am 12. Juli nämlich nicht nur eine Fusion ab, sondern auch in Bausch und Bogen diese „falsche Stadtregierung“, dessen Oberbürgermeister den Stadtrat entpolitisierte und somit ähnliche Strukturen schuf, wie sie in der Pseudodemokratie der DDR existierten: Der Stadtrat entspricht der machtlosen Volkskammer, der Koalitionsausschuss dem Zentralkomitee und der Generalsekretär nennt sich in Augsburg Oberbürgermeister.

Zu diesem zugegebenermaßen etwas weit hergeholten und zynischen Bild passt auch die Haltung der Augsburger Stadtregierung zur Theatersanierung. In der DDR herrschte überall Mangel, während die 70 subventionierten DDR-Bühnen bis zum letzten Tag aus dem Vollen schöpfen konnten. Auch einfach gestrickte Zeitgenossen könnten auf diese Metaphorik kommen. Wer das gelenkte Wahlverfahren für fünf Mitglieder des Kulturbeirates aus der Distanz beobachten konnte, kann ohne Weiteres solche Vergleiche evozieren. Dafür braucht es keine überbordende Fantasie. Kulturreferent  Thomas Weitzel, aber auch Elke Seidel (Kulturamt) und Norbert Stamm (Nachhaltigkeitsbüro) führten dieses Wahlverfahren (inklusive die Ehrung der Gewählten) auf eine Art und Weise durch, dass man sich auf einer FDJ-Veranstaltung wähnte.

Die DDR ist offiziell auf den Tag genau seit 25 Jahren tot, in Augsburg erinnert man sich an sie mit einer aus der politischen Wirklichkeit entspringenden Realsatire.