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Donnerstag, 21.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Fröhlich-parodistische Sangeslust

Herzerfrischend: „Waschsalon Wunderlich“ in der Komödie

Von Frank Heindl

Es soll Menschen geben, die hauptsächlich ins Theater gehen, um (mit) zu leiden. Denen bietet das Stadttheater derzeit viel Auswahl mit hartem Claudelschem Brot, mit einem ebenso weltschweren Prinzen von Homburg, mit einem tragischen Don Carlos. Und am Sonntag hatte auch noch das Tagebuch der Anne Frank Premiere, im Hoffmannkeller (darüber morgen mehr). Eine weitere Aufgabe des Theaters war aber stets auch die Unterhaltung. Deshalb gab’s am Samstag eine sangesselige, fröhliche, rundum unterhaltsame Premiere in der Komödie: Der „Waschsalon Wunderlich“ sorgte für Begeisterung beim Publikum.

Eher schwächliche Typen: Martin Herrmann, Klaus Müller, André Willmund und Alexander Koll ...

Eher schwächliche Typen: Martin Herrmann, Klaus Müller, André Willmund und Alexander Koll ...


Wenn auf der Bühne Schlager gesungen werden, kann das oft bös ins Auge gehen: Schmal ist der Grat zwischen billiger Unterhaltung und angestrengt-bemühter intellektueller Distanz. Dass die Inszenierung von Sigrid Herzog nach keiner Seite abstürzte, ist vor allem der hervorragenden Songauswahl zu verdanken: Unter der musikalischen Leitung von Matthias Heiling kam nichts Abgedroschenes auf die Bühne, und wenn mal eine allzu heftige Schnulze anstand, so ließ man deren Schwulst gnadenlos im glücklicherweise manchmal etwas durchsichtigen Stimmvermögen der Akteure untergehen.

Story gab’s eigentlich keine, nur einen inszenatorischen Rahmen: Im Waschsalon Wunderlich, heimelig und detailverliebt auf die Bühne gestellt von Kristin Weißenberger und mithilfe einer einfallsreichen Lichtregie immer wieder atmosphärisch verwandelt, gehen die verschiedensten Charaktere aus und ein. Hier trifft aufeinander, was nicht zueinander passt – und jeder, ob traurig oder alkoholbeschwingt, trällert ein Liedchen vor sich hin. Eva Maria Keller ist die Inhaberin, resolut und ein bisschen kratzbürstig gegen ihren Sohn und Gehilfen (Alexander Koll), aber in ihren einsamen Momenten doch auch recht sentimental. Ein Highlight schon ganz zu Anfang: Wie die ältere Dame ihre Liebeszweifel mit einem Punksong von „Clash“ Ausdruck verleiht: „Should I stay or should I go“ wird ohne weiteres Zutun zur glänzenden Parodie!

... gegen geballte Girlie-Power: Clara-Marie Pazzini, Ines Kurenbach und Judith Bohle ...

... gegen geballte Girlie-Power: Clara-Marie Pazzini, Ines Kurenbach und Judith Bohle ...


Andere können das ebenso gut: Martin Herrmann etwa, der sich in der Maske des Möchtegern-Playboys und Sportlers in einem Lied von Roger Cicero als „der Typ auf dem Cover“ ausgibt. Und André Willmund, der ganz allein einen Song der „Fantastischen Vier“ intonieren muss. Unter den Männern nochmal herausragend: Klaus Müller, der „Verdammt ich lieb dich“ in perfektem Italodeutsch rührend tapsig interpretiert, um wenig später mit „Ich will alles“ sich selbst und einen alten Gitte-Schlager erneut lächerlich zu machen. Aller Anstrengung zum Trotz sind diese Männer ziemlich schwache Typen, Alexander Koll eingeschlossen, der zwar ganz im Sinne Lou Reeds raus will aus der „Small Town“, der’s aber, ganz jämmerliches Muttersöhnchen, im Gegensatz zum Komponisten nie schaffen wird.

Da sind die weiblichen Waschsalon-Besucher von ganz anderer Statur. Eine, Judith Bohle, reißt sich gleich mal den Brautschleier vom Kopf, dann kippt man sich im fröhlichen Girlie-Trio (mit Ines Kurenbach und Clara-Marie Pazzini) ein paar Schnäpse hinter die Binde und singt sich eins auf die Männerbande, macht sich lustig über Verführertypen in der Familienkutsche („Maxi Cosi“) und gibt „Not ready to make nice!“ (von den Dixie Chicks) zu Protokoll. Auch für den weiblichen Part gibt’s jede Menge Solos, jede Menge Rollenwechsel, jede Menge Tanzeinlagen.

... und Frau Wunderlich singt den Punk (Eva Maria Keller)

... und Frau Wunderlich singt den Punk (Eva Maria Keller)


Und das alles funktioniert glänzend nicht trotz, sondern, wie erwähnt, auch und gerade wegen mancher stimmlicher Mängel. Das sind ja hier alles keine perfekten, gelackten Bühnenstars, das sind ja Waschsalonkunden, alle eher erfolglos, alle eher einsam, und wenn die singen, dann ist das eher wie beim Karaoke – auch da geht bekanntlich bei den schnulzigsten Schnulzen der Lack besonders schnell ab. Wobei aber auch erwähnt werden muss, dass musikalisch alles perfekt war: Begleitet von Sebastian Jakob am Flügel, treffen die zehn Schauspieler jeden Ton auf Anhieb, beim gemeinsamen Einsatz in den vierstimmigen Satzgesang gibt’s nicht den geringsten Wackler, sogar Händel und Schubert werden fehlerfrei und intonationssicher gegeben.

Die kleinen Momente zum Innehalten und Lachtränen-Wegwischen gab’s auch. Ute Fiedler durfte die große Oper – ein genialer Regieeinfall – rezitieren! Die Puccini-Arie „Man nennt mich Mimi“ etwa dürfte selten so viel Wirkung entfaltet haben wie hier, wo sie nicht gesungen wurde! Denn in dem „Wie“, da liegt der ganze Unterschied!

Wir haben viele Tränen gelacht, uns engagiert an viel Szenen- und einem großen Schlussapplaus beteiligt und uns vorgenommen, demnächst mit der ganzen Familie wiederzukommen. Der „Waschsalon Wunderlich“ ist zum nächsten Mal am kommenden Donnerstag und Freitag geöffnet, wird empfohlen für Besucher ab 14 Jahren und alle, die sich gerne niveauvoll unterhalten lassen, die gerne schöne Musik hören, und die sich – das muss noch erwähnt werden – daran ergötzen möchten, wie die großartige Eva Maria „Sinead“ Keller „Nothing compares to you“ singt. Das war tatsächlich unvergleichlich: so hätte das die O’Connor nie hingekriegt.

» http://theater1.augsburg.de