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Samstag, 15.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Frauen WM: Das Richtige im Falschen

von Siegfried Zagler

Elfmeter trocken und wuchtig unter die Latte: Schwester Edna Maria da Silva

Theodor W. Adornos Minima Moralia gehört zu den wenigen Texten, mit denen der heutige Leser alles falsch und wenig richtig machen kann. Adornos gebundene 153 „Reflexionen aus dem beschädigten Leben“ sind bis heute sein populärstes Buch geblieben – und sein hellsichtigstes. Ein Meisterwerk über das Vergebliche, das allerdings die Frage offen lässt, wie in Adornos „verwalteter Welt“ das Feuerwerk seiner Hellsichtigkeit gezündet werden konnte, wo doch laut Adorno die Autonomie die Bedingung allen hellsichtigen Denkens sei. Dass es in einer restriktiv verwalteten Welt keine Autonomie existieren könne, muss man an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Adornos Minima Moralia wäre vielleicht für diejenigen eine Empfehlung, die bei dem zur Frauen WM verordneten Frohsinn nicht richtig mitschunkeln können.

Ballbesitz rot, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, Ballbesitz blau, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, Ballbesitz rot, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, Ballbesitz blau, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, Ballbesitz rot usw. Richtig: Die Rede ist von Fußball, wie er schlimmer nicht sein kann, es sei denn, er wird dergestalt von Frauen gespielt. Dann scheint das Spiel einer anderen Wahrnehmung ausgesetzt, wie man folgern muss, wenn man sich den Publikumsreaktionen des ersten WM-Spiels in Augsburg widmet (Norwegen vs. Äquatorialguinea).

Nichts Gutes im Schlechten

FCA Aufsichtsratsvorsitzender Peter Bircks zeigte sich gar von dem munteren Rauf und Runter am Mittwochnachmittag auf dem Lechfeld begeistert und folgerte messerscharf: „Das Spiel hätte auch 4:3 ausgehen können.“ Die schnellen Wechsel in Sachen Ballbesitz hatten allerdings in Augsburg oder anderswo nichts damit zu tun, dass die Räume eng gewesen wären oder das Spiel atemberaubend schnell gewesen wäre, das Gegenteil war der Fall. Nein, der Ball wechselte in unfassbar schnellen Frequenzen seine „Besitzerinnen“, weil eben diese mit dem Leder nicht viel anfangen konnten. Zirka ein Drittel der Spiele der Frauen WM ist gespielt und man muss in aller Sachlichkeit feststellen dürfen, dass Frauenfußball über lange Zeiträume hinweg grauenvoll ist. Das dilettantische Werkeln in seiner ganzen Vielheit, wie es derzeit stundenlang in die deutschen Wohnzimmer flimmert, wäre nicht weiter der Rede wert, wenn es nicht von einer gewissen Hysterie der Begeisterung und der Blindheit begleitet wäre, womit wir wieder bei Adorno wären, dessen berühmter Satz, „es gibt kein richtiges Leben im falschen“ nichts mit der Redensart, „es gibt nichts Gutes im Schlechten“ zu tun hat. Letzteres ist nämlich nur dummes Zeug, was man wunderbar innerhalb des albernen Dauerelfmeterweltrekordwettstreits feststellen konnte.

Das Richtige im Richtigen

Als Schwester Edna Maria da Silva auf dem Fuggerplatz sich mit Geduld und Fingerspitzengefühl den Ball zurechtlegte, ahnte der DAZ-Fotograf eine Sensation und er hatte den richtigen Riecher. Drei Schritte Anlauf und Schwester Edna Maria da Silva vom Franziskanerorden des Klosters Maria Stern in Augsburg wuchtete das Leder trocken und gekonnt in Lehrbuchhaltung unter die Latte und drehte verhalten jubelnd ab. Einer der großen Momente dieser seltsamen Weltmeisterschaft. Edna Maria da Silva (34) hat das Fußballspielen in Brasilien gelernt, als Kind täglich auf dem Bolzplatz und später in der Schule im Unterricht. Mit Zwanzig schloss sie sich den brasilianischen Franziskanerinnen an, um ein frommes Leben zu führen, ohne dass dabei die Glut des Fußballs erlosch. Wenn man Schwester Ednas Lebensfreude spürt, ahnt man, dass es möglicherweise sogar das Richtige im Richtigen gibt.