Folk Songs und göttlicher Tango
„Jumble“ spielte Neue Musik und Salome Kammer sang dazu
Von Frank Heindl
„Jumble“ nennt sich das 2015 in München gegründete Jugendensemble für Neue Musik, das am Sonntag im Augsburger Kleinen Goldenen Saal gastierte. Ziel des Gründers und Dirigenten Johannes X. Schachtner: Jungen, begabten Musikern die Gelegenheit zur intensiven Beschäftigung mit Neuer Musik zu verschaffen, komplette Konzertprogramm einzustudieren und dabei von kompetenten und erfahrenen Dozenten, Komponisten und Solisten angeleitet zu werden. Und, sozusagen als „Zugpferd“, jeweils einen prominenten Solisten als dabei zu haben.
Dass dieses Konzept aufgeht, zeigte das Ensemble am Sonntag zunächst mit den berührenden „Folk Songs“ von Luciano Berio – und mit seinem “Stargast“, der Sängerin und Schauspielerin Salome Kammer. So zart, wie Berio seine Volksliedvertonungen angeht, so zart interpretiert Kammer sie zunächst – doch es sind auch derbe Weisen darunter, und die Lieder aus Italien, Frankreich, Sardinien und schließlich sogar aus Aserbaidschan machen es dann doch notwendig, dass die Sängerin mal frech, mal erotisch, mal fröhlich und mal klagend, mal gurrend, mal zeternd ihr ganzes Repertoire zwischen Singen, Sprechen und Schreien einsetzen kann. Wunderbar, wie das „R“ mal bayrisch rollt, mal am Gaumen kratzt – fast nimmt der Gesang beim Zuhören zu viel Konzentration in Anspruch, droht die Musik zu verblassen.
Doch auch die kann in ihren Bann ziehen: Wie das Ensemble in Berios Komposition aus zunächst kleinster Besetzung nach und nach lauter und präsenter wird, wie zunächst nur Viola und Harfe die Stimme begleiten, wie immer mehr Instrumente dazukommen und das kleine Orchester schließlich lautmalerisch nicht nur die Nachtigall, sondern den ganzen tiefen Wald nicht nachahmt, sondern in faszinierende assoziative Klänge umsetzt – ein wunderbares Hörerlebnis. Und wie am Ende Salome Kammer ein aserbaidschanisches Liebeslied interpretiert, dessen Text, dem Programmheft zufolge, eigentlich völlig unverständlich und unübersetzbar ist – das ist ein durchaus fröhliches Erlebnis.
Die Duettini für zwei Geigen von Dieter Dolezel sind rhythmisch äußerst vertrackt – die beiden Violinistinnen des Ensembles meistern sie technisch. Allerdings ist hier, bei dem jugendlichen Alter nicht anders zu erwarten, noch nicht alles wirklich durchgefühlt und verstanden. Ein aufatmender Seufzer einer der Musikerinnen am Ende macht dann auch recht deutlich, wie anstrengend und herausfordern diese Interpretation war. Für den Zuhörer trotzdem ein Genuss!
Anschließend folgte „dann und wann“ von Stephanie Haensler. In dieser Komposition kommen einige außergewöhnliche Tonquellen zur Anwendung: Die Musiker rascheln mit Plastikfolien, bringen die Ränder von Sektgläsern in Schwingung, atmen durch die geballte Faust oder einfach in die Bassklarinette hinein, zischen zwischen den Zähnen oder blasen auf kleinen Vogelpfeifen, das Cello knarzt, der Flügel knarrt, die Viola saust – hier kommt das ganze Ensemble in ausdrucksstarkes Wogen, dass es eine Wonne ist. Und sogar die Kirchenglocken passen, die sich von draußen ins Klanggemisch drängen. Zum Schluss noch „Buenos Aires“ von Jan Müller-Wieland. Er hat aus Rilkes Gott-Gedichten den Gott eliminiert und dafür die Musik, den Tango als sein eigenes Heiliges hineingedichtet. „Ich glaube an Tänze“, heißt es nun, und seine Komposition wende sich „gegen den Kummer“, wie er schreibt, der Tango kommt musikalisch nicht vor, stattdessen nähert sich die Komposition dann doch Rilkes überirdischem Sehnen. Das Ende des Konzertes ist denn auch einem Gebet ähnlich: „Ich glaube, ich …“ – laaaange Pause – „… lebe“, singt Salome Kammer, nein, sie flüstert es. Auch wenn es draußen nicht geregnet hätte: eine lohnende Sonntagsstunde im Kleinen Goldenen Saal! Viel Applaus für den mutigen und erfolgreichen Nachwuchs.