Flügel tragen das Verbot
Kommentar von Maja Silvia Steiner
Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Tagen hat das Verwaltungsgericht Augsburg eine Entscheidung der Stadt Augsburg zum Verbot der Ausstellung eines Geschlechtsaktes im Rahmen der Körperweltenschau „Eine Herzenssache“ bestätigt. Erneut wurde jedoch keine Bewertung dahingehend vorgenommen, ob die Darstellung eines Geschlechtsaktes durch Tote deren postmortale Menschenwürde tatsächlich verletze und deshalb von der grundgesetzlich verbrieften Wissenschaftsfreiheit nicht gedeckt werden könne.
Beim „Liegenden Akt“ wurde die eventuell nicht ausreichende Einverständniserklärung des männlichen Körperspenders herangezogen, das Verbot zu stützen – bei dem dann angesichts dieser Begründung nachgeschobenen Plastinat „Schwebender Akt“ sind es nun Muskeln, die an Flügel erinnern, und der Gesichtsausdruck der Frau, die nach Auffassung des Gerichts kein didaktisches Anliegen erkennen ließen, sondern lediglich eine Verformung und Verfremdung darstellen, die die Menschenwürde verletzten. Mehr Schmäh war selten. In der Ausstellung befindet sich reichlich ein halbes Dutzend Exponate, bei denen „Verformung und Verfremdung“ in einem weitaus größerem Umfang vorgenommen wurde als in dem vergleichsweise dezenten „Schwebenden Akt“, der die Frau eine lustvolle Ekstase andeuten lässt. Der „Torwart“, dem, sich nach dem Ball streckend, seine Organe hinterherfliegen, sei als Beispiel genannt oder auch der „Organpräsentator“, bei dem auf den Betrachter doch einiges reichlich versch(r)oben vorkommt.
Das Verwaltungsgericht stützt das Verbot der Stadt Augsburg, einen plastinierten Geschlechtsakt zu zeigen, also durch eine Interpretation, die auf viele von der Stadt im Vorfeld der Ausstellung abgesegnete und für unbedenklich befundene Exponate zutrifft. Die so spannende wie entscheidende Frage, ob die Darstellung des Geschlechtsaktes die Menschenwürde verletze, umkurvt es dagegen geschickt. Es bleibt abzuwarten, ob auch in der Hauptsachenentscheidung diese Linie beibehalten und was ggf. eine höhere Instanz dazu befinden wird. Denn dass Herr von Hagens sich mit einer solchen Begründung zufrieden geben wird, erscheint unwahrscheinlich.
Bleibt die Frage, warum die Stadt nichts gegen die seit einigen Wochen im Stadtgebiet im öffentlichen Raum aufgestellten neuen Plakate unternimmt. Diese sind nämlich geeignet, genau das zu tun, wogegen die Stadt ins Feld gezogen ist: Durch erzeugten Schauder und Grusel die Würde des da abgebildeten Verstorbenen in Frage zu stellen. Der Kopf mit aufgerissenen Augen und verzerrtem Mund, der durch die in Frontalansicht abgebildeten Scheibenplastinate wie gehörnt und damit diabolisch wirkt, ist eine Großaufnahme aus dem Exponat des „Hürdenläufers“. Diesem in sportlicher Aktion steht die Mimik an, die sich dem Betrachter auch vermittelt. Aus dem Kontext gerissen ist sie nur als sensationsheischende Werbung geeignet, derer im öffentlichen Straßenraum jeder ansichtig werden muss, ob er will oder nicht. Es sind die Plakatträger der Stadt, die das abstoßende Bild zeigen. Herr Oberbürgermeister, warum handeln sie nicht im Sinne der Würde dieses Körperspenders?