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Samstag, 23.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

FCA vs. Hoffenheim: Die große Welt des Fußballs kommt aus Sinsheim

Am heutigen Samstag ist in der 17. Runde der Fußballbundesliga die TSG Hoffenheim in Augsburg zu Gast. Das Spiel beginnt um 15.30 und die Temperaturen werden sich in einem zweistelligen Minusbereich befinden. Gut möglich, dass sich die beiden Mannschaften dennoch einen heißen Tanz liefern.

Von Siegfried Zagler

In der Wissenschaft spricht man von einer kopernikanischen Wende, wenn es darum geht, eine radikal veränderte Denkungsart hervorzuheben. Nikolaus Kopernikus leitete mit seiner Schrift „Über die Umschwünge der himmlischen Kreise“ im Jahre 1543 die Neuzeit ein und somit ein neues Welt- und Menschenbild im sogenannten „Abendland“. Wenn man die Welt der Wissenschaft auf die Fußballbundesliga reduziert, steht der 29-jährige Hoffenheimer Trainer Julian Nagelsmann für eine Revolution im Fußballdenken. Auch wenn man Trainern wie Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel zugestehen darf, dass ihr nachhaltiges Wirken in Mainz einen Umschwung im Trainer-Denken der Bundesligamanager ermöglichte, ist es Nagelsmann, der in knapp einem Jahr als Cheftrainer der TSG Hoffenheim die deutsche Trainerwelt von „den Füßen auf den Kopf stellte“.

Es sind nicht mehr die alten Spielerrecken der Bundesliga, ehemalige Nationalspieler, die mit einem 14-tägigen Trainerlehrgang eine A-Lizenz erwerben, um direkt „ihre Erfahrungen als Spieler an die nachfolgende Generation weitergeben zu können“, wie es oft im DFB-Jargon hieß, sondern die jungen Visionäre, die den Ton angeben und die Entwicklung des deutschen Fußballs bedeutsam zum Besseren hin veränderten und verändern. Finke und Streich haben den Weg durch den Wald gewiesen, Klopp und Tuchel haben eine Schneise geschlagen, Nagelsmann hat den Wald verschwinden lassen.

Das geozentrische Weltbild wurde durch Kopernikus vom heliozentrischen ersetzt

Das geozentrische Weltbild wurde von Kopernikus aus der Welt geschafft


Als Julian Nagelsmann am 10. Februar 2016 die TSG im laufenden Spielbetrieb von einem Trainer-Dino (Huub Stevens) übernahm, standen die Sinsheimer auf einem Abstiegsplatz. Nagelsmann leitete eine Wende ein, die nicht nur in Hoffenheim, sondern für die gesamte Bundesliga stilbildend werden sollte. Unter Nagelsmann hat sich der gesamte Sinsheimer Kader sportlich weiterentwickelt, alle Neuzugänge wurden Verstärkungen. „Er macht jeden Spieler einfach besser”, so Kevin Vogt, der in Augsburg zu einem zuverlässigen Bundesligaspieler wurde, in Köln zu einer respektablen Figur und in Hoffenheim zu einer Bundesligagröße. „Mehr Fitness, mehr taktische Flexibilität, mehr Stabilität, mehr Ballbesitz“, so Nagelmanns Vorgaben an sich selbst und die Mannschaft, als er die sportliche Verantwortung für die Profimannschaft der TSG übernehmen durfte – im Grunde die gleichen Tugenden, die er als Jugendtrainer viele Jahre predigte und erfolgreich in Szene setzte, als er vor drei Jahren mit der Sinsheimer U19 Deutscher Jugendmeister wurde.

Was heute die aktuelle Bundesligamannschaft Hoffenheims auszeichnet, ist neben der überragenden Form und Fitness vieler Spieler die taktische Flexibilität. Nagelsmanns Welt: Für jede Spielsituation gibt es einen anderen Plan. Die TSG kann Dreier-, Vierer- oder Fünferkette spielen und während des Spiels ohne Reibungsverluste Systemänderungen vornehmen. Die Stärke dieser Systemvielfalt: Unberechenbarkeit. Im Trainingslager, das nicht in einer wohltemperierten Sonnenenklave, sondern im eisigen Deutschland stattfand, arbeitete Nagelsmann in der Hauptsache an dem Defensivverhalten nach Ballverlust: Eine Hoffenheimer Schwäche, wie Nagelsman findet. Mit 28 Punkten steht Hoffenheim, zwei Punkte von Platz drei entfernt, auf dem 5. Platz der aktuellen Bundesligatabelle und ist die einzige ungeschlagene Mannschaft in den Top-Ligen Europas.

Ob beim FCA der Trainerwechsel von einem Trainer-Dino namens Dirk Schuster zum ziemlich unbeschrieben Blatt namens Manuel Baum möglich gewesen wäre, ohne die kopernikanische Wende in Hoffenheim, ist eine Frage, die man mit einem unzweifelhaften Nein beantworten kann: Ohne Nagelsmann wäre dieser mutige Schritt in Augsburg nicht denkbar gewesen. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass man Dirk Schuster nicht gerecht wird, wenn man ihn mit dem Trainer-Fossil Stevens vergleicht. Und Baum hat, obwohl acht Jahre älter als Nagelsmann, nicht die Aura des jungen Trainergiganten, der beim FCA in der Jugend spielte und bereits als 20-jähriger seine aktive Laufbahn wegen eines Knorpelschadens „an den Nagel hing“. – Soviel Kalauer darf sein.

Der 37-jährige Manuel Baum hat zwar eine weniger glanzvolle Zugangsvita als Nagelsmann vorzuweisen und auch nicht dessen mächtige Fußballsprache, aber der Augsburger Überraschungstrainer legt mit seinen Vorstellungen die gleichen Linien wie Nagelsmann. Auch Baum setzt auf taktische Flexibilität und Tempofußball bei Ballbesitz, auch wenn davon noch wenig zu sehen war: Bei seinem Bundesliga-Debüt gegen Gladbach stimmte nur das Ergebnis, bei seiner zweiten Aufgabe in Dortmund zeigte der FCA in der ersten Halbzeit eine ausgezeichnete Vorstellung, die sich in Halbzeit zwei verflüchtigte, weil sich zu viele leichte Ballverluste einstellten.

Gestern sprach Baum davon, dass das Spiel FCA vs. Hoffenheim ein Spektakel verspreche. Unter diesem Stern findet diese Begegnung sicher nicht statt. Der FCA muss eher zusehen, dass er nicht vielfach ausgekontert wird. Unter Schuster hätte man vieles fürchten müssen, aber keine Packung, wie das unter Baum passieren könnte. Von Spektakel-Fußball ist der FCA jedenfalls meilenweit entfernt, weil ihm dazu die schnellen Spieler von hinten heraus fehlen. Beim FCA von Tordrang und Torgefährlichkeit zu sprechen, wäre eine Verblendung, wenn man den Kader genauer betrachtet. Nur Raul Bobadilla hat halbwegs vorzuweisen, was man „Torjäger-Qualität“ nennt. Ob „Boba“ in der Rückrunde wieder in Form kommt, ist für den FCA unter Baum eine überlebenswichtig Frage. Schnelle Außenspieler gibt es in Augsburg nicht, wenn man Ji außer Acht lässt, der ohnehin meist über die Mitte kommen muss.

Kurzum: Ob die Augsburger physisch wie fußballerisch umsetzen können, was Baum trainieren lässt, ist eine offene Frage, der man mit Skepsis begegnen sollte. Ob Baum für die kopernikanische Wende in Augsburg der richtige Mann ist, sollte man mit Geduld und Skepsis beobachten. Bei dieser schweren Aufgabe ist in der Bewertung Zurückhaltung geboten. Am heutigen Samstag jedenfalls ist der FC Augsburg noch längst nicht in der Lage, der TSG Hoffenheim auf Augenhöhe zu begegnen.