FCA: Lang lebe der Präsident!
Warum die Öffentlichkeitsarbeit des FCA unerträglich ist
Von Siegfried Zagler
Es ist zu begrüßen, dass Andreas Rettig seine Zelte in Augsburg abbricht. Rettig ist in Augsburg nie angekommen, wie man so schön sagt, was in diesem Fall heißt, dass sein sechsjähriges Wirken selten über das geschäftliche Kalkül hinausging. Humorlos und angespannt vertrat er den FCA in der Öffentlichkeit und entwickelte weder in der Fangemeinde des FCA noch in der Stadtgesellschaft jenen familiären und emotionalen Stallgeruch, der den Profifußball ein Stück weit authentisch macht. Stallgeruch und Familie: Eine Note, die man dem Augsburger Modell fälschlicherweise öfters zusprach. Fachkompetenz hin, Öffentlichkeitsarbeit her: Rettig ist gut weg, niemand weint ihm eine Träne nach. Ob sich Manfred Paula sowohl fachlich als auch in der Außenwirkung besser anstellen wird, wird sich zeigen, möglich ist es immerhin. Anders verhält es sich beim Trainer, der ebenfalls gehen musste: Jos Luhukays Klasse ist unbestritten. Er war und ist ein sehr guter Zweitliga-Trainer, der in der Hinrunde mit einer sehr guten Zweitliga-Mannschaft in der Ersten Liga 15 Punkte holte. Hätte man ihn mit dieser Mannschaft durchspielen lassen, so die These, wäre er wohl mit ihr abgestiegen. Erst durch eine „Dolchstoß-Offensive“ von Präsident Walther Seinsch hat Rettig in der Winterpause den Kader dem Offensiv-Niveau der Ersten Liga angepasst.
Luhukay war und ist kein sehr guter Trainer
Zwei von den drei Neuzugängen in der Winterpause zogen den FCA samt Luhukay aus dem Tief: Koo und Ostrzolek verstärkten den FCA genau dort, wo es bitter notwendig war. Und so kam es, dass Luhukay mit dem FCA in der Ersten Liga seine erste harte Feuerprobe bestand. Dafür wurde er zurecht gerühmt und gefeiert. Dennoch muss in aller Gelassenheit festgehalten werden, dass Luhukay in jeder Saison viel zu lange brauchte, bis er den Bogen raus hatte und die Stärken seines Kaders in all seinen Verästelungen erkannte. Beispiele? Gerne: Mit Langkamp und Sankoh standen von Beginn an ein erstklassiges Innenverteidiger-Duo zur Verfügung. Luhukay war dafür bis zum 6. Spieltag blind. Zu Beginn experimentierte er noch mit Möhrle, Sankoh und de Roeck. Langkamp und Sankoh kamen als Innenverteidiger erst in der 6. Runde gegen Berlin zum Einsatz. Langkamp bekam bei seinem ersten Einsatz die Rote Karte und Sankoh wurde nach einem spektakulären Fehler strafend ausgewechselt und verschwand schließlich nach der 4:0 Niederlage in Dortmund bis zum 23. Spieltag mit einer Ausnahme gegen Gladbach auf der Bank. Lorenzo Davids ist ein dergestalt eigenschaftsloser Fußballer, dass man ihn gedankenlos auf jeder Position einsetzen kann. Er spielt überall schlecht, was Luhukay nicht daran hinderte, Davids in allen Partien der Hinrunde in die Startelf zu setzen. Daniel Baier kann dem FCA nur helfen, wenn er in der Mitte hinter den Spitzen spielt. Auf dieser Position (und nur dort) kann er seine Stärken entfalten. Es hat eine Ewigkeit gedauert, bis sich diese Einsicht bei Luhukay durchgesetzt hat. Hajime Hosogai wurde viel zu lange zu tief in der Defensive herumgeschoben, musste gar den Außenverteidiger geben (wie einst Hegeler) und wurde somit viel zu lange seiner Kreativität und Dynamik im Spiel nach vorne beraubt.
Hat sich Luhukay bei Davids und Mölders vertan?
Sascha Mölders stand 22 Mal in der Liga in der Startelf. Er war stets einer der aktivsten Spieler, obwohl er zu selten traf, was aber mit der ängstlich-defensiven Ausrichtung des Trainers zu tun hatte. Mölders war der erste Mann für den langen Ball, musste diesen behaupten und spielbar machen. Nach einigen vergebenen Großchancen verschwand er nach dem 22. Spieltag in die zweite Reihe. Später, als Luhukay auf den wieder genesenen Nando Rafael baute, in die dritte. Frage: Hat sich Luhukay bei Davids und Mölders in Sachen Leistungsvermögen vertan? Falls ja: Warum hat er dann so lange an beiden festgehalten? Eine weitere Frage, die an der Kompetenz des Trainers zweifeln lässt: Wäre Matthias Ostrzolek, hätte sich Marcel de Jong nicht kurz nach Ostrzoleks Verpflichtung verletzt, in der Rückrunde ein einziges Mal von Beginn an zum Einsatz gekommen? Nicht selten hat Luhukay ein laufendes Spiel unzureichend interpretiert und falsch gewechselt. Am auffälligsten war das in den beiden Auswärtsspielen gegen Stuttgart und gegen die Bayern der Fall. Jos Luhukay mag ein „großartiger Botschafter Augsburgs“ (Kurt Gribl) gewesen sein, ein „richtig guter Trainer“ war und ist er nicht, auch wenn der sportliche Erfolg des FCA zuvorderst ihm zuzuschreiben ist.
In der „Kunst ein Mensch zu sein“ hat Luhukay die Augsburger erreicht
Der sympathische Holländer hat in Augsburg zwar einen guten Job gemacht und wurde leichtfertig vom Kaiser zum Ritter geschlagen („Trainer des Jahres“), Luhukay wäre aber auch in Augsburg selbst dann nicht zu einem „richtig guten Trainer“ geworden, hätte ihn Walther Seinsch noch ein Jahr beim FCA in der Bundesliga arbeiten lassen. Das hat man im Gefühl, so wie man zum Beispiel im Gefühl hat, dass sich Martin Walser nicht mehr zu einem „richtig guten Schriftsteller“ entwickeln wird. Unabhängig davon ist festzustellen, dass Luhukay in Augsburg nicht nur wegen seiner sportlichen Erfolge, sondern auch aufgrund seiner zurückhaltenden und bescheidenen Art bei den Fans gut ankam. Mit Luhukay verlässt die Stadt eine Persönlichkeit, die sich in der „Kunst ein Mensch zu sein“, einen großen Namen gemacht hat. Luhukay wird im Gedächtnis Augsburgs als der „Gute Mensch von Nebenan“ verhaftet bleiben. Dennoch: Luhukay nach dem Freiburg-Spiel das Vertrauen zu entziehen, war von Präsident Seinsch zum damaligen Zeitpunkt eine richtige Entscheidung. Nach der Winterpause präsentierten sich die Brechtstädter im Januar beim SC Freiburg in einem desolaten Zustand. Zu diesem Zeitpunkt war nur Jan Moravek von Gelsenkirchen nach Augsburg ausgeliehen worden. Moravek verletzte sich in der Vorbereitung. Ja Cheol Koo und Matthias Ostrzolek waren noch nicht verpflichtet. Kurzum: Seinsch hat im Januar die Geduld verloren und Rettigs und Luhukays Abgänge beschlossen und dafür gesorgt, dass in letzter Sekunde Koo und Ostrzolek verpflichtet wurden. So der Informationsstand der DAZ. „Bravo! – Lang lebe der Präsident!“, hätten wir von der DAZ gerufen, hätten wir es damals gewusst.
Der letzte Patriarch
Zugegeben: Über die Trainerqualitäten von Luhukay lässt sich trefflich streiten. Es ließe sich auch trefflich über die Führungsqualitäten des allmächtigen Geldgeber-Präsidenten Walther Seinsch streiten, der in Augsburg in etwa so agiert, wie einst Jean Löring bei Fortuna Köln oder Klaus Steilmann in Wattenscheid, als die Bundesliga-Klubs noch einfache Vereine waren – und ihre Präsidenten Könige. Löring feuerte 1999 keinen geringeren als Harald Schumacher in der Halbzeitpause („Raus, du hast hier nichts mehr zu sagen“), steckte sein Vermögen in seinen Klub, starb verarmt und sollte als „letzter Patriarch“ in die Geschichte der Bundesliga eingehen. Dieser Titel ist nun für Seinsch bestimmt. Walther Seinsch hat beim FCA die Monarchie eingeführt. Natürlich nicht de jure, aber de facto ist es so, dass nur er die Fäden zieht. „Intern muss es bluten“, so Seinsch, der sich mit solchen Aussagen leicht tut, da er als König nie bluten muss. Seinsch duldet keine Mitentscheider auf Augenhöhe und schnitzte sich den FCA zu seiner ureigenen Puppenkiste. „Leidenschaft versetzt Berge“ – Geld macht gefügig.
Pressekonferenz als Schmierentheater
Nur so ist die monatelange Irreführung der Öffentlichkeit und das schauerliche Schmierentheater auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen den HSV zu erklären. Der Skandal besteht nicht darin, dass Luhukay und Rettig ihre Plätze beim FCA räumen mussten. Der Skandal besteht darin, dass der FCA seine Fans und die Öffentlichkeit bezüglich der Ursachen dieser Vorgänge in die Irre führte und monatelang veräppelte. Die Öffentlichkeit soll nicht wissen, wie es in Wahrheit um den FCA und seinen mächtigen und zugleich ängstlichen Patriarchen bestellt ist. „Hohle Phrasen“ nennt Tilmann Mehl in der Augsburger Allgemeinen das Seinsch-Statement, „erbärmlich“ die Öffentlichkeitsarbeit des FCA. Beides ist maßlos untertrieben. 2003 musste Michael A. Roth tausendfache Fan-Schmähungen und Anfeindungen aushalten, als er in Nürnberg Klaus Augenthaler vorzeitig die Kündigung aussprach (eine richtige Entscheidung). Das Gleiche musste SC-Präsidenten-Ikone Achim Stocker ertragen, als er 2007 Volker Finke in Freiburg nicht verlängerte (ebenfalls eine richtige Entscheidung).
Buhmann-Rolle hätte Seinsch schwer zugesetzt
Seinsch hat einen großen Teil seines Vermögens in den FCA gesteckt. Ohne ihn gäbe es das wunderbare Stadion auf dem Lechfeld nicht, wäre der FCA nicht in der Bundesliga. Seinsch will Wohltäter sein und von den Fans geliebt werden – ohne Zwischentöne. Deshalb darf man davon ausgehen, dass er es war, der die armselige Dramaturgie der öffentlichen Darstellung um den Abgang von Jos Luhukay bestimmte, um nicht als Buhmann dazustehen, der einen beliebten „Trainer des Jahres“ in die Wüste schickt, um einen unbekannten Nobody aus der dritten Liga zu verpflichten. Möglicherweise hätte die Buhmann-Rolle Seinsch schwerer zugesetzt als es darstellbar ist.
Aktuell ist dem FCA nichts mehr zu wünschen als eine glaubwürdige Öffentlichkeitsarbeit und eine kontrollierbare Führungsstruktur. Existierte beim FCA eine demokratischere Struktur, könnte sich der Präsident auch unpopuläre Entscheidungen zumuten. Hätte Seinsch seine Entscheidungen zeitnah und offensiv begründet und käme mit Markus Weinzierl nicht ein beinahe unbeschriebenes Blatt nach Augsburg, hätten wir bei der DAZ „Bravo“ gerufen. Und mit einem leicht ironischen Unterton „Lang lebe der Präsident“ hinzugefügt.