FCA: Ein Sieg in München? Man muss es sich vorstellen können!
Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Nur eins scheint sicher: der Tod. Doch selbst für dieses scheinbar unvermeidliche Ereignis hat man mit der spirituellen Idee der Auferstehung beziehungsweise der Verwandlung eine Hintertür entdeckt. Dass es diese Hintertür tatsächlich zu geben scheint, hat die Stadt Augsburg in ihrer Geschichte mit ihren Wandlungen mehrmals bewiesen. Ob sich die Fußballer des FCA diese Eigenschaft zu eigen machen können, ist eine der letzten offenen Fragen der Bundesliga, wenn nicht der Metaphysik.
Von Siegfried Zagler
„Der einzige Weg, die Zukunft zu beeinflussen, besteht darin, Versprechen zu machen und diese einzulösen.“ Dieses kluge Wort der großen Denkerin Hannah Arendt sollten sich die Spieler des FC Augsburg für die kommenden beiden Wochen einprägen. Sie sind es nämlich, die mit ihren Leistungen eine ganze Region, wenn nicht ganz Fußball-Deutschland tief beeindrucken. Würde der FCA in der Ersten Liga bleiben, würde nicht einfach nur eine x-beliebige Erfolgsgeschichte um ein Jahr verlängert werden. Der erneute Nichtabstieg des FCA wäre eine Geschichte ohne Beispiel, ein Präzedenzfall der Bundesliga: Zweimal angezählt und abgeschlagen in die Rückrunde gestartet und zweimal mit Grandezza und Kampfkraft aufgrund einer überragenden Rückrunde die Liga gehalten.
Der Geist der Stadt im Trikot des FCA?
„Wir werden nicht absteigen!“ Dieses Versprechen einzulösen, könnte für alle Zeiten das Leitmotiv einer Stadt werden, die sich in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder neu erfinden musste, um nicht in die Ebenen der Bedeutungslosigkeit abzusteigen: Von einer mächtigen Handels- und Finanzmetropole des Mittelalters über eine sich in der Renaissance reflektierende, hin zu einer bedeutsamen Metropole der europäischen Textilindustrie sich entwickelnde Stadt, deren Industrie-Ruinen zu Erinnerungstempeln oder modernen Wohnquartiere umgebaut wurden. Wenn man die politische Demütigung dazu zählt, die der einst stolzen Reichsstadt von Napoleon Bonaparte zugefügt wurde, als er Augsburg an den Bayerischen König Richtung München verscherbelte, dann ist Augsburg in seiner langen Geschichte mindestens dreimal gestorben – und immer wieder auferstanden. Wenn es eine kollektive Schuld geben sollte, dann ist ein kollektives Gedächtnis dafür die Voraussetzung. Möglicherweise ist der „Triumph der Unermüdlichkeit“ das Stärkste, das die Stadt Augsburg zu bieten hat und vielleicht ist es nicht so weit hergeholt, wie es auf den ersten “Blick” erscheint, wenn man den Gedanken wagt, dass sich die kickenden Neubürger im Trikot des FCA den Geist dieser Stadt zu eigen gemacht haben.
Wird die Rückrundenstärke des FCA zu einem Mythos?
Wie man das nahezu unmögliche Eintreten zweier unwahrscheinlichen Ereignisse in Folge auch immer erklären mag, fest steht ohne Zweifel, dass die Rückrundenstärke des FCA zu einem Mythos der Bundesliga werden könnte, zu einer Art „Auferstehungsmythos“. Notwendig dafür ist natürlich, dass das zweite unwahrscheinliche Ereignis auch tatsächlich eintritt. Die Voraussetzungen dafür haben sich durch die Ergebnisse des 32. Spieltages nämlich eher verschlechtert. Die Niederlage des FCA in Freiburg sowie das glückliche Unentschieden der Hoffenheimer in Bremen könnten am vorletzten Spieltag aus Augsburger Sicht zwei schmerzvolle Ereignisse eintreten lassen: Düsseldorf setzt sich mit einem Heimsieg gegen Nürnberg aufgrund des besseren Torverhältnisses für den FCA uneinholbar ab und die TSG 1899 Hoffenheim zieht am FCA mit einem Heimsieg gegen den HSV vorbei. Dann stünde Augsburg vor dem letzten Spieltag auf einem Abstiegsplatz und (wieder einmal) am Abgrund, schließlich muss man davon ausgehen, dass bei den Bayern in München für den FCA nichts zu holen ist. Dann müsste man in Augsburg am letzten Spieltag die zuletzt auswärts bärenstarken Fürther besiegen und darauf hoffen, dass Hoffenheim in Dortmund über ein Unentschieden nicht hinaus kommt. Damit stünde der FCA am Ende auf dem Relegationsplatz und müsste wohl gegen Kaiserslautern in die Verlängerung. Darauf, dass Werder Bremen weder zu Hause gegen Frankfurt noch auswärts in Nürnberg keinen einzigen Punkt holt, sollte man nicht hoffen.
Die Fähigkeit zur Erkenntnis und die Kunst der Vorstellung
Von einem „kollektiven Gedächtnis“ zu einem „gerechten Fußballgeist“ ist es ein großer Schritt, aber eben auch nicht mehr als eben ein Schritt und möglicherweise erinnert sich die über jeder Gesellschaft schwebende Wolke namens „Gerechtigkeit“ daran, unter welch skandalösen Umständen Düsseldorf aufgestiegen ist und korrigiert, nachdem sich alte Dame Hertha bereits wieder zurück gemeldet hat, ihre merkwürdige Laune aus dem Vorjahr.
Womit wir endlich dort wären, wo es mit der Metaphysik anfing: In den Iden des März reagierte die DAZ auf
sehr waghalsige Prognosen des Sportjournalisten Tilmann Mehl (Augsburger Allgemeine) und entwickelte eine eigene Vorhersage, die sich nach sieben Runden als die bessere erweisen sollte, was im Grunde nichts zu sagen hat. Fast nichts jedenfalls. Bei Mehl heißt es: „Fürth und Hoffenheim steigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ab.“ Drei Mannschaften müssen laut Mehl bis zum Schluss kämpfen und alle kämen auf 35 Punkte (Nürnberg, Augsburg und Düsseldorf). Die Realität sieht anders aus: Der Club hat längst 38 Punkte auf dem Konto und seit dem 28. Spieltag nichts mehr mit dem Abstieg zu tun; Hoffenheim könnte sogar theoretisch auf Platz vierzehn vorrücken, mischt jedenfalls noch munter mit. Werder Bremen zählte Tilman Mehl nicht zu den Gefährdeten. Diesen Irrtum teilt er mit der DAZ, die mit ihrer Prognose aktuell sehr nah an der Realität gebaut hat, also ab Spieltag 26 davon ausging, dass Hoffenheim zurück kommt, Düsseldorf schwer abfällt und der Aufwärtstrend des FCA weiter anhält und der Club mit dem Abstieg nichts am Hut haben sollte.
„An sich“ richtig, „für sich“ falsch
Tilmann Mehl ist bei der DAZ ein angesehener Journalist, nicht zuletzt deshalb, weil er in dieser Stadt zu den harten Journalisten gehört. Mehl fühlt sich rücksichtslos der Wirklichkeit verpflichtet. Dass er dabei „die Wirklichkeit“ aufgrund von Erfahrung zur Erkenntnis verarbeitet, könnte man mit Kant im allerbesten Sinn als „an sich“ richtig bezeichnen. „Für sich“ allerdings kann man dabei ganz schnell im tiefen Wald landen: „Die letzten Jugendspieler, die sich beim FC Bayern durchsetzen konnten waren Bastian Schweinsteiger und Philipp Lahm. Während Lahm zuvor an den VfB Stuttgart ausgeliehen wurde, hatte Schweinsteiger das Glück in der Nach-Effenberg-Zeit eine der vakanten Stellen im Mittelfeld der Bayern einnehmen zu dürfen. Thomas Müller wird dieses Glück nicht haben. Er ist begabt, sein Talent sticht aber nicht heraus. Spielgeschwindigkeit und die Präzision seiner Aktionen fallen im Vergleich zu seinen Mitspielern ab. Er wirkt charakterlich gefestigt, aber ohne Ellbogen. (…) Thomas Müller wird ein guter Bundesligaspieler werden. Er verfügt über eine solide Technik und einen starken Abschluss. Den Ansprüchen des FC Bayern wird er auf Dauer aber nicht genügen.“ So Mehl im September 2009 als Müller unter Louis van Gaal der Sprung in die Stammformation des FC Bayern gelang.
Der FCA hat viele Spieler vom Schlage eines Thomas Müller
Richtig: Es handelt sich um jenen Thomas Müller, der ein knappes Jahr später Torschützenkönig der Weltmeisterschaft wurde und in Südafrika zu den besten Spielern des Turniers gehören sollte. Thomas Müller ist heute der torgefährlichste Mittelfeldspieler (besser: der defensiv stärkste Rückraumstürmer) Europas und gehört zu den wenigen Kickern weltweit, deren Marktwert auf zirka 40 Millionen Euro taxiert wird. Müller genügt nicht nur den Ansprüchen des FC Bayern, sondern wäre für jede Mannschaft auf dem Globus eine sensationelle Verstärkung. Es soll hier nicht darum gehen, Tilmann Mehl für seine spektakuläre Fehlprognose durchs Dorf zu treiben, sondern zu klären, warum er sich dazu hinreißen ließ. Es hat wohl damit zu tun, dass Mehl seinen Gedanken aufgrund von Erfahrung als sichere Erkenntnis fehlinterpretierte. Es handelte sich nämlich damals um eine Bewertung eines Fußballspielers, die zum Zeitpunkt ihrer Abgabe zutreffend war, zumindest aber dergestalt plausibel, dass der Schreiber dieser Zeilen damals beinahe innerlich dazu nickte. Der Fachmann sah, was dem 20jährigen Müller fehlte, konnte sich aber nicht vorstellen, dass Müller in der Lage sein sollte, seine Schwächen zu seinen Stärken zu verwandeln. Im Fußball gibt es keine Märchen, sondern eben nur Unvorstellbares, womit wir wieder beim FCA wären: Der FC Augsburg hat nicht wenige Spielertypen vom Schlage eines Thomas Müller in seinen Reihen: Baier, Manninger, Moravek, Klavan, Mölders, Philp, Verhaegh, Callsen-Bracker aber auch Werner; also Spieler, die sich beim FCA von Mitläufern zu veritablen Bundesligaspielern herausbildeten, und somit eine Verwandlung durchlebten, die ihnen die wenigsten zugetraut haben. Schafft der FCA heuer wieder den Erhalt der Klasse, sollte man sich für den Gedanken öffnen, dass man nun zur Elite dazu gehört, also mehr wollen darf, als einfach nur überleben. Der FC Augsburg kann auch in München gewinnen, das ist zwar unwahrscheinlich, aber eben nicht unmöglich. Der erste Schritt dazu: Man muss es sich vorstellen können.
Prognosen der DAZ vom 26. bis zum 32. Spieltag:
H´heim: 30 Punkte prognostiziert. – Realität:28 Punkte.
D´dorf: 31Punkte prognostiziert. – Realität: 30 Punkte.
FCA: 30 Punkte prognostiziert. – Realität:30 Punkte.
Club: 36 Punkte prognostiziert. – Realität:38 Punkte.