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Samstag, 20.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Familienkonzert: Nur Verlierer im musikalischen Wettstreit

Das 1. Familienkonzert: eine herbe Enttäuschung

Von Frank Heindl

Dass der Begriff Konzert vom lateinischen „concertare“ abstammt und damit auf einen musikalischen Wettstreit hinweist, kann man auf jede Art von musikalischer Darbietung anwenden. Warum man beim 1. Familienkonzert der Saison im Großen Haus des Stadttheaters gerade auf dieses Thema verfiel, blieb ziemlich schleierhaft – zumal die Matinee mit dem Titel „Tastenakrobatik“ eigentlich eher in Richtung Zirkus wies. Doch auch die weitere Dramaturgie der bei Eltern und Kindern beliebten Veranstaltungsreihe ließ diesmal einiges zu wünschen übrig: Aus dem Reichtum der Klavierliteratur hatte man ein denkbar unattraktives Programm zusammengestellt.

Der Eindruck, dass das jugendliche Publikum diesmal nicht allzu ernst genommen wurde, begann schon damit, dass Schauspieler Anton Koelbl als Moderator die wenigen Sätze, die er beizutragen hatte, bemüht vom Blatt ablas. Einen Wettstreit also kündigte er an – zwischen dem Philharmonischen Orchester und seinem berühmten derzeitigen Artist in Residence, dem Pianisten Bernd Glemser. Es gab zunächst ein bisschen Musikgeschichte – wie die komponierte Musik aus den Kirchen und von den Fürstenhöfen in die Konzertsäle gelangt ist und dabei die Größe der Orchester wuchs. Dann ging’s musikalisch mit einem Cembalokonzert von Carl Philipp Emanuel Bach los.

Schon hier hätte es doch nun eigentlich einer weiteren Erklärung bedurft: Warum ist kein Cembalo auf der Bühne, warum steht auf dem Programmzettel etwas anderes, als beim Konzert geliefert wird? Gute Idee dagegen: Glemsers Klavierspiel wurde in Vergrößerung auf eine Leinwand übertragen, sodass die Fingerarbeit von allen Plätzen aus beeindruckend zu verfolgen war. Allerdings funktionierte das aus unerfindlichen Gründen leider schon beim nächsten Stück nicht mehr: Das allegro marziale aus Friedrich Liszts 1. Klavierkonzert fordert noch viel mehr Virtuosität vom Pianisten, doch davon wurde leider nichts in Vergrößerung gezeigt.

Frustpädagogik und Meta-Musik

Man kann über Sinn und Zweck einer Veranstaltungsreihe wie der Familienkonzerte streiten. Sicherlich soll sie mehr dem Kennenlernen von Musik dienen als dem pädagogischen Zeigefinger, der die anwesenden Kinder zu mehr Übungsdisziplin auffordert. Warum aber die vielen kleinen Pianisten im Publikum frustrieren, indem man zuerst den Sinn von Übungsstücken erklärt, anschließend den Etüdenkomponisten Czerny – zurecht – für mitunter langweilig erklärt, und dann, mit Verweis auf den Nutzen von Etüden, eine ebensolche von Chopin (Nr. 25) spielt, die dem allergrößten Teil der anwesenden Nachwuchstalente nahezu unspielbar erscheinen musste. Besser wäre es gewesen, die pädagogischen Erwägungen einfach wegzulassen.

Die misslungene Dramaturgie setzte sich fort mit „Guero“ von Helmut Lachenmann. Nun war zwar die Kamera wieder eingeschaltet, aber dafür kriegte man fast gar nichts zu hören: In „Guero“ erzeugt der Pianist Töne vor allem, indem er mit den Fingern an oder auf den Tasten entlang streicht. Solche Art von Musik erfordert hohe Konzentration, absolute Ruhe und spielt sich zum großen Teil auf einer für Kinder unerreichbaren Metaebene ab – dort, wo es zum Beispiel ums Philosophieren über Musik und das Experimentieren mit Geräusch geht. Wer mal gehört hat, was die Jazzer Chick Corea und Herbie Hancock in den 70ern mit ihren Flügeln angestellt haben, ohne dazu die reguläre Klaviermechanik zu verwenden, der hat eine Vorstellung davon, wie man mit Sound und Rhythmus, mit Klang und Farbe auch Kinder fürs Klangexperiment hätte begeistern können. Warum denn nicht etwas Peppiges am Klavier? Warum kein Ragtime, warum nichts Vier- oder gar Sechshändiges, warum nichts Lustiges, nichts auch für Kinder Mitreißendes? „Das ist kein Stück!“, sagte entschieden ein Junge in der Reihe vor mir. Wer will’s ihm verübeln.

Thema verfehlt, Publikum enttäuscht

Das Orchester durfte im Anschluss diesen Exkurs kontern mit einem ebenso schwer zu verstehenden Stück der experimentellen Komponistin Carola Bauckholt, das erneut konzentriertes Stillsitzen erfordert hätte – was man von einem so jungen Publikum nicht erwarten kann und daher auch nicht erwarten sollte. Der Schlagzeuger darf in „Atempause“ über Muscheln spazieren, des Gehgeräuschs wegen. Die Geiger zupfen an den Saiten – aber nur ganz oben an den Wirbeln. Die Flöten müssen sich bemühen, froschähnlich zu klingen. Was man hört, könnte in etwa ein Naturerlebnis meinen, die besagten Frösche, das Summen von Insekten oder aber das weit entfernte Heulen von Sirenen. Und auch hier aber ist ein Großteil des Komponierten sehr weit weg von der Musik – mit Akrobatik und Tasten hat es ohnehin rein gar nichts zu tun, eine weitere glatte Themaverfehlung!

Fast noch unbegreiflicher aber ist das Ende des Konzerts: Ausgerechnet ein sehr, sehr ruhiges Adagio von Mozart (aus dem Klavierkonzert Nr. 23) als Schlussstück für ein Publikum aus vielen, vielen Kindern! Glemser und die Philharmoniker spielen wunderschön, aber Gähnen und Langeweile machen sich breit – es war, als wolle man den kleinen Zuhörern ein Einschlaflied spielen. Zu Recht mussten sich Pianist und Orchester dann auch mit spärlichem Applaus ohne Zugabenforderung zufrieden geben – das hatte man unter Kaftan und anderen schon ganz anders erlebt! Dabei hätte man, um wenigstens den Schluss  zu retten, nur statt des zweiten den dritten Satz aus Mozarts Konzert wählen müssen – der ist ein fesselndes Presto, hat Ohrwurmqualitäten, hätte auch was zum Zuschauen geboten und diejenigen aufgeweckt, die schon vorher ein bisschen weggenickt waren. Stattdessen ging man nach einer Stunde ermüdet und enttäuscht nach Hause – es gab nur Verlierer im musikalischen Wettstreit!

Hörbeispiele im Netz:

Franz Liszt, Piano Concerto No.1, 4. Satz Allegro marziale animato:

https://www.youtube.com/watch?v=Sk4H6-AjVco

Frédéric Chopin: Etude in a-moll, Op. 25 No. 11

https://www.youtube.com/watch?v=CT-s_sjdaAg

Helmut Lachenmann: Guero

https://www.youtube.com/watch?v=AnB9mnXpadM

Chick Corea und Herbie Hancock an zwei Flügeln:

https://www.youtube.com/watch?v=h7Dn4Ipu8n8

Carola Bauckholt – Atempause:

https://www.youtube.com/watch?v=C2vU7jZv-Q0