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Dienstag, 23.07.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Facettenreiche Interpretation

CD: Isabell Münsch und Geoffrey Abbot mit Brechtsongs

Von Frank Heindl

13 Songs, elfmal zu Texten von Bert Brecht – die CD „Ach, in jener Nacht der Liebe“ von Sängerin Isabell Münsch und Pianist Geoff Abbott.

13 Songs, elfmal zu Texten von Bert Brecht – die CD „Ach, in jener Nacht der Liebe“ von Sängerin Isabell Münsch und Pianist Geoff Abbott.


Beim Brechtfestival im Februar konnte man live erstmals Ausschnitte aus der CD mit Brechtsongs hören, die die Sopranistin Isabell Münsch und der Pianist Geoffrey Abbot aufgenommen hatten. Allerdings hatte es Probleme bei der Herstellung der Scheibe gegeben – erst seit Sommer liegt sie vor. Zwar lebte die Aufführung im Schaezlerpalais in hohem Maße von Präsenz und Ausstrahlung der Sängerin – doch auch auf CD entfaltet das Duo Münsch/Abbot jene musikalischen Qualitäten, die das Konzert im Februar so hörenswert gemacht hatten (DAZ berichtete).

Am deutlichsten (nicht) hörbar ist der Unterschied in der Qualität des Flügels: Während die Live-Zuhörer von einem bedauernswert schlecht geölten Flügel genervt wurden, dessen Pedale abscheulich quietschten, gibt das für die Aufnahme gewählte Instrument nur wider, was der Pianist absichtlich spielt – und was Kurt Weill, Hanns Eisler und Paul Dessau komponiert haben. Das ist wahrlich kein einfacher Stoff: „Die Liebenden“ etwa, diese wunderbare Fabel über die Zwei- und Einsamkeit der Kraniche, ist keineswegs geeignet zum schnellen Konsum. Hinhören lohnt dafür umso mehr: Denn Kurt Weill hat zur hochkomplexen Gesangsstimme einen Klavierpart im Stil einer Bachschen Fuge geschrieben, die Geoffrey Abbott wunderbar durchsichtig und klar darbietet und in ihrer durchkomponierten, geradezu abstrakten Form in offensichtlichen Gegensatz stellt zum emotionsgeladenen Thema des Gedichtes. So werden zwei Facetten Brechtscher Dichtung evident, werden menschliches Drama und dichterische Theorie zu berührender Lyrik und hinreißender Musik.

Zwischen Chanson und Arie, zwischen Leidenschaft und Kühle

Um derart intensiv und untergründig nicht nur Interpretation, sondern eben auch Analyse und Durchdringung Brechtscher Gedanken und moderner Komposition in Einklang zu bringen, reicht ein ernsthaft-nachdenklicher Pianist nicht aus. Es braucht dazu auch die facettenreiche Interpretationskunst einer Sängerin, wie Isabell Münsch sie ist: Changierend nicht nur zwischen Chanson und Arie, sondern auch zwischen wilder Leidenschaftlichkeit („Arie der Lucy“), spottreichem Sarkasmus („Apfelböck oder die Lilie auf dem Felde“), verzweifelt auf kühlem Abstand bedachtem Bericht („Ballade von der ‚Judenhure‘ Marie Sanders“) und der flehenden Bitte um Mitleid („O Falladah, die du hangest“) gewinnt die Sopranistin jedem der sattsam bekannten Brechttexte Aspekte ab, die beim Lesen wie beim Gedichtvortrag leicht zu überhören sind.

Wunderschön, wie sie mit klarer Mädchenstimme jene „Bitten der Kinder“ zu einem wirklichen Kinderlied macht: „Die Häuser sollen nicht brennen“ – aber natürlich sollen sie das nicht. Aber wenn ein Kind solch einen Wunsch äußert, bekommt der ein anderes Gewicht. Und in höchstem Maße berührend, wie Münsch Brechts „Falladah“-Gedicht lebendig macht, in dem Brecht nicht stehenbleibt bei der Frage, was den um Himmels Willen die Menschen so kalt gemacht habe, dass sie ihrem ehemaligen Kameraden, auch wenn der nur ein Pferd ist, bei noch lebendigem Leibe das Fleisch von den Knochen schneiden. „So helft ihnen doch! Und tut es in Bälde!“, lässt Brecht das sterbende Pferd für seine Peiniger bitten. Und Isabell Münsch macht nicht nur dieses unfassbare Mitleid hörbar, sondern auch die Wut über die unfassbaren Zustände. „So helft ihnen doch!“ – das ist auch in ihrem Gesang keine uneigennützige Bitte, sondern ein Flehen aus Verzweiflung, aus Sorge und Angst: „Sonst passiert euch etwas, das ihr nicht für möglich haltet!“

Manchmal fast zum Mitsingen …

Gut, dass auch ein paar Stücke auf der CD eher konventionelle „Song-Struktur“ aufweisen: Das „Sentimentale Lied Nr. 78“ in der Vertonung von André Herzberg beispielsweise, das geradezu zum Mitsingen reizt, aber auch Kurt Weills „Youkali“ (hier und bei einem weiteren Song stammt der Text nicht von Brecht), ja sogar „Nannas Lied“ vom nämlichen Komponisten oder Paul Dessaus Version vom „Lied vom Förster und der schönen Gräfin“ mit seiner makabren Pointe von der Füchsin, die vom angeblich geliebten Hahn am Morgen danach nur ein paar Federn übriglässt. Um das Machtgefälle zwischen den Menschen ging’s dem BB immer – und das macht eben vor der Liebe nicht halt. Und so wie Brecht über solchen Wirrwarr gelacht haben mag, es aber im Gedicht nicht hören ließ, so ahnt man auch bei Münschs Gesang jenen schallenden Sarkasmus, der aber eben nicht herausgelacht wird.

Brechts Texte sind nicht immer fürs Vergnügen geschaffen, und von der „Spaßmacher-Theorie“ des Augsburger Brechtfestivals ist das Duo Münsch/Abbot weit entfernt. Auf der CD „Ach, in jener Nacht der Liebe“ wird Brecht so ernst genommen, wie er es verdient – und das geht manchmal trotzdem auch ganz locker. Die Scheibe gibt’s in Augsburg zum Beispiel bei „Toccata“, „Böhm und Sohn“ und in der Buchhandlung am Obstmarkt.