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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„F“ steht in diesem Fall für „F-Jugend“

Warum der FCA ein Trainerproblem hat

Kommentar von Siegfried Zagler



„Der FCA geht in seine vierte Zweitligasaison mit der stärksten Mannschaft seit Beginn der Ära Seinsch. Es ist angerichtet. Nun sollte der Aufstieg ins Visier genommen werden.“ Das schrieb die DAZ kurz nach der Eröffnungsfeier der impuls arena im Juli 2009. Jos Luhukay hatte kurz vor Ende der vorangehenden Saison die Mannschaft übernommen und der Profitruppe des FCA eine fortschrittliche Spielkultur und somit neues Leben eingehaucht. In der vierten Zweitligasaison konnte sich der FCA unter Luhukay erstmalig in der Zweiten Bundesliga – nach verhaltenem Start – in der Spitze behaupten und belegte am Ende den dritten Platz, der zwar nicht in die Bundesliga führte, aber immerhin lag die DAZ im Juli 2009 mit ihrer „Ansage“ richtig. Die zurückliegende Erfolgsgeschichte, die durch den Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals mit einem dicken Ausrufezeichen unterstrichen wurde, ist – ohne Wenn und Aber – mit dem Namen von Luhukay verbunden. Nach elf Spieltagen in der aktuellen Saison hat der FCA vier Zähler mehr auf dem Punktekonto als in der zurückliegenden „Saison der Erfolge“, in der Luhukay sehr lange systemisch in seinen Kader hineingelesen hatte, bis er Andrew Sinkala von der Innenverteidigung auf die Sechs beorderte. Jens Hegeler spielte zuerst auf der Außenverteidigerposition und wanderte im Lauf der Saison auf die offensive Sechs. Beide Positionswechsel waren richtig und stabilisierten die FCA-Abwehr deutlich. Michael Thurk avancierte unter Luhukay in der vergangenen Saison zu einem spielenden Mittelstürmer mit Knipserqualitäten und „Ibo“ Traore zu einem gefürchteten Sprinter auf der linken Außenbahn. Die Flügelzange mit Traore und Marcel Ndjeng sorgte im hohen Maße dafür, dass sich Thurk zu einem Top-Goalgetter entwickeln konnte. Stephan Hain und Moritz Nebel wurden von Luhukay mit viel Geduld an den Zweitliga-Kader herangeführt. Alles geschah sukzessive und sehr langsam im Laufe der letzten Saison, und gerade als Luhukay nach langer Findungsphase eine klare Struktur und eine damit verbundene Stammformation entwickelt hatte, verlor diese durch Verletzungen beziehungsweise Formschwächen der Schlüsselspieler ihr Fundament.

Der FCA verdankt Luhukay viel

"Ein richtig guter Trainer": Jos Luhukay

"Ein richtig guter Trainer": Jos Luhukay


Wo ist nun das Trainerproblem? Um es vorweg zu nehmen: Im Vergleich zu allen seinen Vorgängern – Max Merkel und Armin Veh eingeschlossen – ist Jos Luhukay ein richtig guter Trainer, der sich mit seiner bescheidenen Art, seinem Disziplineifer und seinem sympathischen niederländischen Akzent bei den bayerischen Schwaben einen dicken Stein im Brett erarbeitet hat. Luhukay genießt aber nicht nur beim Augsburger Publikum hohes Ansehen, sondern auch innerhalb der Gilde der Profitrainer in Deutschland. Der FCA verdankt Luhukay viel, und gerade deshalb verdient er wie kein anderer die ungeteilte kritische Aufmerksamkeit der DAZ. Objektiv lässt sich nämlich feststellen, dass dem Niederländer in dieser wie in der zurückliegenden Saison anzukreiden ist, dass es viel zu lange dauert, bis die Mannschaft eine klare Handschrift des Trainers erkennen lässt.

Im Tor: Simon Jentzsch; im Sturm: Michael Thurk. Auf eine genauere Prognose der FCA-Mannschaftsaufstellung kann man sich derzeit nicht festlegen. Das ist zugegebenermaßen ein wenig überspitzt, beschreibt aber das „Prinzip Luhukay“ ziemlich genau. Mal spielt Torsten Oehrl in der Spitze neben Thurk, mal als Zehner hinter den Spitzen, mal gar nicht. Das Gleiche gilt für Stephan Hain. Welche Position Marcel de Jong spielt, erschließt sich aus dem Spiel selten, das Gleiche gilt für Daniel Baier. Weshalb der technisch starke Marcel Ndjeng in den letzten Spielen nicht zum Einsatz kam und konstant von dem fußballerisch eher limitierten Tobias Werner ersetzt wurde, ist ebenfalls nicht ganz klar. Und warum Moritz Nebel nach einer großartigen Leistung in Oberhausen eine Woche später nicht zum Einsatz kommt, kann man gar nicht nachvollziehen. In der Vergangenheit nahm Nando Raphael, wenn er zusammen mit Michael Thurk die Spitze bilden sollte, Thurk nahezu komplett aus dem Spiel. Raphaels Laufwege und seine kraftvolle Präsenz navigierten das Spiel vom Mittelfeld heraus meist an Thurk vorbei.

Training ist nicht Spiel

„Ich stelle die Mannschaft nach Trainingseindrücken auf“, so Luhukay, als die lokalen Sportjournalisten bezüglich der ständigen Wechselspielchen behutsam nachfragten. Training ist nicht Spiel, möchte man dagegenhalten. Die Leistungskurven einiger Spieler sind zu sehr vom Spielverlauf und ihrer Tagesform abhängig, was damit zu tun haben könnte, dass sie ihre Laufwege nicht exakt zu kennen scheinen. Mal spielt der FCA mit Raute, mal mit der Doppel-Sechs. Einzelne Wechselmaßnahmen sind bei Luhukay nicht selten mit einer Umstellung des Spielsystems verbunden. Oft traut Luhukay seiner Aufstellung selbst nicht ganz über den Weg. Im Spiel gegen Bielefeld am Samstag schickte er als „Drohung“ nach 30 Minuten die komplette Bank zum Aufwärmen.

Das ist eine Parole für einen Abstiegskandidaten

Trotz des aktuellen Aufwärtstrends wirkt die Mannschaft im Aufbau wie in der Abwehr nicht gefestigt. Standardsituationen jeglicher Art wirken nicht einstudiert, sondern werden nach „Schema F“ abgewickelt. „F“ steht in diesem Fall für „F-Jugend“. Beinahe bei jedem Spiel drängt sich der Eindruck auf, die Mannschaft spiele zum ersten Mal zusammen und finde erst während der Partie in das Match und zu halbwegs geordneten Spielzügen. Oft – so scheint es zumindest – sind viele FCA-Spieler zu Beginn nicht „richtig in der Partie“. Man wolle über den Kampf zum Spiel finden, wurde Luhukay vor dem kläglichen Spiel gegen Union Berlin zitiert. Das ist eine Parole für einen Abstiegskandidaten, und genau so spielten die Augsburger in den zurückliegenden Partien phasenweise. Nach wie vor werden zu selten die Außen gesucht, was auch damit zu tun hat, dass auf der rechten Seite kaum die Position gehalten wird. Insgesamt treiben die Außen zu selten den Angriff bis zur Grundlinie. Zu schnell und vor allem zu oft zieht sich das Augsburger Angriffsspiel über Thurk in der Mitte zusammen. Der FCA ist nach elf Spieltagen immer noch auf der Suche nach Struktur, Spielwitz und einer Stammformation, was heißen soll, dass der Trainer noch nicht zu wissen scheint, wie die Qualität des Kaders auszupendeln ist.

Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile

Spielender Mittelstürmer mit Knipserqualitäten: Michael Thurk

Spielender Mittelstürmer mit Knipserqualitäten: Michael Thurk


„Was ist eigentlich in der Vorbereitungszeit passiert?“, könnte man ketzerisch fragen. Das Rätsel um die „Wundertüte FCA-Aufstellung“ lässt sich weder auf den ersten Blick verstehen, noch wenn man genauer hinschaut. Was bleibt also anderes übrig als in der Metaphysik, besser: in der Spielphilosophie Luhukays nach einer Erklärung zu suchen? „Das Ganze ist mehr als die Summer der Einzelteile“ ist eine Erkenntnisformel aus dem Feld der Emergenz-Forschung, die auf die Metaphysik Aristoteles zurückgeht. Ein Satz, der das unkalkulierbare Fußballspiel ein wenig erklärbarer machen soll. Ein Satz, der auf den Eingangstoren der holländischen Trainerschulen eingemeißelt sein könnte. Der FCA lebt derzeit noch zu oft von der individuellen Klasse seiner Einzelspieler, deren Fähigkeiten zwischendrin plötzlich aufblitzten, wie eine Reihe schöner Sätze in einem schlechten Buch, und zu wenig vom „Ganzen“, also von einem System, das in seiner Wirkungsweise nachhaltig stärker ist, als die Summe der individuell agierenden Einzelspieler. So direkt hat das Luhkay zwar noch nicht gesagt, aber einiges spricht dafür, dass der Niederländer in Augsburg nach jenem systemischen Perfektionismus strebt, der in der legendären Ajax-Schule in den Achtzigern entwickelt wurde. Diese rigorose Amsterdamer Lehre des Systemfußballs verbreitete sich in Europa beinahe endemisch und fand zum Leidwesen der deutschen Fußballfans in Jürgen Klinsmann einen glühenden Verehrer. Klinsmann wollte nicht nur der deutschen Nationalmannschaft, sondern der kompletten Bundesliga die Heilslehre des Systems verordnen. Wenn man Urs Siegenthaler glauben will, waren Klinsmann und Löw vor der WM 2006 während der gesamten Vorbereitungsphase dergestalt auf das Einstudieren von systemischen Abläufen fokussiert, dass kaum noch Zeit für das Üben von Standardsituationen blieb. Die Fixierung auf das Spielsystem trübte dem deutschen Trainer-Duo das Urteilsvermögen hinsichtlich der Tugenden und den Schwächen des Kaders, der erst währen der WM sein Potential entfalten konnte, und zwar vor allem deshalb, weil nach dem Auftaktspiel das „System Tempofußball holländischer Prägung“ während der laufenden WM wie ein zu enger Anzug abgelegt wurde.

Die Mitte finden ist nicht nur im Fußball eine schwierige Angelegenheit

"Die Mitte finden": Englische Atmosphäre in der impuls arena

"Die Mitte finden": Englische Atmosphäre in der impuls arena


Das FCA-Problem ist vermutlich dergestalt gelagert, dass der Kader spielerisch zu schwach ist, um über rein fußballerische Qualitäten auf die Erfolgsspur zu kommen und kämpferisch zu wenig Qualität besitzt, um über den „Kampfschwein-Modus“ langfristig Punkten zu können. – „Die Mitte finden“ ist eine nicht nur im Fußball sehr schwierige Angelegenheit. Die vergangenen Spiele – besonders das Match in Fürth – haben gezeigt, dass die Augsburger Profifußballer physisch in einem sehr guten Zustand sind. Daran hapert es am wenigsten. – Luhukay muss die Mitte zwischen spielerischem Potential und kämpferischer Tugend ausloten. Nicht wenige Trainer sind an dieser Aufgabenstellung grandios gescheitert, weil ihnen ihre eigenen perfektionistischen Vorstellungen den Blick auf die Möglichkeiten der Einzelspieler und des gesamten Kaders verstellt haben. Wie gesagt: Luhukay ist ein richtig guter Trainer, und somit ein besessener Lehrer, der ständig an der philosophischen Differenz zwischen Vorstellung und Wirklichkeit feilt, weshalb ihm zu wünschen ist, dass er das Spielsystem gemäß den Fähigkeiten der Spieler zu formen in der Lage ist – und nicht die Spieler reihenweise so lange in zwei fixe Systemvorstellungen hineinschleift, bis endlich das System nach seinen Vorstellungen funktioniert. „Das Ganze ist mehr als die Summe der Einzelteile“ ist das oberste Paradigma des so genannten Systemfußballs. Der FCA hat ein Trainerproblem, weil nicht davon auszugehen ist, dass Luhukay außerhalb der systemischen Perfektionsparadigmen der Ajax-Schule den Blick auf das Konkrete und das Einfache richten wird. Mit Systemfußball kann man einen technisch hochklassigen Kader traktieren und weiter entwickeln. Beim FCA wird Luhukay damit scheitern.