Es schillert im Schaezlerpalais
Ein Branding der besonderen Art – DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler über die Kulturjournalistin Sybille Schiller
Kunst kann komplex und spannend sein, kann banal und uninteressant sein, kann die Tiefen der menschlichen Seele ausloten und trostlose Dummheit vermitteln. Kunst hat in bürgerlichen Bildungsgesellschaften beinahe die Rolle der Religion übernommen. Dem Künstler traut man stärkere Empfindungsfähigkeit und tiefergehende Spiritualität und somit Vermittlungsfähigkeit zu als „gewöhnlichen Menschen“, die sich in ihren gewöhnlichen Berufen lediglich um Anerkennung und Wohlstandsvermehrung bemühen.
Künstler sind losgelöste Existenzen, die mit ihrer subversiven Tätigkeit nach Zeichen und Sprache suchen, sind von Empfindsamkeit heimgesuchte Wanderer, die ihren Weltschmerz in Form und Farbe gießen und auf das Rätsel Mensch verweisen – und eben darin nach Rang und Anerkennung suchen. Die Kunst der Bewertung der Kunst zählt zu den Aufgaben des sogenannten „Kulturjournalismus“, dessen Protagonisten zu den einflussreichen „Kunstmachern“ gehören und deshalb von Künstlern hoch geschätzt oder tief verachtet werden, wie zum Beispiel Sybille Schiller, deren Signatur (sysch) zu einem Branding der besonderen Art in der lokalen Kunstszene zählt.
Viele Jahre schrieb Schiller für die Augsburger Allgemeine Ausstellungsbesprechungen, Theaterkritiken, Künstlerporträts u.v.m. Seit wenigen Jahren geht sie dieser Tätigkeit im Augsburg Journal nach. In den vergangenen 30 Jahren hat „die Schiller“ höchstens eine Handvoll Theaterpremieren versäumt, noch weniger Ausstellungen verpasst und lange vor Facebook, Instagram und Co. bildete sie ein furchterregendes Netzwerk, in dem niemand fehlte, der in Augsburg etwas mit Kunst zu tun hatte und hat.
Als sie ihren 70. Geburtstag feierte, sang im Herrenhaus zu Bannacker vor 120 geladenen Gästen Star-Tenor Gerhard Siegel, den sie natürlich kennt, weil er in Augsburg studierte. Schiller hier, Schiller dort, die ehemals Unvermeidliche hat sich im Lauf der Jahrzehnte durch ihre Unverwüstlichkeit und ihre unschlagbare Präsenz eine Aura der Wirksamkeit im kollektiven Gedächtnis des lokalen Feuilletons erarbeitet. „Es schillert“ ist von der Metapher der Herablassung zu einem Qualitätsmerkmal avanciert. Eine ungewöhnliche Karriere, dergestalt ungewöhnlich, dass „die Schiller“, käme sie bei Martin Walser als Romanfigur vor, als Fiktion nicht glaubwürdig wäre. Während andere Journalisten jenseits der „Demarkationslinie Rentenalter“ nur noch selten und ausgewählt ihre Feder ins Tintenfass tauchen, befindet sich Sybille Schiller auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Und nun das: Im November 2017 erhielt sie von den Städtischen Kunstsammlungen einen besonderen Ritterschlag: Homestories 4.
Nach dem Double Feature des manischen Kunstsammlers Herbert Rieß, der seine Sammellust in eine Lebenskunst transformierte und der exklusiven Ausstellung der Bilder des holländischen Meisters Henk Kouw, dessen atemberaubenden Akte und Landschaften sich im Besitz eines Augsburger Bürgers befinden, der es vorzieht unbekannt zu bleiben, zeigt, seit 10. November 2017, im Museumscafé und im Liebertzimmer des Augsburger Schaezlerpalais die Kulturjournalistin Sybille Schiller ihre private Kunstsammlung: „Geerbt – Geschenkt – Gekauft“.
Die Schiller´sche Sammlung erhält im Zusammenspiel mit der Großen Schwäbischen Kunstausstellung, die zeitgleich im ersten Stock des Schaezlerpalais zu sehen ist, ein retrospektivisches Narrativ, das von Künstlerexistenzen im Augsburger Raum erzählt. Und Sybille Schiller wäre nicht Sybille Schiller, wüsste sie nicht zu jedem Bild, zu jeder kleinen Skulptur eine Geschichte zu erzählen. Der Akt des Erwerbs von Kunst ist ohnehin spannender als der Besitz von Kunst. Warum also kein Bild von Otto Geiss? „Geiss war mir immer zu teuer! – Ich hatte aber ein Bild von Geiss.“ Was heißt teuer? „Ich habe nie mehr als 600 Mark, also 300 Euro für ein Bild ausgegeben.“ War das Geld das wichtigste Kriterium für eine Kaufentscheidung? Schiller lächelt: „Geld spielt natürlich immer eine Rolle. Kleine Bilder sind mir ohnehin lieber.“
Warum dann keine Miniatur von Claudia Geßner? „Kommt vielleicht noch, ich mag ihre Sachen.“ Warum kein Lettl? „Surrealismus ist nicht meine Sache.“ Was ist mit Jörg Scherkamp? „Wir lebten damals in verschiedenen Welten, aber ich hatte einen Schnitt von Scherkamp, der hängt, wie andere Bilder bei den Kindern. Einiges habe ich auch verkauft. Viele Bilder bekam ich als Bezahlung für eine Laudatio bei den Ausstellungseröffnungen.“ Warum nichts von Zöttl? „Zöttl war mir zu seiner großen Zeit entschieden zu teuer. Heute interessiert er mich nicht mehr so.“ Was ist mit den aktuellen Größen der Region: Felix Weinold, Christofer Kochs? „Einen Kochs hatte ich, auch Weinold ist für mich entschieden zu teuer!“
So reicht Schillers große-kleine Kunstwelt von Claus Scheele über Georg Kleber und Monika Schultes, vom unvergessenen „Nachtwächter des Holbeinhauses“ Günther Strupp zu Hansjürgen Gartner, von Daniela Kammerer hin zu Joerg Maxzin, dem die Zukunft zu gehören scheint, während der Shootingstar der 80er Jahre, Claus Scheele – mit seinen 74 Jahren putzmunter und produktiv – völlig in Vergessenheit geriet. Eine tiefe Spur hat auch Jan Prein in die moderne Geschichte der Augsburger Kunst gelegt und natürlich darf in der Aufzählung der Schiller´schen Exponate der Münchner Maler und Grafiker Günter Fruhtrunk nicht fehlen, der mit der Gestaltung der Aldi-Nord-Einkaufstüte Weltruhm einfuhr.
Die Idee, dass die Bürger einer Stadt ihre Schatzschatullen öffnen und im musealen Raum zeigen, was sie haben oder auch nicht haben, kam den Museumsleitern Christof Trepesch und Tilo Grabach im Rahmen ihrer Kunstsprechstunden, in denen Augsburger Bürger gerne darauf hinwiesen, was so alles bei ihnen zu Hause hängt. Es ist eine überzeugende Idee, den Heimatbegriff über die Kunst zu deklinieren. Ein Ausstellungskonzept, das es nur in Augsburg gibt. Die spannende Kunsterzählung „Homestories 4 – Geerbt-Geschenkt-Gekauft – Ein Blick ins Wohnzimmer von Sybille Schiller“ ist noch bis zum 11. März 2018 zu sehen.