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Dienstag, 23.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

„Es gibt eine langsame Veränderung dahingehend, Augsburg als gemeinsame Heimat zu empfinden“

Oberbürgermeister Kurt Gribl im DAZ-Interview

Oberbürgermeister Kurt Gribl

Oberbürgermeister Kurt Gribl


Am vergangenen Montag sprach Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl ein Grußwort auf der Sitzung des Integrationsbeirates. Gribl verwies dabei auf den grundlegenden Auftrag dieses Beirates und legte dabei ein gutes Wort für den Vorsitzenden Tugay Cogal ein, der Ende Juni mit einem bemerkenswerten Interview für negative Schlagzeilen sorgte. Nach Klarstellung der missverständlichen Aussagen solle man nun wieder nach vorne schauen, so OB Gribl, der sich seit Amtsantritt intensiv mit dem Integrationsbeirat auseinandersetzt, dabei „Irritationen“ einräumt, aber weiterhin auf den Integrationsbeirat baut. „Aber wenn er seine Aufgabe erfüllen soll, braucht er die konstruktive Unterstützung der gesamten Stadtgesellschaft“, so Kurt Gribl im DAZ-Interview.

DAZ: Herr Gribl, Sie haben im Zusammenhang mit den Neonazi-Aufmärschen als Oberbürgermeister der Stadt Augsburg einmal gesagt, dass “wir” die Plätze besetzen müssen, bevor das die Feinde der Demokratie tun. Ich war damals nicht als einziger beeindruckt. Ich habe das nämlich so verstanden, dass es für unsere Demokratie einen schützenswerten Raum gibt, der von rechtsstaatlichen Gerichten und Gremien offensichtlich nicht in Gänze vor demokratiefeindlicher Propaganda geschützt ist. Wie weit darf eine Stadtgesellschaft gehen, um sich vor „geistigen“ Übergriffen aus dem rechtsradikalen Spektrum zu schützen?

Gribl: Am Beispiel der Aufzüge von rechtsradikalen Gruppen zeigt sich, wie schwierig die Auseinandersetzung ist. Die Stadt Augsburg hat immer wieder versucht, Demonstrationen von Rechtsradikalen zu untersagen und ist damit letztlich vor Gericht gescheitert. Das ist ein Aspekt unserer Rechtsordnung, der nur schwer in die Bürgerschaft zu vermitteln ist. Trotzdem ist es ein unverzichtbarer Kern unserer Demokratie, dass selbst die Feinde der Demokratie sich auf grundgesetzliche Rechte, wie das der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, berufen dürfen. Demokratie muss eine solche Agitation aushalten, sie darf jedoch nicht unwidersprochen bleiben. Die Stadt ist daher schon seit Jahren in einem engen Schulterschluss mit aktiven Demokraten der Zivilgesellschaft. Ganz besonders mit dem Bündnis für Menschenwürde Augsburg-Schwaben e.V., mit dem wir auch die jährlichen Aktionstage „Vielfalt in der Friedensstadt“ durchführen – nicht nur als konkrete Reaktion auf Demonstrationen von rechtsorientierten Gruppen. In den vergangenen Jahren haben wir die Aktionstage auch veranstaltet, obwohl keine Demonstration von Rechtsradikalen angemeldet war – gerade weil es darum geht, positiv eine demokratische Haltung bei uns als Bürger zu stärken und nicht ausschließlich um die Abwehr von Feinden der Demokratie. In diesem Kontext ist auch zu sehen, dass die Stadt Augsburg sich seit 2011 dem Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ angeschlossen hat. Bislang sind gut 70 kleine und große Projekte – vor allem auch in der Jugendarbeit – aus diesem Programm unterstützt worden, die sich auf ganz unterschiedliche und kreative Weise mit dem demokratischen Zusammenleben in Augsburg auseinandersetzen.

DAZ: Ist es richtig, wie in den vergangenen Tagen kolportiert wurde, dass Sie sich physisch in die Nähe der Grauen Wölfe, also einer rechtsextremen türkisch-nationalen Organisation begeben haben? Einfacher gefragt, haben Sie diese Gruppierung besucht, falls ja: Warum?

Gribl: Ich werde zu vielen Terminen und Festen eingeladen, die von Bürgern unterschiedlichster Herkunft in Augsburg veranstaltet werden und ich kann nicht ausschließen, dass auch Vertreter der Grauen Wölfe bei einer solchen Gelegenheit anwesend waren. Bewusst habe ich deren Gesellschaft sicher nicht gesucht.

DAZ: Welche Botschaft der Stadt an die Adresse der Grauen Wölfe und an deren Unterstützerorganisationen in Augsburg gibt es an dieser Stelle von Ihrer Seite?

Gribl: Die Fachstelle für Integration und interkulturelle Arbeit in meinem Referat hat im April 2013 eine Broschüre unter dem Titel „Muslimische Organisationen in Augsburg“ herausgebracht, in der unmissverständlich die Ziele dieser Gruppen und die Tatsache, dass sie unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen, benannt werden. Die Botschaft ist ebenso klar: Deutschland ist nicht der Ort, in dem historische oder politische Auseinandersetzungen der Herkunftsländer weiter ausgelebt werden können. Es ist richtig, dass sich Zuwanderer ihrer kulturellen Wurzeln bewusst sind; zum Zusammenleben gehört aber auch, hier „angekommen zu sein“ und an unserem Gemeinwesen mitzuwirken. Es ist deshalb unverzichtbar, dass sich alle Menschen in unserem Land zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen und aktiv an ihr mitarbeiten. Keiner darf an dieser Basis unseres Zusammenlebens rütteln, unabhängig davon, ob es dabei um Zuwanderer geht, oder um Augsburger, deren Familien schon lange in der Stadt leben.

DAZ: Welche Aufgabe hat der Integrationsbeirat der Stadt Augsburg?

Gribl: Die Aufgaben des Beirats sind in seiner Satzung definiert, die der Stadtrat 2009 einstimmig beschlossen hat. So vertritt der Integrationsbeirat in allen Belangen die Interessen der Augsburger mit Migrationshintergrund und berücksichtigt dabei ihre Vielfalt und Heterogenität. Ziel ist es, die volle Teilhabe und die Chancengleichheit der Menschen mit Migrationshintergrund und das Miteinander von Migranten und Nichtmigranten in der Bürgergesellschaft und in den Institutionen zu schaffen. Es ist schon bemerkenswert, dass dieser Auftrag weitaus moderner gefasst ist, als dies bei früheren Satzungen der Fall war. Es geht nicht mehr allein um die Vertretung eines großen Teils der Stadtgesellschaft, sondern um den vernünftigen Ausgleich der verschiedenen Interessen in der ganzen Stadt. Wichtig war mir auch, dass im neuen Beirat seit 2010 die Gruppen der Aussiedler und Spätaussiedler eingebunden werden konnten. Wir haben erst im Juni eine große Veranstaltung unterstützt, die sich der Geschichte und der Gegenwart der Deutschen aus Russland gewidmet hat. An dieser Veranstaltung haben auch viele Mitglieder anderer Communities und Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte teilgenommen. Für mich ist das ein Zeichen dafür, dass es eine langsame Veränderung dahingehend gibt, Augsburg als gemeinsame Heimat zu empfinden, in der Menschen mit unterschiedlichen Biografien zusammenleben wollen.

DAZ: Kommt der Integrationsbeirat dieser Aufgabenstellung nach?

Gribl: Die Arbeit des Beirates zeigt sich nicht nur in öffentlichen Aktionen. Es gibt viele Augsburgerinnen und Augsburger, die sich mit Einzelfragen an den Beirat wenden. Dabei geht es um Fragen zum Aufenthaltsrecht, um Schule, Gesundheit oder Mitwirkung im bürgerschaftlichen Engagement. Der Beirat ist nicht zuletzt auch ein wichtiger Teil im Netzwerk der fast 100 Migrantenvereine, Beratungseinrichtungen und weiteren institutionalisierten Akteure im Bereich der Integration. Das Gremium hat immer wieder unter Beweis gestellt, dass es auch moderierend wirken kann. Als etwa vor einem Jahr eine sehr emotional geführte Debatte zur Frage der rituellen Beschneidung bundesweit entbrannte, hat der Integrationsbeirat zusammen mit den Angehörigen der jüdischen und der muslimischen Glaubensbekenntnisse in einer Veranstaltung die Diskussion wieder auf einen sachlichen Boden zurückgeholt und eine Augsburger Erklärung entworfen. Soweit ich weiß, war das einzigartig in Deutschland. Die Inhalte dieser Erklärung entsprechen übrigens ziemlich genau dem, was der Gesetzgeber wenig später in geltendes Recht überführt hat. In diesem Sinn bin ich davon überzeugt, dass der Integrationsbeirat seine Aufgaben ernst nimmt und sie auch erfüllt. Dabei gibt es manchmal Irritationen. Dem Gremium muss aber auch zugute gehalten werden, dass es sich mit sehr komplexen Sachverhalten auseinandersetzt und alle Frauen und Männer des Beirats dies ehrenamtlich tun. Mit dieser Kompetenz gilt es, sorgsam umzugehen. Klar darf der Beirat auch kritisiert werden. Aber wenn er seine Aufgabe erfüllen soll, braucht er die konstruktive Unterstützung der gesamten Stadtgesellschaft.

DAZ: Herr Gribl, vielen Dank für das Gespräch.

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Fragen: Siegfried Zagler