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Samstag, 17.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Erst viel Gequassel, dann viel Spaß

Premiere im Großen Haus: „Der ideale Mann“



Von Frank Heindl

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Politiker unter sich: Der eine säuft sich seine Lebenslügen weg, die andere will daraus ihren Nutzen ziehen. Gregor Trakis als Sir Robert Chiltren, Jessica Higgins als seine Gegenspielerin Mrs. Cheveley.


„Die Unwahrheit ist nichts als die Wahrheit anderer Leute“. „Sich selbst zu lieben, ist der Beginn einer lebenslangen Romanze.“ Von Bonmots und Aphorismen wie diesen quillt Oscar Wilde‘s Komödie von 1894 mit dem Titel „Ein idealer Gatte“ nahezu bis zur Unerträglichkeit über. Elfriede Jelinek, Wortakrobatin wie Wilde, hat den oftmals geradezu geschwätzigen Text überarbeitet – leider nicht tiefgreifend genug. Darunter leidet die Augsburger Inszenierung zu Anfang, doch nach der Pause nimmt sie glücklicherweise Fahrt auf und wird zur spritzigen Boulevardkomödie.

„Wenn man über etwas nicht spricht, ist es nicht geschehen“ – auch so ein Bonmot von Wilde. Es könnte als Motto über Sir Robert Chilterns Leben stehen. Denn die Hochachtung und Verehrung, die ihm die Gesellschaft und nicht zuletzt seine Frau entgegenbringen, beruht auf einer Lüge: Chiltern ist durch Manipulation, Korruption, Spekulation zu Geld und erst dadurch zu Macht und Ansehen gekommen. Niemand weiß davon, bis anlässlich einer Party bei den Chilterns die intrigante Mrs. Cheveley auftaucht und den Hausherrn und Politiker zu erpressen versucht. Carolin Mittlers sinnfälliges Bühnenbild besteht aus einer schief stehenden Wohnzimmerkulisse, in der alles aus Gold ist: die Wände, die Leuchter, sogar die Topfpalmen. Allerdings gelangt in den Kreis der Feiernden nur, wer eine stark abschüssige Rampe herunterrutscht. Das tun alle mit kindischer Freude – der Weg wieder hinauf ist dann allerdings deutlich mühsamer. Auch etwas anderes ist schon am Anfang klar, als sich der Bodenbelag zu wölben beginnt: dass in diesem Haus so einiges unter den Teppich gekehrt wurde.

Zu viel Partygequassel

Nicht enden wollende, im Grund nichtssagende, aber von Spitzfindigkeiten, kleineren und gröberen Bosheiten, Bonmots und Sprachspielereien überquellende Gespräche sind Oscar Wilde’s Spezialität. Elfriede Jelinek, ebenfalls als Sprachjongliererin berühmt und berüchtigt, hat an manchen Stellen zugespitzt, Anspielungen auf gegenwärtige Verhältnisse eingeflochten, inhaltlich wenig verändert und manches allzu platt gebügelt: Dass sie etwa auf der sexuellen Konnotation des Verbs „kommen“ derart penetrant herumreitet, wird man nicht als Höhepunkt ihres Schaffens werten können. Die Partyschilderung von Wilde/Jelinek ist so witzig wie quälend, weil eigentlich nichts geschieht, weil eben nur, wenn auch geistreich, geschnattert und gequasselt und immer weiter gequasselt wird – im Theater Augsburg so schnell und ohne Unterlass, dass oftmals die Verständlichkeit leidet. Merkwürdig, dass Jelinek hier nicht mehr Stringenz hergestellt hat, schade, dass Regisseurin Schirin Khodadadian sich nicht getraut hat, energischer zu streichen.

Ein phänomenaler Entertainer



Rettung, Anker und Mittelpunkt der Inszenierung ist zweifelsohne Gregor Trakis. Er gibt den Sir Robert Chiltren bravourös und mit phänomenaler Bühnenpräsenz zunächst als nicht zu bremsender Entertainer, der mit sprühendem Charme und in aufdringlicher Lautstärke nicht nur seine Bühnenpartner, sondern auch das Publikum sofort auf seine Seite zu ziehen versucht: „Guten Abend Augsburg, na, wie ist die Stimmung? Gut sehen Sie aus! …“ Dass sich hinter der Fassade dieses gut gelaunten Sonnyboys ein gewiefter Blender ebenso versteckt wie ein alkoholkranker Zyniker, wird bald klar werden – Trakis schafft es, die Übergänge zwischen diesen Charakteren nahtlos zu vollziehen. Zu Wort kommt bei Chiltren keiner – auch Mrs. Cheveley (arrogant-intrigant: Jessica Higgins) dringt mit ihrem Erpressungsversuch erst durch, als sie seinem Redeschwall brüllend Einhalt gebietet.

Bis dahin aber entstehen auf der Bühne etliche Längen, die das Ensemble zu oft wegzuhampeln versucht – alle sind hier permanent in Bewegung, keiner kann still sitzen, man rennt umeinander herum, fuchtelt mit Armen und Beinen, versucht gestenreich die Leere der Unterhaltung zu vertuschen. Und zwischendurch illustrieren Popsongs von Chaka Khan bis Sister Sledge, dass politische Phrasen, volkstümliche Anbiederung und popkultureller Kitsch gut zusammenpassen. Ein bisschen wie Wahlkampf in Österreich – oder Aschermittwoch in Bayern.

Nach der Pause eine kunterbunte Boulevardkomödie



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Viel Schnaps, viel Spaß und viel Geschnatter: Kerstin König, Thomas Prazak und Sebastián Arranz machen Party (Fotos: Kai Meyer).


Nach der Pause hat dieser (gewollte?) Leerlauf ein Ende, weil sich die Regie nun voll auf eine spritzige Boulevardkomödie einlässt. Chiltern ringt sich dazu durch, der Erpresserin nicht nachzugeben – doch erst, als seine ihn grenzenlos anbetende Gemahlin (Ute Fiedler, weißhaarig-puppenhaft und zum Schreien gutgläubig) dann doch verlassen hat. Der extrem nichtsnutzige Lord Goring (wunderbar zupackender Dandy: Thomas Prazak) versucht zu retten was zu retten ist, Butler Phipps (Sebastián Arranz auch in weiteren Rollen und immer wieder wunderbar als Klischeebild des Südländers) ist gehorsam auch dann zur Stelle, wenn High Heels als Telefonhörer herhalten müssen. Ein verlorener Ring und mehrere verwechselte Briefe spielen große Rollen, man drängt sich zu Vielen auf schmalen Sesseln oder fährt mit ihnen Autoscooter. Und weil an diesem ganzen Londoner Adel alles nur Lug und Trug ist, stellt sich beim distinguierten Lord Caversham (Anton Koelbl) sogar das Haupthaar als Fälschung heraus.

Dass bei diesem kunterbunten, sich quirlig im Kreis drehenden Klamauk mit vielen herzhaften Lachern am Schluss alles gut ausgeht, ist so selbstverständlich wie unglaubwürdig: Die Chilterns versöhnen sich, der Taugenichts Goring gelobt Besserung und heiratet die Tochter des Hauses (gelungenes Debut in Augsburg: Kerstin König), Lady Markby (Wiltrud Schreiner) und Mrs. Marchmont (Lea Sophie Salfeld) kommentieren das Ganze bissig und dann trällert man gemeinsam ein Lied. „Für uns beide beginnt jetzt das Leben“, schwärmt Goring kitschig-pathetisch – und dann wird es dunkel. Die Politiker, die uns im echten Leben weiterhin belügen und betrügen werden, sind nicht halb so lustig.