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Samstag, 20.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Eishockey und Schneeglöckchen

Jetzt fängt die Eishockey-Saison erst an!

Von Peter Hummel

Curt-Frenzel-Stadion (c) DAZ

Curt-Frenzel-Stadion (c) DAZ


Eishockey-Fans haben bekanntlich ein feines Gespür dafür, wie weit man in Sachen Häme gegenüber gegnerischen Fans gehen darf. Da bedarf es auch keiner Intervention des Vereins, wie etwa am vergangenen Freitag beim FCA gegen Leipzig, als die Club-Verantwortlichen die Stadion-Spruchbänder vorab sehen wollten. Am Ende war zwar alles ganz harmlos, dennoch ermittelt nun der DFB gegen die Augsburger, weil wohl ein paar Transparente nicht ganz im Sinne der Funktionäre waren.

Eines der schönsten Postings in der deutschen Eishockeywelt war in den letzten Tages jenes, bei dem den Ingolstädter Panthern, die traditionell von den Augsburgern mit einer gehörigen Portion Verachtung wahrgenommen werden, von einem AEV-Fan ein Angebot des Rasierklingenherstellers Gillette empfohlen wurde. Was nichts anderes heißt als: Freunde, für euch sind die Spiele vorbei, runter mit den Playoff-Bärten. Ingolstadt hatte zuvor beide Partien gegen den DEL-Neuling Bremerhaven verloren.

Bei den Augsburger Panthern unterdessen wachsen die Bärte weiter und wachsen und wachsen. Die Jungs um Trainer Mike Stewart haben sich direkt für das Viertelfinale qualifiziert und starten an diesem Mittwoch auswärts gegen Nürnberg in die Best-of-Seven-Runde. Das Heimspiel am kommenden Freitag war binnen Minuten restlos ausverkauft.

Es herrscht also einmal mehr eine Eishockey-Euphorie in Augsburg, die ihresgleichen in der Republik sucht. Wobei – einmal mehr? Nun gut, zwar gilt das Curt-Frenzel-Stadion schon während der normalen Saison als ein Hort ekstatischer Emotionen, aber dass es die Panther in die Endrunde der Deutschen Eishockeyliga geschafft haben, ist schon ein kleines Wunder, zumal bei dem kleinen Etat. Ein Wunder, auf das die Fans nun sieben lange Jahre warten mussten. Sieben Jahre, großer Gott! Ein normaler Eishockeybesucher hat in diesen sieben Jahren rund 14 Tage komplett im Stadion verbracht, um am Ende mit anzusehen, wie sein Team auf dem drittletzten oder vorletzten oder gar letzten Platz landet. „Wie kann man nur”, sagte meine Frau nicht selten. Und: „Warum tust Du dir das überhaupt an?”

Was soll ich sagen? Genau wegen der aktuellen Saison, genau wegen diesem Mittwoch in dieser Woche, an dem es in den Playoffs in Spiel 1 gegen Nürnberg geht. Vergessen sind all die halbguten Torhüter der letzten Jahre, ausgelöscht all die lausigen Stürmer, verdrängt all die Diven auf dem Eis, die sich in der Fuggerstadt einen faulen Lenz gemacht haben. In diesem Jahr hatten wir ein Team, das im Kollektiv über sich hinaus gewachsen ist, das an sich geglaubt hat, das wusste, wie bereichernd es ist, im Curt-Frenzel-Stadion nicht für einen Vertrag bei einem zwar reichen aber wenig beliebten Team zu kämpfen, sondern für die Ränge. Zählt man all die Momente während der bisherigen Saison zusammen, an denen es einem vor Begeisterung kalt über den Rücken lief, braucht man den ganzen Sommer über keine Klimaanlage mehr. Was für ein grandioses Überzahlspiel, was für ein robuster Sturm, was für eine torgefährliche und zugleich sichere Verteidigung! Und was für Typen! Wer als Eishockey-Fan in Augsburg nicht Lust hat, mit Männern wie Trevor Parkes, Mark Cundari, Ben Hanowski oder Justin Shugg auf ein Bier zu gehen, hat entweder eine Vorliebe für Tee oder denkt gerade über eine Rezension des Brecht-Festivals nach.

Als die Augsburger Panther 2010 Vizemeister wurden, fuhr gefühlt die halbe Stadt im Sonderzug nach Hannover zum entscheidenden Spiel. Das Match haben wir zwar verloren und die Hannover Skorpions spielen irgendwo in einer Regionalliga, aber die Erinnerungen sind so präsent wie jene an gerade vorhin. David, ein Freund aus Irland, schlief damals bei der Rückfahrt aus Niedersachsen im Sonderzug auf der Toilette ein und wachte erst wieder auf, als die Waggons am nächsten Morgen in Aschaffenburg neu sortiert wurden. Sieben Jahre lang musste er diese Geschichte erzählen, sieben Jahre träumte er davon, eine neue Story zu kreieren. Im Samba-Wagen spielten sie damals „Sweet Caroline” von Neil Diamond, ein Lied, das bis heute bei jeder Begegnung durch die heilige Halle am Senkelbach tönt. Sieben Jahre haben die Fans mitgesungen – für nichts. Für nichts? Nein, Quatsch, Eishockey wird, anders als Fußball, von seinen Anhängern weniger aufgeregt über kurzfristige Erfolge oder Misserfolge bewertet, sondern darüber, wieviel Spaß man als Zuschauer im Stadion hat. Und Spaß hatten wir auch in den mageren Jahren, denn Spaß wird auf dem Eis eben nicht nur über Tore und Siege definiert, sondern auch über Strafzeiten, seltsame Schiedsrichterentscheidungen, komische Videobeweise und, ja, mitunter auch eine gepflegte Keilerei. Eishockey ist nichts für die Verteidiger der Sportetikette und auch nichts für Anwärter auf den verbalen Friedensnobelpreis. Eishockey ist „Pure Emotion”, ein Slogan, der, wer immer sich diesen für die Augsburger Panther ausgedacht hat, genau das ausdrückt, was einen über sieben Jahre hinter die Blauen Kappe pilgern ließ, um dort so manches blaue Wunder zu erleben.

Doch vergessen die Schmach der vergangenen 2500 Tage, denn jetzt geht es los mit einem Auswärtsspiel in Nürnberg (Mittwoch, 19.30 Uhr, live bei Telekom Eishockey), was keine unlösbare Aufgabe ist, denn bei den Franken haben die Augsburger in dieser Saison schon zwei Mal gewonnen. Andererseits gelten, Phrasenalarm, bei den Playoffs eigene Gesetze. Aber so gut waren die Voraussetzungen schon lange nicht mehr, dass die Panther mindestens das Halbfinale erreichen können. Auch deshalb, weil fast alle Spieler bereits für die nächste Saison in Augsburg unterschrieben haben, was nichts anderes bedeutet als: wir fühlen uns hier wohl, wir wollen hier etwas erreichen, wir wissen, was wir aneinander haben. Genau dieses Gemeinschaftsgefühl, dieser unbändige Teamgeist, hat die Panther dorthin manövriert, wo sie nun stehen, nämlich an der Bande, hinter der Geschichte geschrieben wird. Der AEV ist zwar der älteste Eishockeyverein Deutschlands, war aber noch nie Deutscher Meister. Die Fans feiern diese Tatsache gemeinhin als Alleinstellungsmerkmal, zelebrieren daraus Woche für Woche ein Fest gegen die Geldvereine, die, wie etwa München, mit viel Kapital und wenig Fanrückhalt ein eher bedauernswertes Dasein in der Welt des Eishockeys fristen. Aber soll ich Ihnen was sagen? Vielleicht zeigen wir es allen. Jetzt. In den nächsten Wochen. Von Drittel zu Drittel. Wenn die Schneeglöckchen blühen. Die Augsburger Panther sind schon heute die Meister der Herzen. Höchste Zeit, die Meister aller zu werden.

1. Playoff-Runde: 1., 3. und 5. März

Viertelfinale: 7./8., 10., 12., 14./15., 17., 19. und 21./22. März

Halbfinale: 24., 26., 28./29., 31. März, 2., 4./5. und 7. April

Finale: 9., 11., 13., 15., 17., 19. und 21. April