Eine gottgleiche Figur auf dem Feld der Träume
Auf europäischer Ebene gehört der FC Bayern mit sechs Europapokalsiegen, davon vier in der Champions League beziehungsweise dem Europapokal der Landesmeister, zu den fünf erfolgreichsten Vereinen. Borussia Dortmund ist gemessen an dem Glanz der Mannschaften, die in Europa in derselben Liga wie die Bayern spielen, ein Provinzverein. Die Borussen aus dem Ruhrgebiet rangieren in der Erfolgstabelle Europas auf Platz 20 hinter dem AC Parma und Nottingham Forest.
Von Siegfried Zagler
Das hat mit Geschichte zu tun. Doch darum soll es hier nicht gehen. Borussia Dortmund hat sich mit einem Skandalsieg in Dortmund gegen Malaga ins Halbfinale geduselt und hat gegen Real Madrid selbst nach einem überzeugenden 4:1 Heimsieg am Ende in Madrid noch gewackelt. Bayern München ist auf seinem Weg nach Wembley durch Europa gerauscht und hat im Halbfinale mit dem FC Barcelona eine Institution mit Grandezza demontiert, die bis dahin den Ruf hatte, den weltbesten Fußball aller Zeiten zu spielen. Im Viertelfinale zerdepperte der FC Bayern eine alte ehrwürdige Dame namens Juventus Turin mit einer Leichtigkeit, die keinen geringeren als den italienischen Trainerguru der Achtziger, Arrigo Sacchi, zu einer Liebeserklärung veranlasste: Eine Hymne auf die Schnelligkeit, die die Gazzetta dello Sport veröffentlichte. „Die Deutschen haben einen totalen Fußball wie vor dreißig Jahren gespielt“, so Sacchi, der die Münchner somit mit der legendären Mannschaft des AC Milan verglich, deren Trainer er war. Sacchi propagierte damals den „totalen Fußball“ und scheiterte an seinen eigenen Anspüchen, als er diese als italienischer Nationaltrainer der Squadra Azzura verordnete.
Beckenbauer war die Muse von Sacchi
Die Annahme, dass sich die Bayern in dieser Saison unter ihrem Trainer Jupp Heynckes zur „besten Mannschaft der Welt“ entwickelt hätten (Focus), ist nicht so weit hergeholt, auch wenn man hinzufügen sollte, dass Machtverhältnisse im modernen Fußball nicht in Stein gemeißelt werden, sondern nicht viel mehr als „Blitztabellen einer Evolutionsgeschichte“ (Süddeutsche Zeitung) darstellen. Arrigo Sacchi gehört zu den wenigen Trainern, die mit ihren Analysen die Entstehungsgeschichte des Fußballs, wie wir ihn kennen, zu erklären versuchen. Rinus Michels mit dem Ajax Amsterdam eines Johann Cruyff, er selbst mit dem AC Milan eines Franco Baresi und Pep Guardiola mit dem FC Barcelona eines Messi hätten den „totalen Fußball“ zur Meisterschaft geführt, die nun die Rothosen aus München in eine neue Dimension zu heben in der Lage seien. Will man von Sacchi wissen, welcher Spieler in dieser Evolutionsgeschichte die wichtigste Rolle gespielt habe, dann nennt er ohne eine Sekunde zu zögern einen Fußballer, der in keiner der drei epochemachenden Mannschaften gespielt hat: Franz Beckenbauer. Er war Sacchis Muse und eine gottgleiche Figur auf dem Feld der Träume, die sowohl in der Verteidigung als auch im Angriff zu gestalten verstand: keine Ballannahme, kein Kopfball, keine Grätsche und kein Pass aus Verlegenheit oder Not: Beckenbauer war in beinahe jeder Situation der Schöpfer einer perfekten Lösung. Die Bayern gewannen unter ihrem „Spielertrainer“ Beckenbauer Mitte der Siebziger (74, 75, 76) drei Mal den Europacup der Landesmeister in Folge.
Karten gab es problemlos bei „Lotto Toto Resch“
Wer als Augsburger in den Siebzigern die damaligen Fußball-Götter Europas im Stadion sehen wollte, konnte noch drei Tage vor dem Spiel Karten kaufen – in der Widderstraße in Lechhausen bei „Lotto Toto Resch“, und zwar für fast jedes Spiel, auch für Endspiele in der damaligen Champions League, wie zum Beispiel jenes in Paris, als die Bayern 1975 mit Glück, Geschick und Gerd Müller Leeds United bezwingen konnten. Der Preis und die Organisation der Tickets war wesentlich unproblematischer als die Frage, ob man sich eine Übernachtung und zwei Tage Urlaub leisten könne, oder gleich nach dem Spiel den Heimweg antreten soll. Heute ist der Erwerb der Tickets für ein Champions League Finale eine Art Geheimwissenschaft geworden – oder eben ein Angelegenheit für Geldsäcke. Auf dem legalisierten Schwarzmarkt wurden für das letztjährige Münchner Finale Tickets zwischen 10.000 und 14.000 Euro angeboten.
Das letztjährige Chelsea-Trauma hat die neuen Bayern geprägt
Mit dem heutigen Londoner Finalspiel gegen Dortmund stehen die Münchner nun zum 10. Mal in einem Endspiel in der Europäischen Königsklasse und die Bilanz der Münchner Endspielsiege sieht nach der Ära Beckenbauer katastrophal schlecht aus. Ohne Beckenbauer, Müller, Maier usw. gewannen die Bayern von sechs Finalspielen nur eines. Die schlimmste Niederlage, die je ein Endspielteilnehmer zu ertragen hatte, suchte die Bayern im letzten Jahr im eigenen Stadion in München heim, als man gegen einen hoffnungslos unterlegenen „Trainingspartner namens Chelsea London“ nicht in der Lage war, eine kaum zu beschreibende Überlegenheit in ausreichend Tore umzumünzen. Dieses Trauma hat den neuen FC Bayern geprägt, der sich nur dann in seiner neuen Dominanz und Klasse bestätigt sehen kann, wenn er heute Abend das Endspiel mit Pauken und Trompeten gewinnt.
Die komplette Sportredaktion der DAZ wird das Spiel bei Klaus Wengenmayr im „Brechts“ verfolgen. „Es gibt aber nur Wurstsalat“, so Wengenmayr bei der Platzreservierung, „aber diesen in zweifacher Ausfertigung, einen bayerischen und einen nach einem Dortmunder Rezept.“ Höchste Zeit, dass es los geht. Der Worte sind genug gewechselt.
Die zehn Endspielteilnamen der Bayern in der europäischen Königsklasse:
Meistercup 1974 in Brüssel: Atletico Madrid 1:1 n.V. Wiederholungsspiel 4:0
Meistercup 1975 in Paris: Leeds United 2:0
Meistercup 1976 in Glasgow: AS St. Etienne 1:0
Meistercup 1982 in Rotterdam: Aston Villa 0:1
Meistercup 1987 in Wien: FC Porto 1:2
Champions League 1999 in Barcelona: Manchester United 1:2
Champions League 2001 in Mailand: FC Valencia 1:1 n.V. 5:4 i.E.
Champions League 2010 in Madrid: Inter Mailand 0:2
Champions League 2012 in München: Chelsea London 1:1 n.V. 4:5 i.E.
Champions League 2013 in London: ?