„Eine Gesamtsanierung mit über 55 Millionen Euro sehe ich in weiter Ferne“
Stefan Kiefer zur Situation des Augsburger Stadttheaters
Dr. Stefan Kiefer, Fraktionsvorsitzender der Augsburger Rathaus-SPD und DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler verabredeten sich im Vorübergehen zu einem „kurzen Meinungsaustausch“ in Sachen Theater. Im Thalia Kaffeehaus entwickelte sich allerdings ein langes Gespräch, in dem Rechtsanwalt Kiefer ein kurzweiliges Plädoyer für eine andere Herangehensweise bezüglich der Theatersanierung hielt. „Die Ausrichtung des Theaters und der Adressatenkreis müssen sich verändern, wenn das Theater vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen einen breiten Konsens in der Stadtgesellschaft haben soll“, so Kiefer im DAZ-Interview.
DAZ: Herr Kiefer, im Stadtrat ist ein Grundsatzbeschluss verabschiedet worden, der ein klares Bekenntnis zur Theatersanierung beinhaltet. Die Eckdaten sind Ihnen bekannt: Sanierung Großes Haus: 27 Millionen Euro; Sanierung Freilichtbühne 7 Millionen Euro; Neubau für Magazingebäude, Werkstätten und Verwaltungstrakt 55 Millionen Euro. Zieht man die 45-prozentige Rekordbezuschussung des Freistaates ab, bedeutet das unter’m Strich, dass mit diesem Beschluss die Stadtgesellschaft über 15 Jahre hinweg mit zirka 3,5 Millionen Euro per anno für eine Grundsanierung des Theaters belastet werden soll. 2014 soll damit begonnen werden. Lassen wir mal die ketzerische Feststellung außen vor, dass sowohl der Kulturausschuss als auch der Stadtrat in der Mitte einer Legislaturperiode fehl in der Annahme gehen, dass sie für eine dergestalt unfassbar hohe Investition über einen solch langen Zeitraum hinweg ein Mandat haben und lassen wir mal außen vor, dass es zum aktuellen Zeitpunkt schwer vorstellbar ist, dass aufgrund der städtischen Haushaltsrealität die Regierung von Schwaben hier mitmacht, dann bleibt immer noch eine Frage, die mir als politischer Entscheider den Schlaf rauben würde: Wie kann man es rechtfertigen, einer solchen Entscheidung in Augsburg zuzustimmen?
Kiefer: Die Darstellung dieser Beschlussfassung war sicherlich ganz nett inszeniert, aber den Schlaf in der Nacht vor oder nach der Sitzung hat sie mir nicht geraubt. Wir sollten alle den sogenannten „Grundsatzbeschluss“ nicht so überhöhen, wie es manche Leute in dieser Stadt aus unterschiedlichen Gründen versuchen. Wichtig war doch nur, dass Herr Grab dem Ministerium endlich das geforderte Sanierungskonzept vorlegt, um die dringend notwendige Sanierung des Großen Hauses fortsetzen und die Bezuschussung des Freistaats abklären zu können. Dieses Konzept ist zwar noch alles andere als realistisch, aber die für die Gespräche mit dem Freistaat benötigte Absichtserklärung liegt nun vor, mehr nicht. Ob der Freistaat damit zufrieden ist, wird sich weisen.
DAZ: Was bitte soll an dem dem Konzept unrealistisch sein?
Kiefer: Da hapert es an mindestens 3 Punkten: Erstens, es existiert eben noch keine staatliche Finanzierungszusage im rechtlichen Sinne sondern lediglich die Erklärung eines Staatssekretärs und eines Ausschussvorsitzenden, sich für eine solche Bezuschussung einzusetzen. Eine Finanzierungszusage muss schriftlich vorliegen und im staatlichen Haushalt verankert sein. Davon sind wir noch weit entfernt, wobei ich nicht ausschließe, dass man irgend wann da hin kommt. Wie hoch dann letztendlich die Förderung aussieht – angeblich 45 % der förderfähigen Kosten, und das ist bekanntlich deutlich weniger als 45 % der anfallenden Kosten – steht noch in den Sternen.
DAZ: Zweitens?
„Man muss sich ernsthaft die Frage stellen, ob die Stadt die Komplettsanierung über 14 Jahre durchhält”
Kiefer: Müsste die Stadt, selbst wenn sie die Finanzierung des Freistaats wie erhofft bekäme, immer noch selbst über 55 Millionen Eigenmittel stemmen. Wenn man den Zweckoptimismus der Bürgermeisterriege mal bewusst bei Seite lässt, sich die Situation der städtischen Finanzen mit 80 Millionen Euro neuen Schulden und Kassenkrediten einerseits und die Aufgaben der Stadt andererseits zum Beispiel unserer Schulen oder der Alterung unserer Gesellschaft ansieht, dann muss jeder von uns ehrlicherweise und ernsthaft die Frage stellen, ob die Stadt mindestens 55 Millionen Euro für ein Komplettsanierungsprogramm des Theaters über 14 Jahre überhaupt durchhält. Jedenfalls sind vorerst auf unabsehbare Zeit die finanziellen Spielräume der Stadt schlicht anderweitig gebunden, in dieser Periode zum Beispiel vorrangig für den Tiefbau; ungeplante Zusatzausgaben wie die massiven ungedeckten Mehrkosten durch den Pfusch am Curt-Frenzel-Stadion wurden eben erst wieder nach oben aktualisiert.
DAZ: Und drittens?
Kiefer: Der im Sanierungskonzept enthaltene zeitliche Ablaufplan für die Theatersanierung wäre selbst bei vorhandenen Staats- und Stadtgeldern nicht umsetzbar, weil das Theater demnach über mehrere Jahre geschlossen werden müsste. Wir sehen ja zur Zeit, wie schwierig es für den Theaterbetrieb schon ist, ohne Komödie klar zu kommen, wie soll das erst bei einer langjährigen Schließung des Großen Hauses gehen?
DAZ: Nun ja, man saniert ja gerade ein ganzes Eisstadion während des laufenden Betriebs. Soweit ich das überblicken kann, beinhaltet das Konzept nicht zwangsläufig eine mehrjährige Schließung. Herr Kiefer, lassen Sie uns bei der Politik bleiben. Die Stadtregierung hat die Zusage, beziehungsweise nach Ihrer Lesart die “In-Aussicht-Stellung” einer 45-prozentigen Bezuschussung des Freistaates offensichtlich als politisches Mandat zur Theatersanierung verstanden und sieht eine Belastung in dieser Höhe für „darstellbar“, wie es im Grundsatzbeschluss heißt. Will die SPD diesen Weg nicht gehen? Sie haben diesem Grundsatzbeschluss doch zugestimmt!
Kiefer: Die SPD war nie in Abwehrhaltung zum Theater sondern nur realistisch und hält die Finanzlage und die anderen Aufgaben der Stadt eben mehr im Blick als die Stadtregierung. Viele haben wohl vergessen, dass es die SPD und die Grünen waren, die nach der Feststellung des massiven Sanierungsbedarfs im Großen Haus 2005 mit der Sanierung desselben begonnen und dort in schwierigerer Haushaltslage als jetzt 5 Millionen Euro städtische Gelder investiert haben. Es ist schon ein starkes Stück Realsatire, dass sich nun ausgerechnet die jetzige Stadtregierung, die diese Sanierung des Großen Hauses seit drei Jahren zum Stillstand gebracht und den Theaterbetrieb durch die unvorbereitete Schließung der Komödie in größte Bedrängnis gebracht hat, als Retter des Theaters darstellt. Aber lassen wir das.
DAZ: Einverstanden.
Kiefer: Wir sind uns nahezu im gesamten Stadtrat darüber einig, dass ein Stadttheater aus dem Kulturbetrieb einer Großstadt wie Augsburg nicht wegzudenken ist. Zudem ist das Große Haus ein herausragendes Denkmal dieser Stadt, sowohl architektonisch wie bühnentechnisch und lässt sich nicht wegdiskutieren. Da muss man jetzt weiter machen, aber eben mit den Schritten, die wir uns leisten können und so, wie es letztlich der Betriebsablauf zulässt und nicht so, wie es im vorgelegten Konzept geschrieben steht. Und als Anwalt der Mitarbeiter des Theaters besteht die SPD weiterhin darauf, dass die maroden Werkstätten nicht erst, wie von der Mehrheit im Stadtrat beschlossen, am Schluss des Programms stehen, sondern möglichst früh im Zusammenhang mit dem Großen Haus.
DAZ: Lassen Sie mich das für unsere Leser kurz zusammenfassen. Die SPD ist für die Komplettsanierung des Theaterkomplexes, aber nicht so schematisch wie das der Sanierungsplan des Kämmerers vorsieht, sondern man müsste aus Ihrer Sicht von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr planen und je nach Kassenlage einen bestimmten Betrag für die Sanierung bereitstellen. Ist das Ihre Position?
Kiefer: Vereinfacht gesagt: ja. Mehr konnte der Stadtrat am 29. September nicht beschließen – wie Sie eingangs selbst mit der Anspielung auf das laufende Mandat festgestellt haben – und nicht weniger hat der Stadtrat inklusive der SPD-Fraktion beschlossen. Das ist das Wesen eines Grundsatzbeschlusses.
DAZ: Warum ist eigentlich ein Stadttheater in der Form, wie wir es seit vielen Jahrzehnten kennen, nicht aus Augsburg wegzudenken? Was macht ein Stadttheater aus Ihrer Sicht so unersetzlich?
Kiefer: Gerade weil die städtischen Finanzen begrenzt sind und nur ein Teil der Bevölkerung die Institution Theater nutzt, sollten wir uns nicht nur mit den Steinen, sondern auch mit dem Inhalt, der Bedeutung eines Theaters für Augsburg befassen. Ich habe den Eindruck, dass diese Diskussion bis jetzt politisch verdrängt wurde, aber nun sogar fraktionsübergreifend schwelt.
DAZ: Das hört sich spannend an. Damit haben Sie mir das Stichwort für die Mutter aller Fragen zum Augsburger Stadttheater gegeben: Warum und wozu brauchen wir in Augsburg dieses Theater?
„Das Theater soll ein Spiegel für uns sein und letztlich ein künstlerischer Beitrag zu unserer Fortentwicklung“
Kiefer: Ich habe Theater immer so verstanden, dass es uns – mich individuell und die Besucherlandschaft kollektiv – zum Nachdenken anregen soll; zum Diskurs über uns, gesellschaftliche Entwicklungen oder menschliche Konflikte. Das Theater soll ein Spiegel für uns sein und letztlich ein künstlerischer Beitrag zu unserer Fortentwicklung. Ich nehme da als herausragendes Beispiel Rolf Hochhuts „Stellvertreter“, der im biederen Nachkriegsdeutschland quasi gleich mehrere Fliegen mit einem Stück schlug: Die damals noch fehlende Vergangenheitsbewältigung der Deutschen, die Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit ihrer Rolle im Dritten Reich und das Hochhalten des freien Willens eines jeden Individuums, wo wir Deutschen damals durchaus noch Nachholbedarf hatten. Ein Theaterstück muss an- und aufregen. Das ist Kunst, Anspruch und Persönlichkeitsentwicklung in Einem.
DAZ: Sie sehen also im Theater noch eine Institution der Aufklärung?
Kiefer: Als bloße Abendunterhaltung wäre mir persönlich Theater zu schade, auch wenn ich das Sprechverhalten und die Mimik von Schauspielern durchaus bewundere. Es kommt also auf den Inhalt, den Spielplan eines Theaters, aber sicher auch dessen künstlerische Umsetzung an. Daneben stelle ich mir als politische Maßgabe vor, dass ein Theater programmatisch auf die jeweilige Stadtgesellschaft eingeht. Denn die gesamte Stadtgesellschaft trägt letztlich ihr Theater, auch wenn nur wenige darüber entscheiden.
DAZ: Wollen Sie darauf hinaus, dass wir in Augsburg ein bestimmtes Theater einfordern sollten?
„Jede Stadt tickt anders“
Kiefer: Ja, warum denn auch nicht. In jeder Stadt stellen sich die Anforderungen anders, jede Stadt tickt auch anders. Für Augsburg können wir festhalten, dass wir eine Industrie- und Arbeiterstadt sind, eine Stadt mit vielfältig präsenter Geschichte, eine Stadt mit einem besonderen Verhältnis zu den Religionen, eine Stadt mit dem höchsten Migrationshintergrund in Bayern und einem der höchsten in Deutschland, eine Stadt mit einem vergleichsweise hohen Anteil an bildungsferneren Schichten.
DAZ: Daran würde ein städtischer Bildungsauftrag an das Theater vermutlich nicht viel ändern.
Kiefer: Darauf wollte ich nicht hinaus. Das ist die unverrückbare Grundsituation und daraus bildet sich das Publikum, dem das Theater Augsburg bildlich gesprochen den „künstlerischen Spiegel“ vorhalten muss. Denn das sind die Zahler und die Auftraggeber. Für mich ist da nicht vorrangig, ob eine Theaterzeitung in Frankfurt oder Berlin auf Augsburgs Theater aufmerksam wird, sondern dass möglichst viele Menschen aus der Augsburger Stadtgesellschaft das Geschehen auf der Bühne und darum herum intensiv verfolgen. – Darüber hinaus sind wir das Publikum des 21. Jahrhunderts, das nicht mehr so sehr wie bei Hochhut mit der Vergangenheitsbewältigung der 40-er Jahre beschäftigt ist, sondern mit unserer Gegenwart und Zukunft. Die beinhaltet zum Beispiel Existenzängste bei vielen Menschen aufgrund der Finanzkrisen, die zunehmende Globalisierung, Wanderungsbewegungen in der Welt, das Konsumverhalten in unserer westlichen Gesellschaft und unseren fragwürdigen Umgang mit Umwelt und Ressourcen. Hierüber könnte uns heutzutage der „künstlerische Spiegel“ besonders zum Nachdenken und zur Fortentwicklung helfen.
DAZ: Das ist nun sehr konkret. Rühren Sie mit dieser Ansage nicht an der künstlerischen Freiheit der Intendanz? Käme man denn nicht in ein gefährliches Fahrwasser, wenn sich die Stadt beziehungsweise der Stadtrat sein Theater malen würde?
„Das sind für mich ehrgeizige Experimente für ein „Theater für Augsburg“
Kiefer: Wenn wir offen über Sinn und Zukunft des Theaters sprechen wollen, müssen wir auch über künstlerische Inhalte sprechen dürfen. Nicht umsonst stehen die Kunst und die Meinungsfreiheit im selben Grundgesetz-Artikel. Und ich bin mir sicher, dass das Theater Augsburg ähnliche Überlegungen anstellt, wie ich bei meinen Wunschformulierungen an das Theater. Zumindest macht das den Anschein, wenn ich an die äusserst gelungene Aufführung der „Weber von Augsburg“ in einer Fabrikkulisse denke, zu einem Ur-Augsburger Thema. Ich will mir unbedingt auch „Die Ermittlung“ zu den Nachkriegsprozessen in Augsburg, gespielt im großen Sitzungssaal des Augsburger Landgerichts, ansehen. Das sind für mich ehrgeizige Experimente für ein „Theater für Augsburg“.
DAZ: Aber ist Ihnen das insgesamt gesehen nicht viel zu wenig, wenn ich mir zu Beispiel den Spielplan der aktuellen Saison ansehe, dann …
Kiefer: … sehen Sie, dass zum Beispiel Brecht fehlt, was in Augsburg eigentlich nicht sein darf. Tiefer will ich mich in die Kunstsphäre an dieser Stelle aber auch nicht hineinwagen. Insgesamt ist das Stadttheater in den Köpfen vieler Zuschauer und auch Stadträte noch primär eine Einrichtung der Kulturpflege, bei der bekannte Stücke, die man kennen und hören sollte, der guten Kulturordnung halber angeboten werden. Das Theater wird sich aber mit Blick auf das Publikum und den Spielplan über diese unausgesprochene Aufgabenstellung hinaus weiter entwickeln müssen.
DAZ: Wen meinen Sie genau, wenn Sie an das Publikum denken? Die Sanierung soll bis 2028 gehen. Für wen soll das Stadttheater erhalten werden. Für wen soll gespielt werden?
„Das Publikum verändert sich unaufhaltbar“
Kiefer: Das Publikum verändert sich unaufhaltbar, die klassisch „bürgerlichen“ Theaterbesucher werden weniger, im Stadtgebiet sogar noch deutlicher als in der Region. Das Theater unternimmt zwar große und erfolgreiche Anstrengungen, die Kinder der jetzigen Besucher ebenso fürs Theater zu gewinnen. Auch ich war schon öfter mit meinen Kindern im Theater, die davon sehr angetan waren. Es wird aber darüber hinaus die ständige Aufgabe des Theaters, ja der Augsburger Kulturpolitik sein, Theaterkultur für ein wesentlich breiteres Augsburger Publikum zu ermöglichen. Und dazu gehören zum Beispiel auch die Aussiedler und deren Nachkommen, wie auch die Nachkommen unserer „Gastarbeiter“.
DAZ: Das sagt sich so leicht.
Kiefer: Ich denke da zunächst daran, für wen das Theater offen ist. Wenn wir schon viel Geld in die Sanierung dieses herausragenden Kulturtempels stecken müssen, dann müssen auch möglichst alle Bürgerinnen und Bürger stolz darauf sein. Um neue Zielgruppen anzusprechen, kann es deshalb schon unabhängig vom eigenen Spielplan des Theaters eine Hilfe sein, alleine unsere Theaterbühnen für ein Gastspiel zu öffnen, das andere Gruppen erreicht als unser Theater. Ich erinnere mich dabei an das Stück „Der weite Weg zurück“, bei dem ein russlanddeutsches Schauspielerehepaar die Geschichte der Deutschen in Russland von 1700 bis einschließlich der Rückkehr nach Deutschland spielte. Die zahlreichen Gäste waren, bis auf die wenigen interessierten Politikern wie mir, ausschließlich ältere Aussiedler, die von der rührenden Aufführung ihrer noch selbst erlebten Geschichte zutiefst betroffen waren. Das Stück wurde im Moritzsaal aufgeführt, wo es vom Platz her zwar funktionierte, aber für die Stadtgesellschaft leider nicht wahrnehmbar war. Noch stärker wäre für mich die Wirkung bei den Aussiedlern wie bei den anderen Augsburgern gewesen, wenn dieses Stück im Stadttheater oder in der Komödie angeboten worden wäre, eben als Gaststück, und auch entsprechend auf dem Spielplan mitbeworben worden wäre.
DAZ: Ich muss jetzt mal ein wenig die Fahrt raus nehmen, falls Sie es jetzt noch wagen sollten, etwas Kritisches über den aktuellen Spielplan zu sagen, dann steigt uns die Intendanz noch aufs Dach.
Kiefer: Ich traue mich ja eh kaum, als Jurist in diesem künstlerischen Bereich Vorschläge zu machen.
DAZ: Das traut sich niemand.
„Der Spielplan muss auch der notwendigen Fortentwicklung des Publikums Rechnung tragen“
Kiefer (lacht): Ich meine, dass auch der Spielplan der notwendigen Fortentwicklung des Publikums Rechnung tragen muss. Andere Theater tun dies: In den Münchner Kammerspielen zum Beispiel wurde erst kürzlich mit „Gleis 11“ ein Stück anlässlich des 50. Jahrestags des Anwerbeabkommens mit der Türkei für sogenannte Gastarbeiter aufgeführt. So etwas – und viel mehr – könnte ich mir auch für Augsburg sehr gut vorstellen. Und ich habe ja eingangs Themen wie Globalisierung, Abstiegsängste oder Konsumverhalten genannt, die, wenn ich mir das Theater malen könnte, wie sie eingangs sagten, ebenso auf der Bühne behandelt werden sollten.
DAZ: Ob das mit dem Musiktheater und dem Tanztheater möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Lassen Sie uns nochmal übers Geld reden. Neben der Belastung durch die Sanierung beansprucht das Stadttheater stetig steigend den Stadtsäckel. Jahr für Jahr, zuletzt mit 13 Millionen Euro für den laufenden Betrieb. Das sind mehr als 50 Prozent des gesamten Kulturetats. Kulturreferent Peter Grab sagt, dass das gemessen am Anforderungsprofil immer noch zu wenig sei. Er geht von 26 Millionen Euro aus, die das Augsburger Drei-Sparten-Haus bräuchte. Halten Sie den aktuellen Gesamtetat des Theaters für angemessen?
Kiefer: Das kann ich nicht beantworten. Meine Überlegungen stellen aber nicht auf mehr Personal oder mehr Gebäude ab, sondern auf eine andere Aufgabendefinition.
DAZ: Okay, dann versuch ichs andersrum: Fakt ist, um mal wie Peter Grab zu sprechen, dass das Theater mit dem vorhandenen Geld jetzt schon nicht mehr zurechtkommt. Und daran wird sich wohl kaum mehr etwas ändern. Kann sich die Stadt ein Stadttheater in dieser Kostendimension allein für den laufenden Betrieb in der Zukunft überhaupt noch leisten?
„Die Theaterlobby ist zwar stark – aber es gibt auch andere Stimmen“
Kiefer: Die Frage ist sehr berechtigt, auch wenn manche sie partout nicht hören wollen. Wer ehrlich die Augen aufmacht, weiß, dass der jetzige jährliche Kostenblock auf Dauer nur zu halten ist, wenn der Freistaat sich deutlich stärker als bisher beim laufenden Betrieb beteiligt. Da steht Augsburg weiterhin vergleichsweise schlecht da – trotz des Jubels über die gute In-Aussicht-Stellung der Förderung der Theatersanierung. Wer über diesen finanziellen Umstand hinweg sieht, drückt sich vor der Realität – und vor dem Bürger. Denn die Theaterlobby ist zwar stark – aber es gibt auch andere Stimmen in der Stadtgesellschaft, auch in der Kultur. Mehrfach wurde ich zum Beispiel von Eltern angesprochen, die bei der Diskussion um den Theater-Container sagten, das dort eingesetzte Geld müsse in Schulen investiert werden. Kürzlich hatten wir unser SPD-Sportgespräch, bei dem der Bedarf an Sportflächen, Turnhallen und einer Sanierung der Schwimmbäder deutlich zur Sprache kam. Gleich darauf sprach ich mit einem Einzelhändler, der den Etat für die Bewerbung der Innenstadt im Rahmen der CIA als völlig unterdimensioniert ansah. Sie sehen allein an diesen Beispielen: Gute Ausgabemöglichkeiten gibt es viele in Augsburg.
DAZ: Bei uns haben Sie genügend Raum und Platz sich zu blamieren, aber auch um zu glänzen, deshalb zum Schluss eine nicht einfach verwertbare Steilvorlage: Was soll die Stadt denn nun in dieser vertrackten Situation tun? Nicht sanieren und darauf warten, dass man das Theater aus Sicherheitsgründen schließen muss?
„Man muss sanieren“
Kiefer: Nein, sicher nicht. Man muss endlich wieder weiter sanieren – da weiter machen, wo die letzte Stadtregierung unter OB Paul Wengert und Kulturbürgermeisterin Eva Leipprand angefangen hat! Das Große Haus darf uns nicht weiter zerbröseln. Und auch die Mitarbeiter des Theaters haben ein Recht darauf, dass man ihre Arbeitsbedingungen endlich verbessert.
DAZ: Auch angesichts der Gefahr, dass sich die gesellschaftliche Bedeutung der Theaterkunst weiterhin verflacht?
Kiefer: Parallel müssen wir, nicht nur aber auch wegen den schwierigen finanziellen Abwägungen bei jedem Einzelschritt der anstehenden Sanierungen, endlich in der Politik und Stadtgesellschaft die Frage diskutieren, was wir mit unserem Theater erreichen wollen, das uns so viel Kraft kostet. Welche Rolle hat es für uns heute und, vorsichtig gesprochen, voraussichtlich die nächsten 30 Jahre – als Kulturpflegeeinrichtung, als Bildungseinrichtung für unseren Nachwuchs, als Katalysator für Integration und als „künstlerischer Spiegel“ für die Bürgerschaft, als Standortfaktor für Augsburg und die Region. Und wie sieht die Rolle des Theaters im Reigen der weiteren städtischen Kulturförderung aus – inhaltlich und finanziell. Darüber muss endlich diskutiert und ein Konsens gefunden werden. Diese Frage wurde noch nicht beantwortet, jedenfalls vom jetzigen Kulturreferenten habe ich hierzu noch nie etwas gehört oder gelesen.
DAZ: Immerhin könnte ja am Ende eines ergebnisoffenen Diskurses das Ende des Stadttheaters wie wir es bisher kannten, stehen. Wäre das für Sie als Theaterfreund nicht ein katastrophaler Konsens?
Kiefer: Vor einem ergebnisoffenen Diskurs muss man sich nicht fürchten. Das Theater hat in Augsburg eine Zukunft, weil Theater eine wichtige Rolle in einer Großstadt spielen kann und sollte. Insofern halte ich auch als Sozialdemokrat das Theater für unverzichtbar! Nur müssen sich die Ausrichtung des Theaters und der Adressatenkreis verändern, wenn das Theater vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen einen breiten Konsens in der Stadtgesellschaft haben soll. Eine Gesamtsanierung mit über 55 Millionen Euro Eigenanteil sehe ich jedoch noch in weiter Ferne, da kann auch der Wink des Freistaats nicht darüber hinweghelfen. Vorher fließt sicher noch viel Wasser den Lech hinunter. Deswegen wäre es doch gerade jetzt eine gute Zeit, über die Ausrichtung und Anforderungen an das Theater des 21. Jahrhunderts in Augsburg nachzudenken und in den Diskurs hierüber einzutreten. Die SPD wäre dazu bereit. Und die Bürgerschaft, Theaterfreunde und Theaterskeptiker sollten sie gleichermaßen erwarten.
DAZ: Ein schönes Schlusswort. Herr Kiefer, vielen Dank für das Gespräch.
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Fragen: Siegfried Zagler