„Ein zunehmender Missstand ist die Ausgrenzung von Arbeitslosen“
Interview mit Benjamin Clamroth, Stadtrat der Gruppierung „Die Linke“
Im Augsburger Stadtparlament gibt es, seit am 22. Oktober 2009 der Stadtrat der Linken Benjamin Clamroth für Dietmar Michalke nachrückte, einen – juristisch wie gesellschaftlich betrachtet – interessanten Fall. Clamroth war vor seiner Vereidigung als Stadtrat Arbeitslosengeldempfänger und ist es geblieben, obwohl Clamroth für seine Arbeit als Stadtrat knapp 1.300 Euro Aufwandsentschädigung bezieht. Die juristische Sachlage sei eindeutig, da kein Zweifel daran bestehe, dass Stadträte Aufwandsentschädigungen für tatsächlich geleistete Aufwendungen bekommen, so Sozialreferent Max Weinkamm im Dezember 2009 zur DAZ.
Vergangene Woche vertrat das Verwaltungsgericht in Würzburg eine ganz andere Rechtsauffassung, woraufhin eine Augsburger Boulevardzeitung Clamroth attackierte. Im DAZ-Interview keilt Clamroth zurück. Der Artikel reihe sich nahtlos in die derzeit losgetretene demagogische Hetzkampagne gegen Arbeitslose ein, so Clamroth, der auch dazu Stellung bezieht, was man als Kommune gegen die gesellschaftliche Ausgrenzung von Arbeitslosengeldempfängern unternehmen könnte.
DAZ: Herr Clamroth, in der letzten Ausgabe der Sonntagspresse standen Sie schwer in der Kritik, weil Sie neben der Aufwandsentschädigung als Stadtrat Zuwendungen der ARGE beziehen. Eigentlich müsste ja die Rechtsauffassung der Augsburger ARGE in der Kritik stehen, die von der des Würzburger Verwaltungsgerichts abweicht.
Clamroth: Die Art und Weise des Artikels ist schlicht und ergreifend eine Frechheit. Zum einen fügt er sich nahtlos in die derzeit losgetretene demagogische Hetzkampagne gegen Arbeitslose; zum anderen ist er an einigen Stellen sachlich falsch. Ich bekomme z.B. nicht die Kostenpauschale für fraktionslose Stadträte von 366 Euro. Was die rechtliche Lage anbelangt:
Die Auffassung der ARGE Augsburg ist durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg nicht widerlegt. Es liegt noch nicht einmal die schriftliche Urteilsbegründung vor. Und die Klägerin geht in Berufung, was bedeutet, dass das Urteil noch keinerlei Rechtskraft hat. Der Richter hat als Hauptgrund angeführt, dass die Anweisungen der Bundesagentur für Arbeit rechtlich nicht von Belang seien. Was aber in der Konsequenz bedeuten würde, dass auch alle anderen Anweisungen nicht bindend sind. Dies würde eine katastrophale Rechtsunsicherheit schaffen, die zu chaotischen Verhältnissen bei den Arbeitsagenturen führt. Alle Arbeitslosen könnten sich ja dann bei sämtlichen Anweisungen und Androhungen der ARGE darauf berufen, dass die Anweisungen der BA rechtlich gegenstandslos sind.
DAZ: Ist es aber nicht aus der Sicht eines „normalen“ Hartz-IV-Empfängers skandalös, dass er jeden Euro für ehrenamtliche Arbeit von der ARGE gegengerechnet bekommt, während Sie …
Clamroth: Das ist zunächst nicht ganz exakt, weil es – z.B. für die Tätigkeit von Jugendtrainern – gewisse Freibeträge gibt. Selbstverständlich ist aber natürlich der Punkt, dass auch im Fall von Lohnarbeit, etwa bei 400-Euro-Jobs, der Großteil verrechnet wird. Die Propaganda der Hartz-Gesetze war ja immer, dass Menschen so in den ersten Arbeitsmarkt geführt werden. In Wirklichkeit wird ihnen so jede materielle Arbeitsmotivation verleidet. Aber das Grundproblem ist doch hier ein ganz anderes: Menschen, die arbeitslos sind, werden in allen Belangen diskriminiert und ausgegrenzt. In diesem Fall sogar bei einer politischen ehrenamtlichen Tätigkeit als Stadtrat. Das ist schließlich ein politisches Mandat das ich hier ausübe, welches ich durch den Willen der Bevölkerung dieser Stadt bekommen habe.
Niemand käme auf die Idee, den anderen Stadträten, die ihr Einkommen aus anderen Quellen beziehen, dieses mit ihrer Aufwandsentschädigung zu verrechnen. Aber bei einem Arbeitslosen mit seinem „üppigen Einkommen“ soll das so sein. Das ist der Skandal! Ganz nebenbei soll damit die poltische Arbeit der LINKEN beeinträchtigt werden. Andere Parteien haben nämlich fast keine Arbeitslosen auf ihren Listen, geschweige denn als Mandatsträger.
DAZ: Nun sind Sie mit dem Anspruch in den Stadtrat nachgerückt, die Interessen der Hartz-IV-Empfänger dort zu vertreten. Wie soll das aussehen? Kann man als Kommunalpolitiker in dieser Hinsicht überhaupt etwas machen?
Clamroth: Wir haben zunächst gefordert, im Haushalt mehr Stellen für die Leistungsabteilung der ARGE zu schaffen. Die Bearbeitungszeiten sind dort sehr lange, so dass viele Arbeitslose nicht rechtzeitig ihre Mieten zahlen können.
Vor allem verlangen wir aber wie in anderen Städten eine Sozialcard für ALG-II-Empfänger und andere sozial Schwache. Außerdem beurteilen wir Angelegenheiten, die im Stadtrat behandelt werden, immer auch aus der Perspektive von Hartz-IV-Empfängern. Bei anderen Parteien im Stadtrat kommt diese Perspektive überhaupt nicht vor. Beispiele: Die Leihgebühren in der neuen Stadtbücherei, Gebühren bei Ämtern, Eintrittspreise bei Veranstaltungen der Stadt, Kontogebühren bei der Stadtsparkasse etc.
DAZ: Die Sonntagspresse hat Ihnen unterstellt, als Hinterbänkler nichts für ihr Geld zu tun. Umgekehrt wird vielleicht ein Schuh draus. Würde Herr Bublies als Journalist auch mal in den Ausschüssen sitzen, wüsste er, dass Sie in vielen Ausschüssen mit am Tisch sitzen, ohne Rederecht, ohne Stimmrecht. Warum machen Sie das?
Clamroth: Das erleichtert es deutlich, sich die nötige Fachkompetenz auf übrigens sehr verschiedenen Gebieten wie Soziales, Kultur und Stadtentwicklung anzueignen, die Konfliktlinien zu verfolgen und sich zu verschiedenen Themen eine ausgewogene Meinung zu bilden. Die Beschlussvorlagen der Verwaltung reichen dazu nicht aus, wir müssen uns viele Informationen selbst besorgen. Im übrigen umfasst Stadtratsarbeit auch noch vieles andere. Die oft sehr umfänglichen Beschlussvorlagen zu lesen, sich mittels Fachliteratur über rechtliche, ökologische, stadtplanerische Zusammenhänge informieren, mit Experten über bestimmte Problematiken diskutieren, den Kontakt zu großen Teilen der Zivilgesellschaft zu halten, etwa attac, Gewerkschaften, Friedensbewegungen, Bürgerinitiativen etc. Auch mit der Verwaltung baue ich Kontakte auf. Wer die Arbeit eines Stadtrates nur auf Plenarsitzungen oder „offiziöse“ Termine und Empfänge wie „Opernball“ oder Einladungen von Wirtschaftsverbänden einschränkt – die gäbe es sonder Zahl – der hat nur eine sehr oberflächliches Verständnis von den Aufgaben eines Stadtrates.
DAZ: Die Linken sind aktuell wohl die Partei, die sich am nachhaltigsten der sozialen Frage widmet. Nennen Sie uns einige Punkte, wo ihrer Ansicht nach hier die größten Missstände zu verzeichnen sind.
Clamroth: Aktuell mit am bedrückendsten empfinde ich die Zustände in den Flüchtlingslagern. Dass Leute, weil die ARGE zu wenig Personal hat, Gutscheine bekommen und bei Discountern dann als „Asoziale“ geoutet werden, entspricht auch nicht wirklich der Menschenwürde. Was nicht pauschal als Missstand, aber als ein zunehmendes Problem zu bewerten ist, ist die Altenpflege aufgrund der schwierigen finanziellen Lage der Stadt. Ein zunehmender Missstand ist natürlich die Ausgrenzung von Arbeitslosen und einkommensschwachen Menschen vom sozialen, kulturellen und politischen Leben. Dies betrifft in Augsburg immerhin schon über 28.000 Personen.
DAZ: Herr Clamroth, vielen Dank für das Interview.
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Das „Gespräch“ fand zeitnah per Mailaustausch statt. Fragen: Siegfried Zagler.