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Dienstag, 08.04.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Ein Thema, das mit der Würde des Menschen zu tun hat

Dass ein Sozialausschuss nicht in der Lage ist, die in den Haushalt gestellten Mittel für ein Sozialticket abzuholen, ist eine Schande für die Stadt Augsburg.

Von Siegfried Zagler



Bei der Debatte um die Einführung eines Sozialtickets wird nicht nur die Unwahrheit bezüglich der Kosten geäußert, sondern eine weltanschauliche Auffassung verschwiegen, deren Verschweigen, um es mit Brecht zu sagen, ein Verbrechen ist. Es handelt sich dabei um eine seit Jahren ungesteuerte Debatte, die nicht nur für die Betroffenen auf einem unwürdigen Niveau geführt wird. Es ist nämlich nicht mit den „zu hohen Kosten“, die es gar nicht gibt, oder mit einem aberwitzigen  Antidiskriminierungsgesetz der EU zu begründen, weshalb der Sozialausschuss auf seiner zurückliegenden Sitzung ein Sozialticket abgelehnt hat, sondern damit, dass der Sozialreferent der Stadt Augsburg und mit ihm möglicherweise die Mehrheit des Stadtrates auf ein würdevolles Leben der sozial schwachen Bürger dieser Stadt pfeifen. „Wir wollen nicht nur die Armut verwalten, wir wollen die Stadtentwicklung voranbringen“, so Augsburgs Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) zu Alexander Süßmair (Linke), als dieser sich vor vielen Monaten im Stadtrat darüber aufregte, dass viele Millionen städtische Gelder in den Königsplatzumbau flossen, während für ein Sozialticket das Geld fehle.

In Sachen Sozialticket, das später auf alle städtischen Angebote ausgeweitet werden müsste (Sozialcard), geht es um eine politische Grundsatzfrage, also um ein weltanschauliches Dafür oder Dagegen. Und die Beobachtung, dass sich „das Dagegen“ samt der dazugehörigen fehlerhaften Kosten-Nutzen-Analyse bis hinunter in die Amtsstuben des Sozialamtes verlaufen hat, ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant. Die weltanschauliche Haltung der Sozialticket-Gegner ist einfach darzustellen, sie nennt sich in der Sprache der Politik „neoliberal“.

Die negative Gentrifizierung und das Schwinden der Kaufkraft

Die Idee einer Stadt, in der sich alle Milieus entfalten können, birgt für ein gewisses Denkmuster die Gefahr des Niedergangs: Fördert man in Augsburg weiterhin den sozialen Wohnungsbau und kümmert man sich in Augsburg ernsthaft um eine umfängliche Teilhabe der sozial schwachen Bürger am gesellschaftlichen Leben, dann müsste man mit negativen Stadtentwicklungsprozessen rechnen, also nicht nur damit rechnen, dass man „Armut verwaltet“, sondern auch damit, dass man als Stadt einen Zuzug sozial schwacher Milieus fördert, was mittelfristig dazu führen würde, dass die Kaufkraft der Stadtbevölkerung abnimmt, was am Ende einer Negativ-Spirale zu geringeren Gewerbesteuer-Einnahmen führt, zu Leerständen in den Fußgängerzonen und am Ende zu einer „negativen Gentrifizierung“, und somit zu einem nicht mehr kontrollierbaren Niedergang führen würde. Wer in dieser Denkungsart verhaftet ist, soll es genau so sagen und nicht irrwitzige Kostenprognosen in den Raum stellen oder sich im vorauseilenden Gehorsam hinter einem realitätsfernen EU-Gleichstellungsparagraphen verschanzen.

Wenn in einer Stadt nur ein Milieu lebt, spricht man von Siedlung

„Was geht es eine EU-Kommission an, wie die Stadt Augsburg mit ihrem Wasser verfährt?“, so Horst Seehofer auf dem Neujahrsempfang der CSU. Der Saal applaudierte frenetisch. Ebenso wenig hat es die EU zu kratzen, wie eine Kommune ihre Tarife im öffentlichen Nahverkehr gestaltet. „In Stuttgart haben wir vordergründig kein Mieterproblem, weil unsere Mieten so hoch sind, dass sie sich nur Besserverdienende leisten können“, so Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn kürzlich beim Neujahrsempfang der Grünen. Kuhn ironisierte diesen Sachverhalt und sieht in Stuttgart genau in diesem Punkt schwerwiegende Nachteile in Sachen Stadtentwicklung. Eine Stadt hört dann auf eine Stadt zu sein, wenn dort nur noch ein Milieu lebt und sich die Menschen zu ähnlich sind. In diesem Fall spricht man von Siedlungen. Wer das will, soll es so sagen und sich nicht mit diffusen Argumenten gegen sozialen Wohnungsbau oder ein Sozialticket aussprechen. – An dieser Stelle soll festgehalten werden, dass ein gewisser Manfred Seiler im Jahre 1989 in einem Aufsatz in der ZEIT („Die gute Stube und ihr Abort“) darauf hinwies, dass die in den Achtzigern auf ein gehobenes Milieu ausgerichtete Wohnungsbaupolitik in der Innenstadt zu einem sozialen wie politischen Niedergang eines ganzen Augsburger Stadtteils geführt hat (Oberhausen-Nord).

Lohnabstandsgebot, Neiddebatte und mobiler Bürgerstolz

Bestimmte Berufsgruppen wie Friseure, Kassierer, Verkäufer, Lieferanten oder Krankenpfleger, die bisher nicht im Tarifsystem des Augsburger ÖPNV berücksichtigt werden, würden mit der Einführung eines Sozialtickets aufgrund ihres niedrigen Einkommens zu den gesellschaftlichen Verlierern zählen, würde man „Sozialhilfeempfänger“ in Sachen öffentliche Mobilität dergestalt privilegieren. Mit dieser Argumentation käme das von den Gewerkschaften erfundene „Lohnabstandsgebot“ durch die Hintertür über das Sozialticket zurück in eine Neiddebatte. Auch eine normal verdienende Familie aus einem „fernen Stadtteil“ verdreht die Augen, wenn sie darüber nachdenkt, wie viel Geld sie dafür ausgibt, damit ihre drei Kinder mit der Straßenbahn ins Zentrum zur Schule fahren können. Der öffentliche Nahverkehr ist längst kein billiger Jakob mehr. Wer sich die schöne große Straßenbahn nicht leisten kann, muss seine Mobilität eben anders organisieren. Der ÖPNV der Stadt Augsburg hat sich von der  billigen Bimmel-Bahn hin zum protzigen Bürgerstolz entwickelt.

Macht ein Sozialreferat mit Weinkamm noch Sinn?

Porsche-Fahrer Volker Schafitel fuhr kürzlich mit einem Einzelfahrschein via Straßenbahn vom Zentrum zum Klinikum und wieder zurück und zeigte sich über die hohen Fahrpreise verwundert. Würde man also ein Sozialticket einführen, müsste man damit rechnen, dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln der Stadt wieder auf laut daher redendes Milieu trifft. Wer das nicht will, sollte genau so argumentieren, wenn er sich als „Sozialpolitiker“ im Sozialausschuss gegen ein Sozialticket ausspricht. Es sei die Aufgabe des Bundes, so Sozialreferent Weinkamm, durch Erhöhung des Regelsatzes dafür zu sorgen, dass es für eine Monatkarte reicht, wenn man auf „staatliche Stütze“ angewiesen ist. Max Weinkamm ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert der erste Augsburger Sozialreferent, der es mit seiner Amtsführung geschafft hat, dass man offen darüber nachdenken darf, ob ein städtisches Sozialreferat überhaupt Sinn macht. Mit Weinkamms Lesart der kommunalen Selbstverwaltung könnte man selbstverständlich auch darüber nachdenken, ob man zum Beispiel ein Stadttheater noch bezuschussen soll – oder städtische Schwimmbäder unterhalten, oder den Vereinen den Zuschusshahn gänzlich abdrehen soll. Sollen doch deren Mitglieder genug Beitrag zahlen! Und noch einen Schritt weiter gedacht, könnte man grundsätzlich darüber nachdenken, ob man nicht die gesamte kommunale Selbstverwaltung „blöd“ findet, um es in der Sprache des Augsburger Sozialreferenten zu sagen.

Warum hat Hummel auf ein Sozialticket verzichtet?

Die Stadt Augsburg hat die Pflicht, allen Bürgern ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Dazu gehört ein Sozialticket. Wenn sich ein Sozialreferent dagegen wehrt, dann verliert er jede Legitimation zur Führung dieses Referats. Und da sich Max Weinkamm bereits zu Beginn seiner Amtszeit mit unerschütterlicher Gleichgültigkeit gegen ein Sozialticket gestemmt hat, ist es der Opposition anzukreiden, dass sie Weinkamms Haltung nicht schon längst in angemessener Schärfe skandalisiert hat. In diesem Zusammenhang muss man die Frage stellen, warum die SPD und die Grünen, die nun verstärkt für ein Sozialticket eintreten, nicht schon längst dafür gesorgt haben, dass diese Leistung zum klassischen Portfolio einer sozial ausgerichteten Stadt gehört: Warum hat Dr. Konrad Hummel, SPD-Sozialreferent von 2002 bis 2008, in seiner Amtszeit kein Sozialticket eingeführt? Die SPD hat diese blamable Lücke ihrer Regierungszeit sehr spät, aber dafür sehr geschickt, wettgemacht, indem sie die Einführung eines Sozialtickets bei den Haushaltsverhandlungen zur Bedingung ihrer Haushaltszustimmung machte. 500.000 Euro wurden deshalb für ein Sozialticket in den 2014er Haushalt eingestellt. Dass der Sozialausschuss vollkommen ungeführt und ungesteuert nicht in der Lage war, diese Mittel abzuholen, bedeutet mehr als nur eine peinliche Abstimmungspanne. Dieser Vorgang ist eine Schande, eine Schande für die gesamte Stadt.