Ein mitreißendes Wochenende
Das Brechtfestival ist endlich im Theater angekommen
Von Frank Heindl
Am vergangenen Freitag hat das Augsburger Brechtfestival 2014 begonnen. Als Zwischenbilanz des ersten Wochenendes lässt sich festhalten: Es ist – endlich! – angekommen. Vor allem im Theater, aber auch in der Stadt – und auf einem künstlerischen Niveau, das dem Namen des Festivals und dem des Namensgebers gerecht wird.
Zu diesem Urteil veranlassen eine Eröffnungsveranstaltung auf hohem Niveau, ein berstend volles Großes Haus am Samstagabend mit aufregend bunt gemischtem Publikum und einige sehenswerte Theaterproduktionen – leider zu viele für die kleine DAZ-Redaktion. Wir haben uns viel angesehen von Freitag bis Sonntag, Berichte dazu werden in nächsten Tagen folgen.
Zufrieden sein durfte man schon mal am Freitagabend: Nach einer Reihe von Auftaktveranstaltungen in den vergangenen Jahren, die hier (und nicht nur hier) entschieden gerügt wurden ob der produzierten Langeweile von Staatsempfängen mit vielem Gerede und wenig Inhalt, hatten die Veranstalter diesmal Mut zu einem harten Schnitt: Keine Verlesung langer Listen von Ehrengästen, keine Aneinanderreihung wortgleicher Grußworte, keine oberflächlichen „Anmoderationen“ echter oder angeblicher „Highlights“ – stattdessen mitten hinein ins Thema mit einem gar nicht anbiedernden, sondern intellektuell anspruchsvollen Thema: Der Schauspieler Burghart Klaußner trug Gespräche des Komponisten Hanns Eisler vor, fesselte damit trotz des äußerst theoretischen Themas von der ersten bis zur letzten Minute, trug wissenswertes, erhellendes und interessantes zu Brechts Musikverständnis, zur Funktion der Musik in seinem Werk bei – und sang Lieder, die man nicht schon bei jedem Brechtfestival mehrmals gehört hatte. Dazu demnächst mehr.
Chicago, Okinawa und Augsburg in der Brechtbühne
Nächstes Highlight (und auch dazu morgen mehr): Das Ensemble „Bluespots Productions“ zeigte am Samstag in der Brechtbühne eine internationale Koproduktion, deren Novum darin bestand, dass Ensembles aus den USA, Japan und Augsburg nacheinander jeweils dasselbe Stück (Brechts „Jasager“ und „Neinsager“) spielten und einander dabei inklusive Publikum per Internet-Livestream zuschauen konnten. Die Inszenierung, die das Ensemble aus Chicago ablieferte, kann man eher vergessen, Japan zeigte eine verblüffende neue Wendung, Augsburg die ausgefeilteste Produktion auf der professionellsten Bühne – und ein großartiges Gefühl von weltumspannender Auseinandersetzung mit Brecht kam ganz von selbst dazu.
Nina Hagen, Bonaparte und noch mehr wilde Musik gab’s am Samstag und im Großen Haus konnte man zeitweise Platzangst kriegen. Die Hagen ausverkauft, der Lärm bei Bonaparte nahezu unerträglich, der Andrang auch anschließend bei Alice Francis im Foyer noch erstaunlich – am Erstaunlichsten aber, dass da ein Publikum ins Theater strömte, wie man es vorher kaum je erlebt hat: junge Leute zuhauf und damit ein verheißungsvoller Schritt hin zur lange angekündigten „Öffnung des Theaters“ für neue Publikumsschichten. Wem das zu viel war, wer das zu laut fand, wem das zu weit von Brecht entfernt war, der konnte zwischendurch beim Projekt „Text will Töne“ im Hoffmannkeller durchatmen: Hier war Stille angesagt, eine nahezu meditativ-innige Beschäftigung mit Brechtscher Lyrik, dargeboten von Karla Andrä in klassischer Feinheit und unaufgeregtem Duktus. So viel Verschiedenes in einem Haus – der Abend zeigte auch, dass das Festival endlich seinen Identifikationsort gefunden hat, auch wenn ein paar wenige Veranstaltungen weiterhin außerhalb stattfinden. Das nützt dem Theater, dem Festival und dem Publikum.
Babylonisches in Augsburg, Schwules aus Ungarn und der Lob des Kommunismus aus Italien
Schließlich der Sonntag: Eine aufregende Matinee, in der Theaterleute aus Deutschland, England, Russland, Griechenland und Italien zu erklären versuchten, wie sie Brecht verstehen. Daraus resultierte auch eine Art babylonischer Sprachverwirrung, das gab aber auch vielerlei Anregungen für andere Sichtweisen und machte vor allem Lust auf die Inszenierung des „Guten Menschen von Sezuan“ mit Premiere am kommenden Samstag im Großen Haus. Die griechische Regisseurin gab Einblicke in ihr tiefgehendes, intellektuelles und gleichzeitig modernes Verständnis von Brechts Stücken, aber auch seiner Theatertheorie und seiner Vorstellung von Schauspielerei.
Und dann Nachmittag und Abend: Zunächst das ungarische Katona Jószef Theater mit seiner Adaption von Brechts „Leben Eduards des Zweiten von England“ – eine karge Inszenierung mit mutigem Inhalt. Im derzeit autoritär, juden- und schwulenfeindlich regierten Ungarn dieses Stück aufzuführen zeugt von großer Courage: Eduard II. führt sein Land aus Liebe zu einem Mann in den Bürgerkrieg – und das Ensemble zeigt Politiker und Pfaffen als kaltherzige Machtmenschen, die des Königs Homosexualität ausnutzen, um ihn zu entmachten. Pfui Mortimer, pfui Putin – die Aktualität des Stücks ist beklemmend und verstörend.
Ganz anders dann am Abend das Teatro Elicantropo aus Neapel. Die Italiener haben Brechts „Mutter“ in gut achtzig Jahre altem Gewand nach Augsburg gebracht – ein holzschnittartiges Agitprop-Stück zum Lob des Kommunismus mit Sprechchören, gereckten Fäusten, Revolutionsliedern, der roten Fahne und am Schluss natürlich der „Internationalen“. Ganz so platt war’s natürlich auch wieder nicht – aber auch darüber morgen mehr.
Das Brechtfestival hat noch eine ganze Woche vor sich – es hat an den ersten Tagen enorm viel Lust auf mehr gemacht und schon mal gezeigt, dass sich aus den vielen mühsamen Anläufen der letzten Jahre endlich ein schlüssiges Konzept schält. Darüber wird noch zu reden sein, spätestens ab nächsten Montag, wenn alles vorüber ist.