Ein Handbuch der unbehaglichen Fakten
Mit seinem neuen Reiseführer „Glaube. Hoffnung. Hass.“ ist dem Augsburger Autor Martin Kluger rechtzeitig zum Lutherjahr 2017 ein umfangreiches Kompendium gelungen, das die bösartigen Wurzeln historischer Denkmäler in Augsburg und der Region bezüglich des bevorstehenden Reformationsjubiläums unter die Lupe nimmt.
Von Bernhard Schiller
Wer hätte das gedacht: Das beliebte Augsburger Turamichele war ursprünglich ein feindseliges Instrument zur Verunglimpfung religiöser und politischer Gegner! Der Brauch entstand im 17. Jahrhundert als Ausdruck der Gegenreformation, um symbolisch den protestantischen Teufel abzustechen. Die „bösartigen Wurzeln“ (Kluger) dieses und anderer historischer Denkmäler in Augsburg und der Region nimmt der Autor und Verleger Martin Kluger akribisch unter die Lupe. Sein Buch „Glaube. Hoffnung. Hass.“ ist ein kritisch-illustrativer Beitrag zum bevorstehenden Reformationsjubiläum und ist jüngst im context Verlag Augsburg erschienen.
Das von der Regio Augsburg, dem Evangelisch-Lutherischen Dekanat und der Stadt Augsburg veranstaltete Programm zum Lutherjahr 2017 steht unter dem Motto: „Mutig bekennen. Friedlich streiten.“ Fast zeitgleich mit der Programmvorschau taucht nun Klugers Buch auf und ist unter diesen Vorzeichen eine ebenso pünktliche wie starke Antithese. Der Titel ist eine kaum ironische Anspielung auf einen Satz des Apostels Paulus: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Was passiert, wenn bei den Allerfrommsten der Hass am Größten ist, veranschaulicht der Autor auf inhaltsreichen 336 Seiten deutlich in Wort und Bild. Anhand einer Exegese von sehr berühmten und weniger berühmten Bau- und Kunstwerken aus den Jahrhunderten seit der Reformationszeit schildert Kluger eine erschreckend unfriedliche Geschichte der Glaubenskämpfe zwischen Katholiken und Protestanten.
Fugger war nicht nur ein Global Player, sondern auch ein schwer gebeutelter Mann des Glaubens
Gewöhnlich werden prominente Hinterlassenschaften wie der Augsburger Herkulesbrunnen oder die Fuggerei ästhetisch oder sozialromantisch rezipiert. Repräsentativ auch für den Stolz einer ehemaligen Weltstadt, ihre wirtschaftliche und kulturelle Pracht vergangener Tage. Wer hingegen mit Klugers Lektüre genauer hinsieht, wird erkennen, dass in den Gebäuden, Brunnen und Malereien des 16., 17. und 18. Jahrhunderts vor allem die inneren und äußeren, die seelischen und politischen Kämpfe der damals Herrschenden performativen Ausdruck finden.
Da wäre zum Beispiel Jakob Fugger, der Reiche. Er war nicht nur cleverer Global Player, sondern auch ein von der Angst vor Fegefeuer und Höllenpein schwer gebeutelter Mann des Glaubens. Als Bankier kontrollierte er den europaweiten Ablasshandel und damit die Kommunikationswege der Reichen und Mächtigen. Der sich ausbreitende Protestantismus und dessen Kritik am System des Ablasshandels war ihm deshalb ein Dorn im Auge. In Fuggers Stadtpalast hätte Martin Luther im Jahr 1518 gegenüber dem päpstlichen Gesandten Kardinal Cajetan seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel widerrufen sollen, was er bekanntlich nicht tat. Im Jahr 1527 bereits überfielen lutheranische Landknechtshorden Rom, plünderten und vergewaltigten tagelang – angeführt von dem protestantischen Augsburger Stadthauptmann Schertlin zu Burtenbach, der später darüber ins Schwärmen geriet, wie sie besagten Kardinal Cajetan mit einem Strick um den Hals durch die mit Leichen übersäten Straßen der Papststadt zogen. Die evangelische Kirche St. Anna in Burtenbach bei Dinkelscherben erinnert noch heute an den grausamen Protestanten.
Der Herkules-Brunnen stellt nur vordergründig den Sieg des Menschen über die Naturgewalt dar
Als der katholische Kaiser Karl V. dann 1546 sein Heer in den sogenannten Schmalkaldischen Krieg gegen die Protestanten führte, war das Haus Fugger dessen überzeugter Finanzier. An Karl den V. erinnert darum auch der Augsburger Herkules-Brunnen. Der stellt nur vordergründig den Sieg des Menschen über die Naturgewalt des Wassers dar, wie es bis dato etwa auf der Homepage der Stadt Augsburg heißt. Das katholische Patriziat der Fugger und Welser sah in Herkules nämlich den Kaiser des Heiligen Römischen Reichs, wie er seinen protestantischen Feinden die Drachenköpfe abschlägt. Zum markanten Ausdruck dieser hegemonialen Wünsche wurde der Herkulesbrunnen direkt vor den Häusern der Welser und Fugger erbaut.
Die Architektur des Hasses ist nie verschwunden
Solche in und auf den Körpern der Menschen und den Körpern ihrer Städte ausgetragenen Glaubenskämpfe gipfelten 1618 im Dreißigjährigen Krieg. Dessen Ende war ein Frieden aus Erschöpfung und nicht aus Besonnenheit, wie Augsburger Friedensstädter heute gerne glauben. Der Westfälische Frieden sei, so Kluger, ein Frieden auf dem Papier gewesen, aber nicht „in den Hirnen und Herzen angekommen“. Diese These untermauern Kunstwerke wie die „Sau aus Eisleben“, eine 100 Jahre nach dem Westfälischen Frieden entstandene Schmähung Luthers. Sie „ziert“ bis heute als Deckenfresko den Goldenen Saal der Marianischen Kongregation in Dillingen.
Klugers Buch ist gleichermaßen verstörend wie erhellend: Dort, wo die manifesten Zeugnisse der Gewalt noch immer stehen (oder teuer restauriert wurden), transportieren sie ihre mehr oder weniger subtilen Botschaften durch die Jahrhunderte hindurch in Herzen und Hirne der Gegenwart. Die Architektur des Hasses ist nie verschwunden. Sie wird vielmehr als Pracht vergangener Zeiten kunstsinnig verklärt, oder – wie beim postfaktischen Turamichele – kommerziell ausgeschlachtet. Wer Klugers Handbuch der unbehaglichen Fakten liest, kommt hinter diese Einsicht nicht mehr zurück. Es leistet Aufklärung im besten Sinne des Wortes. Hierfür stand dem Autor, neben einem umfangreichen Katalog wissenschaftlicher Quellen, der Augsburger Historiker Dr. Wolfgang Wallenta beratend zur Seite. „Glaube. Hoffnung. Hass.“ ist ein luzider Begleiter für (kunst-) historische Reisen durch die Region und ein Lehrbuch, das neben dem Hauptaugenmerk Augsburg unter anderem auch an Stätten in Nördlingen, Ingolstadt, Dillingen oder Burtenbach führt.
Martin Kluger hat sich mächtig ins Zeug gelegt und unterminiert aber zugleich auf unaufgeregte Weise mit seinen schwergewichtigen Ergebnissen den ahistorischen Enthusiasmus, der in der Friedensstadt Augsburg von der Verwaltung und der politischen Kaste zelebriert wird. So heißt es in der Programmankündigung zum Lutherjahr seitens der Stadt: „Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 war ein erster Versuch, das Zusammenleben von Protestanten und Katholiken zu ordnen. Er begründet Augsburg Selbstverständnis als Friedensstadt der gesellschaftlichen Vielfalt und des friedlichen Dialogs.“ Das ist Schönfärberei.
Hier liegt kein fröhlicher Markenbotschafter vor
Tatsächlich wurde mit dem Religionsfrieden der vor 1555 vorhandene konfessionelle Pluralismus in Augsburg beendet. Von sechs bis dahin in Augsburg ansässigen Konfessionen verschwanden vier von der Bildfläche. Der Augsburger Religionsfrieden war lediglich ein Waffenstillstand zwischen Lutheranern und Katholiken. Deren Streit um die alleinseligmachende Glaubenshoheit war damit nicht beendet und flammte 1618 mit dem Dreißigjährigen Krieg erneut auf. Kluger benennt diesen Sachverhalt mehrfach nüchtern und deutlich. Damit widerspricht er der offiziellen Erzählung. Das Kluger-Werk soll Sachbuch bzw. Reiseführer für Religionstouristen sein, wäre aber ebensogut ein wissenschaftlicher Essay. Die Entscheidung darüber will nicht richtig gelingen. In jedem Fall liegt hier kein fröhlich stimmender Markenbotschafter vor. Das ist ausgezeichnet! Ebenso vorteilhaft wirkt die methodische Indifferenz, die dem Leser und hier nun dem Rezensenten freies interpretatives Spiel erlaubt.
Das knappe Vorwort läßt kaum Rückschlüsse auf eigenes Bekenntnis und Motivation seines Verfassers zu. Kluger will sein Buch verstanden wissen, als Handreichung für „Menschen (…), die verstehen – und vor allem auch sehen – wollen, was geschieht, wenn Religion und Glaube nicht zu Humanität und Liebe, sondern zu Gewalt und Hass verführen.“
Leider bleibt auch Kluger im Topos der Gleichberechtigung der Religionen stecken
Ist das nun fundamentale Religionskritik, oder – berücksichtigt man das neoliberale Nachwort – ein Plädoyer für das freie Spiel der Kräfte einer ökonomistischen Gesellschaft ohne religiöse Einflussnahme? Das Buch erscheint im Eigenverlag des Autors, der bereits zuvor durch History-Marketing nicht nur für die Regio Augsburg GmbH, sondern auch die Fürst Fugger Privatbank und die Fuggerschen Stiftungen verantwortlich zeichnete. Darin könnte man einen Hinweis auf die Gründe für Klugers Zurückhaltung vermuten. Leider bleibt auch Kluger – zumindest in dieser Veröffentlichung – bei der Erzählung vom Augsburger Religionsfrieden im Topos der „Gleichberechtigung der Religionen“ stecken. De facto stellte der Religionsfrieden ausschließlich die Gleichberechtigung von Protestanten und Katholiken dar. Für jüdische Reichsbürger und andere religiöse Minderheiten wie die Täufer bedeutete die Regelung „cuius regio, eius religio“ eine große, existenzielle Gefahr. Dass die Regelung nicht konsequent umgesetzt wurde, war vor allem der Gegenreformation und der judenfreundlichen Politik des Kaisers Karl V. zu verdanken. Einem Katholiken also.
Zurück zur Gegenwart: Für das „Selbstverständnis der Friedensstadt Augsburg sind historisch abgesicherte Tatsachen weniger relevant als für die städtische Corporate Identity verwendbare Superlative. Viermal, so heißt es bei Kluger im Klappentext, sei Augsburg die bedeutendste Stadt für die Geschichte der Reformation in Deutschland gewesen. Das mag schon stimmen. Doch zeigt Klugers Arbeit in „Glaube. Hoffnung. Hass.“ auf, dass das, was als bedeutungsvoll gilt, von den jeweiligen Herrschaftsverhältnissen abhängt. Diese haben sich in den vergangenen 500 Jahren bekanntermaßen gehörig verschoben. Was also soll das „Selbstverständnis der Friedensstadt Augsburg“ sein, außer Markenmanagement und Augsburger Autostimulation? Was wäre aber, würde die alte Leier von Protestanten und Katholiken aus der Vergangenheit überwunden und über sich selbst hinaus weisen? Die andauernde Reduktion des Glaubensstreits auf das Verhältnis der dominanten Mehrheitskonfessionen wird weder der historischen noch der gegenwärtigen Realität gerecht.
Hass führt zu geistiger und materieller Armut
Bei der Lektüre von „Glaube. Hoffnung. Hass.“ jedenfalls nagt durchgehend die Frage, was wirklich ursächlich war für das besessene Verfolgen, Foltern und Morden. Tatsächlich „Religion und Glaube“? Oder doch eher profane Herrschaftsinteressen? Die Antwort will Lektorin Candida Sisto im Nachwort erleichtern: „Hass führt zu geistiger und materieller Armut.“ Ob Menschen unterhalb der globalen Armutsgrenzen diesem Satz zustimmen können? Wer keinen Zugang hat zu Bildung, sauberem Trinkwasser und anderen lebensnotwendigen Ressourcen, wird sich kaum sagen lassen, der Grund dafür sei eigener Hass, während nebenan Monopolisten das Land ausplündern.
Diese Fundamentalkritik an Ausbeutungsprozessen wäre eine mögliche Schlussfolgerung aus der Beschäftigung mit der Fuggerei. Sie dürfte allerdings schwierig sein in einer Stadt, deren Dachmarke die „Vorstände der Renaissance“ sind. Eine andere, ebenso naheliegende, wie triftige Analyse, beträfe die Gegenseite. Reformationsjubilar Luther nämlich war ein empörter Ankläger des Wuchers und alles Merkantilen. Luther fand in den geschäftstüchtigen, skrupellosen Fuggern prominente Zielscheiben für seine Angriffe. Diese Feindschaft zwischen dem geldgierigen Globalisierer Fugger und seinem nationalistisch-rückwärtsgewandten Gegenspieler Luther ist von nicht zu übersehender Aktualität. Insbesondere an der Person Luther wird deutlich: Sein lebenslanger Hass auf die Juden (er bezeichnete sie als „durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding“ sowie als „Pestilenz“ und rief zu Pogromen auf) darf nachgerade nicht als zeitgeistige Ausfallserscheinung kontextualisiert werden, wie es stellvertretend für sämtliche Lutheradepten Annette Weidhas, Leiterin der Evangelischen Verlagsanstalt, jüngst in der Onlineausgabe der „Welt“ versuchte.
Aufgedeckt wird die dämonische Bedeutung der Architektur
Vielmehr manifestiert sich im Reformator zunehmend das Charakteristikum einer realitätsverdrossenen Persönlichkeit, die gegen alle jene giftet, welche in der lutherischen Reflexionsblase als Handlanger des Teufels auftreten: Juden, Hexen und – Kaufleute. Viel unterscheidet den frustrierten Mönch also nicht von heutigen Hasspredigern und Populisten. Auch deren (oft als gerecht empfundener) Zorn birgt bereits neue Gewalttat in sich. Dass Luther in alledem auch nach seiner Exkommunikation zutiefst katholisch war, sollte häufiger betont werden. Solches mutig zu bekennen, wäre den Lutherfeiernden zu wünschen. Öffentliche Stimmen, welche die Kontinuität von Luthers Hasstiraden, über den nationalistischen deutschen Protestantismus zu den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten sehen (wollen), werden stärker, je näher das Jubiläum nun rückt. Die schier numerische Gewalt der Neuerscheinungen zum Lutherjahr sollte diese Wahrheit nicht ersticken.
„Glaube. Hoffnung. Hass.“ bietet sich aufgrund der Realienkunde für genannte Analysen geradezu an. Candida Sisto spricht sie im Nachwort fragend an und gibt letztlich doch noch den Sinn der Veröffentlichung bekannt: „Gegen das Vergessen und Verdrängen ankämpfen. (…) Glaube und Hoffnung sollen zu Liebe, nicht zu Hass führen.“ Vor allem gegen das Verdrängen wirkt das Buch. Es deckt die dämonische Bedeutung der Architektur auf, von welchen die heute lebenden Menschen in Augsburg und der Region – ganz gleich ob Einheimische oder nicht – alltäglich eindrucksvoll umgeben sind, in der Wahrnehmung geblendet vom Blattgold herkömmlicher Touristeninformationen. Es braucht unangenehme Literatur. Diese umfangreiche und tiefgründige Recherche sei deshalb als Gewinn empfohlen.
Martin Kluger. Glaube. Hoffnung. Hass. Von Martin Luther in Augsburg (1518) über den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) bis zur „Sau von Eiseleben“ (1762)
Taschenbuch, 336 Seiten, 241 Fotografien, zwei Karten, 18,90 Euro